Über den eigenen Kirchturm hinausschauen
Gekundschaftet wird als Tandem, bestehend aus einem haupt- und einem ehrenamtlichen Teilnehmer: Joachim Lauer ist Pastoralreferent und arbeitet auf halber Stelle im "Lichtpunkt", einer Passantenseelsorge in Ludwigshafen. Brigitte Deiters ist dort als Ehrenamtliche aktiv und gestaltet unter anderem Gesprächsangebote. Der Gedanke, sich als Tandem zu bewerben, kam Joachim Lauer: "Brigitte ist eine der Ehrenamtlichen, die vor Ideen nur so sprüht. Daher dachte ich, dass aus unserem Tandem viel Inspirierendes für den 'Lichtpunkt' herauskommen könnte", erklärt er. "Und ich war sofort Feuer und Flamme für die Idee", ergänzt Deiters.
Doch nicht nur nach England schickt Speyer seine Kundschafter: Weitere Reisen gehen nach Nicaragua, Südafrika und auf die Philippinen. Dass es diese Kundschafterreisen gibt, ist wiederrum das Ergebnis zweier ebensolcher Reisen: Domkapitular Franz Vogelgesang hatte an einer Reise seiner Diözese nach England teilgenommen, um dort bei anglikanischen Gemeinden mehr über das Konzept "Fresh expressions of church" zu erfahren. "Damit versucht die anglikanische Kirche auf ganz verschiedene Weise der Frage nachzugehen, wozu wir Christen vor Ort da sein, welchen Dienst wir für unsere Mitmenschen leisten können", erklärt er. Er besuchte unter anderem die Kirche Holy Trinity Brompton in London. "Die hat einen neuen Aufbruch gewagt: Sie haben geguckt, was die Menschen vor Ort brauchen." So sei in die Kirche ein weiterer Raum eingebaut worden, in dem nun eine physiotherapeutische Praxis und Gruppenräume für Nachhilfe Platz fänden. "Solche Dinge, die bei uns unmöglich scheinen, die gehen dort."
Außerdem war Vogelgesang mit dem Hilfswerk missio München auf den Philippinen, um die lokale Kirchenentwicklung kennenzulernen. "Mitgerissen hat mich einerseits das Einfache, die Leichtigkeit. Ihr Glaube macht den Leuten, die man dort trifft, große Freude, sie waren alle heiter und gelassen", schwärmt er. "Andererseits habe ich dort gespürt, dass eine große visionäre Kraft dahintersteckt, die London mit den Philippinen verbindet. Ich meinte, dort etwas vom Heiligen Geist zu spüren." Weil es bei diesen Erlebnissen nicht einfach bleiben sollte, erarbeitete er mit einem Mitreisenden das Konzept für die Kundschafterreisen.
Es gibt unterschiedliche Impulse zu entdecken
Die vier Länder wurden ausgewählt, weil es dort unterschiedliche pastorale Impulse zu entdecken gibt: In Nicaragua etwa die "Delegados de la Palabra de Dios", die "Beauftragten für das Wort Gottes". Das sind engagierte Laien, ohne die ein lebendiges Gemeindeleben in Lateinamerika nicht möglich wäre, da in den großen Gemeinden verhältnismäßig wenige Pfarrer arbeiten. Die Gemeinschaftsbildung durch Basisgemeinden und das Bibelteilen sollen sich Kundschafter in Südafrika ansehen. In England soll es noch einmal um das Konzept "Fresh Expressions of Church" gehen. Und auf den Philippinen werden die Kundschafter die Arbeit eines Instituts kennenlernen, das ein System für Ausbildungssituationen erarbeitet hat und damit für viele dortige Diözesen Impulse setzt.
Damit die Ergebnisse vergleichbar sind, ist für alle Kundschafter auf den Reisen das gleiche geistliche Programm vorgesehen: "Wissensmanagement für Kundschafter", nennt Vogelgesang das. Jeder Tag wird mit einem Morgengebet beginnen, "um einen Aufmerksamkeitsfokus zu geben". Tagsüber gehen die Tandems in Projekte, besuchen Gemeinden und treffen Bischöfe oder Verantwortliche des gastgebenden Bistums. Ihre Erlebnisse und Gedanken sollen die Kundschafter in einem Lerntagebuch festhalten. "Da haben auch Assoziationen Platz – und auch schon Ideen für die Heimatgemeinde", so Vogelgesang. Abends gibt es außerdem einen gemeinsamen Tagesrückblick, bei dem sich die Kundschafter austauschen können.
Linktipp: "Gefangen ins veralteten Paradigmen"
Der lange Schatten der Versorgungskirche liegt noch immer auf der Kirche, sagt der Theologe Christian Hennecke. Mit seinem Gastbeitrag reagiert er auf die Kritik des Pastoraltheologen Herbert Haslinger an immer größeren Seelsorgeeinheiten.Dass die Tandems aus je einem Haupt- und einem Ehrenamtlichen aus einer Gemeinde oder einer kirchlichen Einrichtung zusammengesetzt sind, gründet sich auf den Erfahrungen von Vogelgesangs Reisen: "Man muss beides zusammenbringen, um nachhaltige Impulse zu setzen." Voraussetzung für die Teilnahme war, dass sich die Tandems gemeinsam bewerben – und für die Kundschafterreise Urlaub bekommen. Außerdem mussten sie sich bereiterklären, bei Vor- und Nachtreffen teilzunehmen. Denn diese Reisen sollen eine nachhaltige Wirkung haben: Im November 2017 wird es einen Pastoraltag für alle Priester, Pastoral- und Gemeindereferenten und Diakone im Bistum geben, "damit sie mit den Erfahrungen unserer Kundschafter in Berührung kommen", so Vogelgesang. Und die Impulse aus dem Ausland sollen dann weiterwirken: "Die Hoffnung ist, dass die Tandems in ihrer Gemeinde weitermachen."
Wie erreicht man Kirchenferne?
Soweit ist es für das Tandem Deiters/Lauer noch nicht. Erst einmal haben sie sich Gedanken darüber gemacht, was sie eigentlich auf ihrer Reise erwarten wird: Zum Beispiel der Umgang mit der Frage, wie man kirchenferne Menschen erreichen kann. "Ich erlebe es in unserer Pfarrei, dass man immer auf die 20 Prozent schaut, die regelmäßig oder gelegentlich den Gottesdienst besuchen – nach dem Motto 'die anderen haben wir eh verloren'.", erzählt Brigitte Deiters. Sie und Joachim Lauer hoffen, in England Beispiele zu sehen, wie die Gemeinden damit umgehen, "denn die haben den Fokus stark auf den 80 Prozent, die kirchenfern sind", weiß Lauer. "Vielleicht bekommen wir dort Ideen, was möglich ist und was man beachten sollte, wenn man diese Menschen erreichen will."
Deiters freut sich darauf, zu erfahren, wie die Menschen dort "aus einer Situation heraus ein Angebot gemacht haben", zum Beispiel, weil es vor Ort viele arbeitslose Jugendliche gibt. Lauer, der als zweite halbe Stelle die Jugendkirche Speyer leitet, erhofft sich zudem, "Motivation und Lust zu bekommen, Jugendarbeit ganz anders zu denken und daran zu gehen". Doch auch neuen Mut wünschen sie sich von den Begegnungen in England. "In der Vorbereitungsrunde haben wir schon gehört, dass wir auf unseren Reisen nicht nur von Erfolgen hören werden, sondern auch vom Scheitern", so Deiters. Daraus könne man lernen, mit Rückschlägen gut umzugehen.