Ein Interview mit dem Religionsfreiheitsbeauftragten der Bundesregierung

"Den Glauben frei und ohne Angst leben"

Veröffentlicht am 19.07.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Religionsfreiheit

Berlin ‐ Markus Grübel ist der erste Bundesbeauftragte für Religionsfreiheit. Mit katholisch.de hat er über die dramatische Lage der Christen im Nordirak und religionsfeindliche Straftaten in Deutschland gesprochen.

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In ihrem Koalitionsvertrag hatten sich CDU, CSU und SPD im März darauf verständigt, in dieser Legislaturperiode erstmals das Amt eines Beauftragten für weltweite Religionsfreiheit zu schaffen. Nur knapp einen Monat später, am 11. April, hat der CDU-Bundestagsabgeordnete Markus Grübel das Amt übernommen. Im Interview zieht der 58-Jährige nach 100 Tagen eine erste Bilanz seiner Tätigkeit. Außerdem spricht er über das Land, dem er sich in den kommenden Jahren besonders intensiv widmen möchte, religionsfeindliche Tendenzen in Deutschland und seinen persönlichen Glauben.

Frage: Herr Grübel, seit 100 Tagen sind sie Beauftragter der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit. Wie fällt Ihre persönliche Zwischenbilanz nach dieser Zeit aus?

Grübel: Ich habe auf jeden Fall eine sehr spannende Tätigkeit übernommen, bei der man aber auch mit viel Leid konfrontiert wird. Die ersten 100 Tage waren für mich vor allem geprägt durch Gespräche mit Vertretern unterschiedlicher Religionsgemeinschaften, da ging es meist um ein erstes Kennenlernen. Unter anderem habe ich mich mit Vertretern der evangelischen und katholischen Kirche, mit Evangelikalen, mit Vertretern des Zentralrats der Juden und Mitgliedern der muslimischen Ahmadiyya-Gemeinschaft getroffen. Hilfreich war zudem auch der Katholikentag in Münster. Das war zum Start meiner Tätigkeit eine gute Gelegenheit, um Veranstaltungen zu den Themen Religionsfreiheit und Christenverfolgung zu besuchen und mit Menschen aus aller Welt ins Gespräch zu kommen. Besonders beeindruckt hat mich die Zusammenkunft mit dem auf der Arabischen Halbinsel tätigen Bischof Paul Hinder, der mir viel über die Situation der Katholiken dort erzählt hat.

Frage: Sie haben als Beauftragter auch schon eine erste Auslandsreise unternommen – in den Nordirak. Warum sind Sie gerade dort als erstes hingefahren?

Grübel: Weil der Nordirak eine Region ist, um die ich mich besonders kümmern möchte. Die Region steht in den kommenden Jahren vor der großen Herausforderung, eine gute Nachkriegsordnung aufzubauen und ein friedliches Miteinander der unterschiedlichen Religionen zu ermöglichen. Ich habe vor Ort mit Christen und Jesiden gesprochen, die in den vergangenen Jahren vor dem "Islamischen Staat" geflohen waren – diese Begegnungen haben mich sehr berührt.

Frage: Sie haben eben gesagt, dass Sie in den ersten Monaten als Beauftragter viele Gespräche mit Religionsvertretern geführt haben. Welche Reaktionen haben Sie bei diesen Begegnungen mit Blick auf Ihr neu geschaffenes Amt erlebt?

Grübel: Diejenigen, mit denen ich gesprochen habe, haben geradezu darauf gewartet, dass die Bundesregierung die Religionsfreiheit stärker in den Blick nimmt. Dass es jetzt einen konkreten Ansprechpartner für dieses Thema bei der Regierung gibt, wurde von allen meinen Gesprächspartnern sehr positiv bewertet.

Frage: Normalerweise kann man sich, wen man ein neues Amt übernimmt, an Vorgängern orientieren und an deren Arbeit anknüpfen. Das war bei Ihnen nicht so, da das Amt des Beauftragten für Religionsfreiheit in dieser Legislaturperiode erstmals eingerichtet wurde. Empfinden Sie das als Vorteil oder als Nachteil?

Grübel: Ich denke, dass die Chancen, die sich aus dieser Situation ergeben, deutlich überwiegen. Klar: Ich hatte zu Beginn meiner Tätigkeit keine Mitarbeiter, und es gab auch kein Archiv und keine Unterlagen, auf die ich hätte zurückgreifen können. Das bietet mir aber die Gelegenheit, das Amt nach meinen Vorstellungen auszugestalten und zu prägen.

Linktipp: Ein Katholik wird Beauftragter für Religionsfreiheit

In ihrem Koalitionsvertrag hatten sich Union und SPD darauf verständigt, das Amt eines Beauftragten der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit zu schaffen. Jetzt ist klar, wer die Aufgabe übernimmt. (Artikel von März 2018)

Frage: Sie haben eine Vergangenheit als Verteidigungspolitiker, zuletzt waren Sie Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Inwieweit hilft Ihnen das für ihr neues Amt?

Grübel: Es hilft mir insofern, als das es zwischen beiden Politikfeldern deutliche Überschneidungen gibt. In beiden Feldern geht es um Frieden, Freiheit und Sicherheit – nur mit dem Unterschied, dass es in der Verteidigungspolitik vorrangig um militärische Sicherheit geht, während in der Entwicklungspolitik die menschliche Sicherheit im Mittelpunkt steht. Darüber hinaus geht es häufig um dieselben Staaten. Ob Afghanistan, der Irak oder Somalia: Es gibt viele Länder, mit denen ich schon als Verteidigungs-Staatssekretär befasst war und die nun auch für meine neue Aufgabe als Beauftragter für Religionsfreiheit relevant sind.

