Als die Worte fliegen lernten
Die Stimme des Papstes aus dem Radio zu hören, das muss für die Menschen wohl eine Sensation gewesen sein, denn von Kempis berichtet: "Wir haben Videoaufnahmen aus einer Kirche, da steht ein riesiger Volksempfänger auf dem Altar, ungefähr auf Tabernakelhöhe. Die Kirche ist voll und ein Priester beugt sich vor an dieses Radiogerät, aus dem die Stimme ihres Papstes schallt."
Latein blieb zunächst die Sprache des Radios. "Ganz am Anfang war es ein Jesuitenprogramm von schlauen, aber weltentrückten Leuten, die zum Beispiel die neueste Forschung der päpstlichen Akademie der Wissenschaften auf Latein verbreiteten", so von Kempis. "Ich stelle mir den Zuhörerkreis für solche ausgewählten Programme doch etwas eingeschränkt vor." Erst mit Beginn des Zweiten Weltkrieges habe man gemerkt, was Aktualität für einen Radiosender bedeute. "Zu großer Form lief Radio Vatikan auf, als es darum ging, Vermisste zu suchen oder Kriegsgefangene mit ihren Familien zusammenzubringen." Diese Sendungen seien wohl die ältesten Aufnahmen, auch auf Deutsch, die im Archiv lagern. Die Debatten, die auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil im Petersdom geführt wurden, schnitt Radio Vatikan genauso mit, "diese Aufnahmen ruhen bei uns im Archiv, Bänder über Bänder."
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Die Ära der reisenden Päpste seit Paul VI. habe dazu geführt, dass die Zahl der Radioprogramme gewachsen sei. "Es konnte kein Papst nach Ouagadougou reisen, wenn nicht gleichzeitig auch Radio Vatikan dort hinsendet – das war die Politik, die Wiederentdeckung des Weltkirchlichen", meint von Kempis. Vor allem unter Papst Johannes Paul II. sei der Sender wahnsinnig gewachsen.
Seitdem hat sich viel getan: 39 Sprachabteilungen gibt es, erst im Oktober letzten Jahres ist ein Internetangebot in Koreanisch dazugekommen. Die genaue Zahl der Sprachen, in denen Radio Vatikan Programm macht, ist aber höher: "Zum Beispiel sendet die indische Sprachabteilung auf Englisch, Hindi, Urdu, Tamil und Malayalam", erklärt von Kempis. Die Zuhörerschaft ist ebenso gewachsen, "in vielen Teilen der Welt hört man auch heute noch größtenteils Radio." Weil die Deutschen hingegen nicht mehr so gerne vor dem Empfänger sitzen, habe man stattdessen die Arbeit im Internet und in den sozialen Medien verstärkt. Sechs Leute arbeiteten zurzeit im deutschsprachigen Programm, "und jeder kann hier alles".
Trotzdem: "Das Radio ist schon tausendmal totgesagt worden und immer wieder auferstanden", ist sich der stellvertretende Redaktionsleiter sicher. Dabei habe es als günstiges Medium – "die Übertragung durch die Luft ist einfach zu bewerkstelligen und die Empfänger sind relativ billig" – nämlich Vorteile. "Das Internet kann man schnell blockieren, aber Radiowellen zu stören ist aufwendig." Das sei zum Beispiel in China hilfreich. Aber natürlich nutze Radio Vatikan auch die Möglichkeiten der neuen Medien, "um die Informationen, die wir haben, beizutragen und sie mit anderen zu teilen". Der Sender habe immer schon die Philosophie gehabt, "dass das, was wir produzieren, für die Leute und kostenlos ist und dass wir darüber gerne ins Gespräch kommen. Und damit fühlen wir uns bei Facebook ziemlich wohl."
Papst will Medienarbeit modernisieren
Auch mit 85 Jahren will Radio Vatikan am Puls der Zeit bleiben. Eine Reformkommission unter der Leitung von Chris Patten, früherer BBC-Aufsichtsratschef, hatte im Mai letzten Jahres Vorschläge vorgestellt, wie sich die Medienarbeit des Vatikan modernisieren lässt. Die Expertengruppe hatte Papst Franziskus ins Leben gerufen; Ziel waren eine höhere Reichweite bei jüngeren Menschen, eine engere Verzahnung der Medienbetriebe und finanzielle Einsparungen. So eine Umstellung braucht seine Zeit, findet Kempis: "Wir sind ein Riesenapparat mit vielen Sprachen, kein reiner "das-hat-der-Papst-gesagt"-Sender. So etwas zu reformieren ist eine Herausforderung." Es sei sicher richtig, alte Zöpfe abzuschneiden und zu schauen, wo man die Programme noch mehr auf die neuen Medien ausrichten könne – "dann muss man aber auch investieren."