Missionarischer Neuaufbruch gefordert

Bischof Wilmer kritisiert "Selbstbezogenheit" deutscher Theologie

Veröffentlicht am 26.08.2019 um 13:18 Uhr – Lesedauer: 

Freiburg ‐ Die deutsche Theologie könnte viel von der internationalen lernen, meint der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer. Stattdessen laufe sie Gefahr, "autoreferenziell" zu werden. Auch fehle bisher eine überzeugende Antwort auf den Missbrauchsskandal.

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Vor dem Hintergrund des Missbrauchsskandals und der aktuellen Kirchenkrise macht sich der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer für einen missionarischen Neuaufbruch stark. Zudem müsse sich mit dem Missbrauch neben aller strukturellen Aufarbeitung auch auf theologischer Ebene beschäftigt werden. Das schreibt Wilmer in einem Beitrag für die aktuelle Ausgabe der "Herder Korrespondenz".

Wilmer: Debatte fehlt "existenzielle Tiefe"

Der Missbrauchsskandal sei ein tiefer Einschnitt in der Kirchengeschichte. Die Situation sei vergleichbar mit der Situation nach dem großen Erdbeben von Lissabon im Jahr 1755, das damals einen Wendepunkt im philosophischen und theologischen Denken einleitete. Nach dem Bekanntwerden der Missbrauchskrise gehe es zwar "nicht darum, eine ganz neue Theologie zu schreiben"; aber auch die Theologie als Wissenschaft müsse aus sich heraus eine Antwort auf die Missbrauchskrise finden. "Solange wir die Theologie ausklammern, wenn es um Missbrauch geht, kommen wir nicht an die Wurzeln", ist Wilmer überzeugt.

Derzeit äußerten sich viele deutsche Theologen zum Missbrauch, der Debatte fehle aber eine "existenzielle Tiefe". Zudem gebe es in der deutschen Theologie zu viel "Selbstbezogenheit". Sie drohe, autoreferenziell zu werden und zeige zu wenig Aufmerksamkeit für die theologische Debatte in anderen Ländern und Kulturen. Dieser intellektuelle Ansatz beeinflusse auch die deutsche Kirchenpolitik: "Wir halten uns bisweilen für den Nabel der Welt und meinen, Rom und die Weltkirche müssten nach unserer Fasson selig werden." Dabei könne die deutsche Theologie etwa von der spanisch- und französischsprachigen Theologie und Philosophie viel lernen. Als Beispiel nennt Wilmer den französischen Philosophen Maurice Blondel.

Wilmer verteidigt in der "Herder Korrespondenz" auch seinen umstrittenen Satz, wonach der "Machtmissbrauch zur DNA der Kirche" gehört. Dazu erklärt er: "Manche haben mir vorgeworfen, ich würde die Kirche kaputtreden. Ich sage aber nur, dass die Kirche auch eine menschliche Institution ist, was sonst? Und qua menschliche Institution ist sie nicht besser als eine andere Gruppierung von Menschen (...) und bedarf der Führung, der Regeln und der Kontrolle."

Mit Blick auf die innerkirchliche Reformdebatte meint Wilmer: "Wir müssen lernen, dass unser Glaube uns Verzweiflung und Niedertracht, Ausweglosigkeit und Starrheit nicht erspart." Reformen könnten die Gestalt der Kirche vielleicht verbessern und sie lebendiger machen. Entscheidend sei aber die existenzielle Dimension des Glaubens.

Kirchen bald Museen?

Wilmer beklagt in seinem Text, dass der Kirche heute ein "überzeugendes Konzept zur Mission, zur Evangelisierung, zur Offensive" fehle und stellt fest: "Wir sind hilflos". Weiter schreibt der Bischof: "Unsere Kirchen sind oft herausgeputzt, aber leer." Sie drohten, zu Museen zu verkommen.

Kirchliche Reformen ohne gleichzeitige Mission blieben im letzten sinnlos. Auch bei diesem Thema könne Deutschland von seinen Nachbarn lernen. So habe die französische Bischofskonferenz mit ihrem Dokument "Proposer la foi" von 1996 einen modernen Missionsbegriff geliefert.  (gho/KNA)

Linktipp: Wilmer: Machtmissbrauch steckt in DNA der Kirche

Der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer geht in der Bewertung der Missbrauchskrise soweit wie kaum einer seiner Amtsbrüder. Er spricht von einer "Struktur des Bösen", die Konsequenzen für die Theologie haben muss. Wer das laut Wilmer früh erkannt hat, ist der von der Kirche verstoßene Eugen Drewermann.