"Das ist heute" – Die Liturgie der österlichen drei Tage
Alljährlich begehen Christen an den drei österlichen Tagen das Gedächtnis der Leiden Jesu, seines Sterbens und seiner Auferstehung. Das österliche Triduum ist gewissermaßen der Höhepunkt des ganzen Kirchenjahres, denn es verweist auf die Mitte unseres Glaubens. Die Liturgie dieser Tage ist daher auch reich gefüllt mit Symbolik, Gesten und Riten. Doch an den drei österlichen Tagen erinnern sich Christen nicht nur an das, was sich vor über 2.000 Jahren ereignet hat. Es wird vielmehr gegenwärtig in der feiernden Gemeinde präsent, was damals geschehen ist, es wird ins Hier und Heute geholt. In der Liturgie des österlichen Triduums wird dies an drei Stellen auf markante Weise deutlich. Wie dies zu verstehen ist und welche Art von "Erinnern" dabei anklingt, darum soll es im Folgenden gehen.
An drei Beispielen aus der Liturgie des österlichen Triduums wird deutlich, wie die Zeitdimensionen überschritten werden: Das erste entstammt der Abendmahlsmesse am Gründonnerstag. Hier erfahren die Einsetzungsworte (genauer: nur das Brotwort) einen Einschub, der im Kirchenjahr nur in dieser einen Eucharistiefeier vorgesehen ist. Es heißt: "Denn am Abend, an dem er ausgeliefert wurde und sich aus freiem Willen dem Leiden unterwarf – das ist heute –, nahm er das Brot und sagte Dank, brach es, reichte es seinen Jüngern und sprach: …". Ein weiteres Beispiel bietet die Eröffnungsoration des Karfreitags, die nach dem Einzug des liturgischen Dienstes mitten in die Stille des Raumes hineingesprochen wird: "Gedenke, Herr, der großen Taten, die dein Erbarmen gewirkt hat. Schütze und heilige deine Diener, für die dein Sohn Jesus Christus sein Blut vergossen und das österliche Geheimnis eingesetzt hat, der mit dir lebt und herrscht in alle Ewigkeit."
"Dies ist die Nacht"
Und schließlich ein kurzer Abschnitt aus dem Exsultet der Osternacht: "Dies ist die Nacht, die unsere Väter, die Söhne Israels, aus Ägypten befreit und auf trockenem Pfad durch die Fluten des Roten Meeres geführt hat. Dies ist die Nacht, in der die leuchtende Säule das Dunkel der Sünde vertrieben hat. Dies ist die Nacht, die auf der ganzen Erde alle, die an Christus glauben, scheidet von den Lastern der Welt, dem Elend der Sünde entreißt, ins Reich der Gnade heimführt und einfügt in die heilige Kirche. Dies ist die selige Nacht, in der Christus die Ketten des Todes zerbrach und aus der Tiefe als Sieger emporstieg. Wahrhaftig, umsonst wären wir geboren, hätte uns nicht der Erlöser gerettet.“
An diesen drei Beispielen wird deutlich, wie es in der Liturgie dieser Tage um unterschiedliche Zeitdimensionen geht. Während in der Gründonnerstagsliturgie und in der Osternacht das "Heute" betont wird, wird in der Oration des Karfreitags das Gedenken an die Vergangenheit und die Bitte für die Zukunft ins Wort gefasst. Damit sind die drei Dimensionen der Zeit umfasst, die für die Liturgie von Bedeutung sind: Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft. Diese drei Zeiten kommen in der Feier der Liturgie zusammen, das Vergangene wird gegenwärtig und zwar so, dass aus dieser gegenwärtigen Erfahrung die Zukunft gestaltet werden kann. Mit dem Fachwort "Anamnese" wird diese erfahrbare Vergegenwärtigung der Vergangenheit bezeichnet.
Zunächst geht es also um die Vergangenheit: Das Erinnern an die vergangenen Heilstaten Gottes ist nicht nur im Christentum wichtig, sondern spielt schon im Judentum eine herausragende Rolle. Wenn man die Gegenwart verstehen will, dann muss man in die Vergangenheit blicken und von ihr her die Zukunft gestalten. Prägnant kommt dies im Buch Deuteronomium im sogenannten "kleinen geschichtlichen Credo" zum Ausdruck (Dtn 26,5-9). In knapper Form werden hierin die Rettung Israels aus Ägypten und die Gabe des verheißenen Landes geschildert. Wenn das Volk Israel seine Identität sichern will, wenn es wissen will, wer es ist, dann muss es in die Vergangenheit blicken und von dort her versuchen, sich selbst zu verstehen.
