Lebensretter begegneten Franziskus im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz

Wenn der Papst die "Gerechten" trifft

Veröffentlicht am 29.07.2016 um 00:01 Uhr – Von Eva Krafczyk (dpa) – Lesedauer: 
Weltjugendtag

Warschau/Oswiecim ‐ Wer ein Menschenleben rettet, rettet die ganze Welt, heißt es im Talmud. Das gilt besonders für die Zeit des Holocausts. Jetzt hat der Papst bei seinem Besuch in Auschwitz einige Retter von damals getroffen.

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Sie, das waren jüdische Familien, Bekannte ihrer Eltern, die während der deutschen Besatzung in der Twarda-Straße in der Warschauer Innenstadt wohnten. "Das war da, wo das Ghetto war", sagt Mazur, die 19 Jahre alt war, als die Rettungsaktion startete. Eine besondere Geste für eine Gruppe von "Gerechten" gab es am Freitag während des Besuchs von Papst Franziskus im ehemaligen deutschen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau geben: Zusammen mit Holocaust-Überlebenden haben sie das Kirchenoberhaupt getroffen.

Mehr Angst vor eigenen Nachbarn als vor Gestapo und SS

"Meine Eltern haben jemanden bestochen, um ihre Freunde aus dem Ghetto schmuggeln zu können", erzählt Mazur. "Das war ein paar Monate, nachdem das Ghetto eingerichtet worden war." Die dreiköpfige Familie mit einem kleinen, damals vier Jahre alten Sohn teilte die elterliche Wohnung. Die Angst vor einer Entdeckung und vor Verrat war allgegenwärtig - auf das Verstecken von Juden stand die Todesstrafe. Angst hatte Mazur nicht nur vor Gestapo und SS, sondern vor den eigenen Nachbarn. "Eine Nachbarin sah einmal unsere Freunde in der Wohnung und sagte, das sind doch Juden. Mit Geld konnten meine Eltern sie zum Schweigen bringen. Aber sie forderte immer mehr, und es war klar, sie wird uns letztlich verraten", erinnert sich die alte Dame mit den hellwachen Augen.

"Es war als hätte ich eine weiter Schwester"

Mit dem kleinen Bogdan zog damals die junge Janina ins zentralpolnische Radom, mietete eine Dachgeschosswohnung an, mit Zugang zum Boden, für ein Versteck. Die Eltern des Vierjährigen kamen nach, überlebten im Versteck Krieg und Besatzung. Eine andere jüdische Bekannte konnte mit dem Ausweis von Janinas früh verstorbener Schwester eine neue Identität annehmen und "legal" eine Wohnung mieten. "Sie hat nach dem Krieg einen katholischen Polen geheiratet und den angenommenen Namen behalten. Es war, als hätte ich eine weitere Schwester", sagt Mazur. Während der deutschen Besatzung gab es immer wieder Momente von Panik und Angst, etwa bei Razzien am Arbeitsplatz. "Ich habe jeden Tag gebetet, dass wir das durchhalten", sagt Mazur und blickt plötzlich ernst. "Ich glaube, es gab keinen Tag, an dem ich nicht Angst hatte. Selbst heute, wenn sie im Fernsehen Kriegsfilme zeigen oder bei Militärparaden Kampfjets über die Stadt fliegen, kommt die Angst zurück."

Bild: ©KNA

Papst Franziskus hat anders als seine Vorgänger in Auschwitz keine Rede gehalten, sondern gebetet und das Gespräch gesucht.

Für Stanlee Stahl von der Jüdischen Stiftung für die Gerechten sind Menschen wie Janina Mazur die "wenigen wunderbaren Menschen, die Mitgefühl hatten und den Mut, etwas zu tun". Jeder einzelne der Judenretter habe auch "die Ehre der Menschheit gerettet", sagte sie kürzlich auf einer Veranstaltung für mehrere Dutzend "Gerechte" in Warschau. Die Stiftung unterstützt die oft hochbetagten und gebrechlichen Retter finanziell, damit sie besser über die Runden kommen, sich den Kauf von Medikamenten leisten können. "Viele haben ihr Leben riskiert, aber leben im Alter in Armut", sagt auch Johnny Daniels von der Stiftung "From the Depths". Der aus Großbritannien stammende Israeli engagiert sich ebenfalls für die "Gerechten". Philantrop Zygmunt Rolat will diesen Menschen sogar ein Denkmal stiften. "Ich lebe, weil mein polnisches Kindermädchen ein jüdisches Kind mehr geliebt hat als ihr eigenes Leben", sagt der aus Tschenstochau stammende und heute in den USA lebende Mann über die Frau, die ihn aus dem Ghetto schmuggelte.

Wahre Wertschätzung statt Verallgemeinerung

Mehr als 6.500 Polen sind bisher als "Gerechte unter den Völkern" ausgezeichnet worden. Für manche Vertreter der  nationalkonservativen Warschauer Regierung sind das zu wenige. Der Senatsabgeordnete Jan Zaryn etwa meint, es könne bis zu einer Million polnische "Gerechte" gegeben haben. Dazu zählt er auch schon die, die jüdischen Zwangsarbeitern ein Stück Brot gaben oder versteckte Juden nicht verrieten. Historiker wie Jan Grabowski, dessen Buch "Judenjagd" das Schicksal von Juden zwischen Rettung, Erpressung und Verrat beschreibt, wirft Zaryn vor, mit solchen Verallgemeinerungen den wirklichen Rettern keinen Gefallen zu tun.

"Wir haben schon so lange überlegt, was das beste Geschenk für die "Gerechten" ist", sagte Polens Oberrabbiner Michael Schudrich im Vorfeld der Begegnung mit dem Papst. Und dass er glück sei, dass es dazu komme. Das Treffen am "schlimmsten Ort der Welt" ist für Schudrich aber auch ein Geschenk für den Pontifex selbst: "Es gibt keine besseren Menschen auf der Welt. Wer wissen will, wie Gott den Menschen nach seinem Vorbild schuf, der muss die "Gerechten" sehen."

Linktipp: Weltjugendtag

Neben dem Besuch im früheren Konzentrationslager stehen noch viele weitere Begegnungen auf dem Terminplan von Papst Franziskus und den Jugendlichen aus aller Welt.
Von Eva Krafczyk (dpa)