Ausgeträumt?
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Es war vor mehr als fünfzig Jahren, als der amerikanische Baptistenpastor Martin Luther King einer gewaltigen Menschenmenge in Washington von einem Traum berichtete, der sein Leben bestimmte. "I have a dream", riss er die über 250.000 Teilnehmer eines 'Marsches für Arbeit und Freiheit' mit, "dass eines Tages die Söhne früherer Sklaven und die Söhne früherer Sklavenhalter miteinander am Tisch der Brüderlichkeit sitzen können."
Mit den Schüssen weißer Polizisten auf schwarze Bürger und unter den Kugeln eines schwarzen Heckenschützen auf weiße Polizisten scheint dieser Traum nun zunächst einmal ausgeträumt zu sein. Der "Tisch der Brüderlichkeit" wurde von den Axthieben einer unerwartet heftig aufgeflammten Gewalt zwischen Schwarz und Weiß zerstört. Ausgerechnet unter einem afro-amerikanischen Präsidenten sehen sich die Bürgerrechtler in den USA um Jahrzehnte zurückgeworfen, und der Friede zwischen den Hautfarben, der ohnehin nie mehr war als nur ein brüchiger Waffenstillstand, scheint vorerst beendet zu sein.
Viele Schwarze fühlen sich vom gesellschaftlichen Fortschritt und Wohlstand ausgeschlossen, viele Weiße sehen sich dagegen an den Rand gedrängt, weil schon bald nicht mehr die Nachfahren europäischer Einwanderer, sondern die Nachkommen ehemaliger Sklaven und Latinos die Mehrheit in der Bevölkerung stellen werden.
Dieser Konflikt muss mit einer ausgleichenden Sozialpolitik und einer Verbesserung der Chancengleichheit angegangen werden, soll die Gesellschaft nicht an ihren eigenen Spannungen und Spaltungen zugrunde gehen. Meiner Meinung nach wären übrigens auch wir Deutschen gut beraten, wenn wir in unserem eigenen Land unsere Anstrengungen verstärkten, die Gräben zwischen Arm und Reich, zwischen Alteingesessenen und neu Hinzugekommenen zuzuschütten.
Ebenso wie auf einen Baptistenpastor können wir uns dabei auf einen Hirten vom Ende der Welt berufen. Papst Franziskus träumt in seinem Apostolischen Schreiben "Evangelii gaudium" davon, dass die evangelisierende Gemeinde vorangeht und "furchtlos die Initiative (ergreift), auf die anderen zuzugehen, die Fernen zu suchen und zu den Wegkreuzungen zu gelangen, um die Ausgeschlossenen einzuladen." Willkommenskultur an einem neuen Tisch der Brüderlichkeit könnte man das auch nennen.