Die Vergangenheit soll gegenwärtig werden
Insbesondere im Buch Deuteronomium werden sehr häufig die Verben "lernen" und "erinnern" verwendet: Das Deuteronomium konzipiert eine kollektive Mnemotechnik, mit der es Israel möglich wird, die normative Vergangenheit zu vergegenwärtigen und sich selbst neu als Gottesvolk zu konstituieren, das sich Gott als sein Privateigentum auserkoren hat. Besonders im Ritus des zum Pessach-Fest gehörenden Sederabends wird diese Anamnese bis heute augenfällig deutlich, fragt doch der jüngste Sohn den Vater: "Warum ist diese Nacht so anders als alle anderen Nächte?" In der Vergegenwärtigung des Ursprungs wird Identität gesichert, vom Erinnern der Vergangenheit wird aber auch ein anderes Handeln hier und heute möglich. Die erinnernde Vergegenwärtigung verändert das Heute und wirkt sich somit auch auf die Zukunft aus.
In der christlichen Liturgie wird dieses anamnetische Erinnern rezipiert: Jede Eucharistiefeier ist nicht nur ein bloßes Nachspielen eines uralten Ritus, sondern wirkliche Vergegenwärtigung von Jesu Leiden, seines Sterbens und Auferstehens. In einer ausdrucksvollen Weise kommt dies in der Liturgie der österlichen Tage zum Ausdruck: Freilich ist es nicht "heute", dass Jesus im Abendmahlssaal Brot und Wein an die Jünger austeilt und es auch nicht "diese" Nacht, in der Israel aus Ägypten ausgezogen ist. Diese Ereignisse sind mehr als tausende von Jahren vergangen. Auch genaue Termine sind unbekannt.
Darum geht es in der Liturgie aber auch nicht. Das "heute" meint vielmehr: Diese Ereignisse, an die wir uns erinnern, sind jetzt ebenso gegenwärtig präsent, wie sie es damals waren. Wir spielen das Abendmahl nicht nur nach, sondern wir vollziehen es so, dass Jesus unter uns selbst präsent ist und wir uns selbst in den Jerusalemer Abendmahlssaal hineinversetzt wissen. Gleiches gilt für die Osternacht, in der das Exsultet den großen Bogen von der Erinnerung an die gesamte Heilsgeschichte über die Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus bis hin zur eschatologischen Hoffnung schlägt. Die Geschehnisse des Exodus und der Auferstehung Jesu sind Vergangene; aber sie sind in "dieser" Osternacht so präsent gesetzt, als wären sie gegenwärtig, als wäre es wirklich "diese Nacht".
Das von Gott gewirkte Heil geht uns hier und heute an
Was heißt das aber jetzt für die feiernde Gemeinde, in deren Mitte sich diese Vergegenwärtigung vollzieht? Einerseits macht es deutlich, dass die Heilsgeschichte eine fortdauernde ist. Die "großen Taten, die Gottes Erbarmen gewirkt hat" sind die vergangenen Ereignisse, an die wir auf vielfältige Weise erinnert werden. Doch wir Menschen heute stehen mittendrin in dieser Heilsgeschichte: wie die Israeliten, die durch das Rote Meer gezogen sind; wie die Jünger im Abendmahlssaal; wie die Frauen in der österlichen Frühe am Grab. Wir sind ein Teil dieser Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen. Dass diese Ereignisse keine vergangenen sind, sondern gegenwärtige, heißt aber auch: Heil ist für uns heute erfahrbar. Gottes Güte, seine Liebe, Gnade und Barmherzigkeit sind nicht in der Zeitdimension der Vergangenheit verhaftet. Sie brechen ins Heute über uns herein und ermöglichen es, durch diese Erfahrung von Gottes heilbringender Nähe unsere Zukunft anders zu gestalten. Gottes Bundestreue gilt bis heute ungebrochen.
Die Vergegenwärtigung des damals von Gott gewirkten Heils geht unser Leben hier und heute an – und es bringt Konsequenzen für die Zukunft mit sich. Denn es reißt eine Hoffnung auf, die ein neues, anderes Leben einfordert. Der Blick richtet sich auf die endzeitliche Erlösung, auf das eschatologische Heil. Dorthin sind wir unterwegs. Der Geist Gottes, in dessen Kraft sich diese geheimnisvolle Vergegenwärtigung vollzieht, verbindet das Gottesvolk von damals mit dem heutigen Gottesvolk, durch sein Wirken wird unsere Gegenwart eine heilvolle. Und unsere Zukunft wird auf Gott ausgerichtet, der am Ende der Zeiten die Welt zur Vollendung und "alles in allem" sein wird (vgl. 1 Kor 15,28). Daran will uns besonders die Feier der drei österlichen Tage erinnern.