Philosoph Ugo Perone über Romano Guardini

"Auch Denker können selig sein"

Veröffentlicht am 24.07.2016 um 13:35 Uhr – Von Gabriele Höfling – Lesedauer: 
Romano Guardini im Porträt
Bild: © KNA
Wissenschaft

Bonn ‐ Seligkeit zeigt sich nicht nur in Extremsituation, sondern auch im Alltag, sagt der Berliner Philosoph Ugo Perone. Ein Interview über Romano Guardini und dessen Seligsprechungsverfahren.

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Frage: Herr Professor Perone, was fasziniert Sie an Romano Guardini?

Perone: Er hatte ein geradezu merkwürdig breites Spektrum von Interessen. Als Forscher interessierte sich Guardini nicht nur für Theologie, sondern auch für Philosophie und Dichtung. Aber gleichzeitig hatte er auch praktische pastorale Projekte – wie die Weiterentwicklung der Liturgie — und beeinflusste den Katholizismus in Deutschland sehr stark. Soviel kommt selten in einer Person zusammen. Die Fähigkeit der Interdisziplinarität, sich in unterschiedlichen Feldern zu bewegen, das ist das Spannende bei ihm.

Frage: Womit hat er sich in Philosophie und Literatur beschäftigt?

Perone: In einer frühen philosophischen Schrift entwickelte er eine Gegensatzlehre, mit der er versuchte, über die Dialektik Hegels hinaus zu gehen und ein alternatives Polaritätprinzip zu entwickeln. Im Bereich der Literatur hat er viel über den italienischen Schriftseller Dante geschrieben. Guardini konnte italienisch und deutsch und hat in seinen Vorlesungen Dante immer wieder selbst übersetzt und interpretiert. Aber auch über Dostojewski und Rilke hat er publiziert. Immer war er an die Fähigkeit dieser Autoren interessiert, auch philosophischen oder theologischen Inhalten eine poetische Form zu verleihen.

Meiner Ansicht nach war es genau dieses breite Spektrum an Themen, weswegen Guardini an der Universität so beliebt war. Seine Hörer kamen aus allen Fakultäten, waren Protestanten und Katholiken und auch Nichtgläubige. Guardini zeigte ihnen das Gemeinsame auf, das Spirituelle, das in allen Bereichen Gültigkeit hat.

Teilnehmer des Zweiten Vatikanischen Konzils lauschen einer der Reden.
Bild: ©KNA

Romano Guardini war einer der Wegbereiter der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils.

Frage: Welche bleibenden Impulse hat er der Theologie mitgegeben?

Perone: Ich bin kein Theologe, aber ich glaube nicht, dass man bei Guardini wirklich theologische Erkenntnisse im Sinne einer neuen Theorie oder einer neuen Teildisziplin findet. Sein Anliegen war vielmehr ein besonderes Verständnis von Theologie, das durch sein interdisziplinäres Denken inspiriert war. Guardini war überzeugt, dass die echten theologischen Fragen tiefe menschliche Fragen sind, die alle betreffen. Es ging ihm darum, eine katholische Theologie vorzuschlagen, die wirklich umfassend und universell ist. Er lehrte "Religionsphilosophie und katholische Weltanschauung", was für ihn hieß, die Welt in ihrer Ganzheit zu betrachten.

Frage: Guardini ist dafür bekannt, dass er zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Jugendbewegung und die liturgische Bewegung zusammengebracht hat. Was heißt das genau?

Perone: Die Jugendbewegung von Burg Rothenfels, die Guardini zeitweise stark beeinflusste, wollte die Kirche erneuern. Und Guardini hat verstanden, dass diese Erneuerung über die Liturgie stattfinden musste. Die Liturgie hat eine Schlüsselstellung im Leben der Kirche, in ihr stellt sich der Glaube in seinen vieldimensionalen Facetten dar. Sie ist der zentrale Bestandteil des Gemeindelebens — und die Gemeinden können Heimat auch für Jugendliche werden. Dafür braucht man einen geeigneten Liturgiestil und sogar eine passende Architektur der Kirchen als Gebäude. Guardini hat die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils intensiv mit vorbereitet.

Frage: Manche würden eine Seligsprechung eher bei einem Widerstandskämpfer wie Alfred Delp als angemessen betrachten als bei einem Forscher wie Guardini. Ist ein Seligsprechungsverfahren überhaupt zu begrüßen?

Perone: Aus meiner Sicht als Philosoph ist die Seligsprechung unbedingt begrüßenswert. Denn sie zeigt, dass selig zu sein sich nicht nur in Extremsituationen zeigt, sondern auch im Alltag. Ob Guardini selbst nun selig ist oder nicht, das kann ich natürlich nicht beurteilen, das ist Aufgabe der Kirche. Aber die Idee, dass sich in einem ernstgenommenen Leben Seligkeit zeigen kann, macht Sinn. Auch Denker können selig sein und es ist eine gute Sache, wenn das nicht erst Jahrhunderte nach ihrem Tod festgestellt wird. Guardini war zwar anders als viele selige Philosophen kein Ordensgründer. Seines ist  tatsächlich ein "normales Leben", aber gerade deswegen noch interessanter.

Linktipp: "Ein Kirchenvater des 20. Jahrhunderts"

Wenn es um den Theologen Romano Guardini geht, werden schnell Superlative genannt. Katholisch.de hat Menschen, die sich mit ihm beschäftigen, zur Vorbereitung seines Seligsprechungsverfahrens befragt.

Frage: Wie muss man sich Guardini als Menschen vorstellen, was für einen Charakter hatte er?

Perone: Von Leuten, die ihm nahe standen, habe ich gehört, dass für ihn Melancholie und Wehmut eines der großen persönlichen Themen waren. Er neigte dazu, sich selbst sehr stark zu reflektieren. Dagegen hat er angekämpft, weil er fühlte, dass diese Konzentration auf sich selbst ein großes Hindernis, ja eine Sünde sein kann. Die Aufgabe des Christen ist, sich gegenüber anderen zu öffnen. Diesen Weg hat er mithilfe der Philosophie und der Theologie gefunden. Das zeigt auch sein Tagebuch. Guardini, wie ich las, stand mit den Großen seiner Zeit in Kontakt – etwa mit Heidegger. Über die Wissenschaft konnte er sich anderen gegenüber öffnen.

Frage: Wie setzen Sie sich als aktueller Inhaber der Guardini-Professur für Religionsphilosophie und Katholische Weltanschauung für das Andenken und Erbe Romano Guardinis ein?

Perone: Ich bin kein Theologe und an sich auch kein Guardini-Spezialist, sondern beschäftige mich als Philosoph vor allem mit Hermeneutik. Der Lehrstuhl ist ja auch nicht die Fortsetzung einer Guardini-Schule, sondern es kommt darauf an, in seinem Geist einer interdisziplinären Offenheit weiterzugehen. Und genau das ist  in seinem Sinne, denke ich. Meine erste Begegnung mit Guardini hatte ich übrigens in den 1970er Jahren, als ich in Italien zusammen mit Freunden ein Buch über die Theologen des 20. Jahrhunderts herausgegeben habe. Eines der Kapitel war Guardini gewidmet. Gleichzeitig sehe ich es als meine Aufgabe und als Ausgabe der Guardini Stiftung, die eine solche Stiftungsprofessur initiert hat, Studierende und Forscher auf Guardini aufmerksam zu machen. Wir haben 2016 beispielsweise junge Nachwuchsforscher aus unterschiedlichen Ländern eingeladen, damit sie unter der Leitung von anerkannten Guardini Forschern miteinander in Kontakt kommen.

Von Gabriele Höfling