Frage: Ein wichtiger Teil Ihrer Biografie ist auch Ihr christlicher Glaube; Sie sind engagierter Katholik. Spielt das für Ihre neue Tätigkeit eine Rolle?

Grübel: Selbstverständlich. Als gläubiger Christ kann ich mich gut in Menschen hineinversetzen, die ihren Glauben frei und ohne Angst leben möchten. Wenn es um Bedrohungen der Religionsfreiheit geht, bin ich sensibilisiert.

Frage: Der Kabinettsbeschluss, mit dem Ihr Amt im April geschaffen wurde, macht nur wenige inhaltliche Vorgaben. Als zentrale Aufgabe wird der Bericht zur weltweiten Lage der Religionsfreiheit genannt, den Sie künftig im zweijährigen Rhythmus erstellen sollen. Was sind darüber hinaus Ihre weiteren Aufgaben?

Grübel: Es geht vor allem darum, die Lage der Religionsfreiheit in der Welt zu beobachten und Gespräche mit Betroffenen, Akteuren und politisch Verantwortlichen zu führen. Ein Anliegen ist es mir darüber hinaus aber auch, den Menschen in Deutschland zu zeigen, dass die Religionsfreiheit weltweit oftmals bedroht ist. Ich möchte deswegen den Blick auf diejenigen Menschen lenken, die ihren Glauben nicht frei leben können. Es geht mir also auch um Bewusstseinsbildung. Wenn man sich zum Beispiel die Situation im Nordirak anschaut: Dort harren Christen und Jesiden, die wegen ihrer Religion verfolgt wurden, unter schwierigen Bedingungen in Flüchtlingslagern aus. Das Schicksal dieser Menschen darf uns nicht egal sein.

Frage: Sehen Sie speziell für das Christentum im Irak denn noch eine Zukunft? In den vergangenen Jahren hat immerhin die Mehrheit der Christen das Land wegen der schlechten Sicherheitslage verlassen.

Grübel: Das stimmt. Aber gerade deswegen müssen wir alles dafür tun, dass diese Menschen die Chance bekommen, in ihre Heimat zurückzukehren. Der Irak ist eine Wiege des Christentums und wir dürfen nicht zulassen, dass der "Islamische Staat" mit seinen ethnischen Säuberungen auf Dauer Erfolg hat.

Vor dem Terror der Miliz Islamischer Staat (IS) gerettete Jesiden im Nordirak.
Bild: ©picture alliance / AA/Emrah Yorulmaz

Christen und Jesiden mussten in den vergangenen Jahren vor dem "Islamischen Staat" aus ihrer Heimat im Irak fliehen. Die Budnesregierung möchte ihnen nun die Rückkehr ermöglichen.

Frage: Engagiert sich Deutschland in dieser Frage denn schon genug?

Grübel: Wir tun auf jeden Fall schon sehr viel; unser Engagement im Nordirak ist im Vergleich mit anderen Staaten hervorragend. Mossul ist jetzt genau ein Jahr vom IS-Terror befreit. Auch mit unserer Hilfe konnten bereits hunderttausende Iraker in die zerstörte Stadt zurückkehren. So haben wir die Trinkwasserversorgung wiederhergestellt und 180 Schulen für über 100.000 Kinder aufgebaut. Die Rückkehrer können zudem in unseren Aufbauprogrammen mitarbeiten. Wir unterstützen sie darüber hinaus bei der beruflichen Qualifizierung und Existenzgründung. Mit all diesen Maßnahmen ermöglichen wir den Menschen, die vor dem Krieg und dem "Islamischen Staat" geflohen sind, eine Rückkehr in ihre Heimat in Würde – auch aus Deutschland – und fördern so ein friedliches Miteinander der unterschiedlichen Religionen.

Frage: Deutschland ist eine Exportnation. Wirtschaftliche Fragen spielen in der Außenpolitik deshalb eine wichtige Rolle. Können Sie als Beauftragter für Religionsfreiheit vor diesem Hintergrund überhaupt frei agieren? Oder müssen Sie sich bei Ihrer Arbeit im Zweifel wirtschaftlichen Interessen beugen?

Grübel: Das wird sich zeigen. Spannend dürfte es vor allem werden, wenn der Entwurf meines ersten Berichts zur Lage der weltweiten Religionsfreiheit im Herbst kommenden Jahres mit den anderen Ministerien abgestimmt wird. Ob das Wirtschaftsministerium dann zum Beispiel Einwände gegen Formulierungen erhebt, die aus seiner Sicht vielleicht zu scharf sind und deshalb wirtschaftliche Interessen gefährden könnten. Ich hoffe aber nicht, dass es so kommt. Wenn der Bericht einen Sinn haben soll, müssen Einschränkungen der Religionsfreiheit klar benannt werden können. Sonst kann man sich den Bericht sparen.

Frage: Welche Rolle spielt vor diesem Hintergrund die Tatsache, dass Ihr Amt beim Entwicklungsministerium angesiedelt ist? Immerhin sind Sie damit Teil der Regierung und im Zweifel an Vorgaben aus dem Kanzleramt oder anderen Ministerien gebunden.

Grübel: Das sehe ich nicht so. Ich halte die Ansiedlung des Amtes in der Bundesregierung für gut und richtig. Schließlich kann die Regierung Erkenntnisse aus meinem Bericht direkt umsetzen. Darüber hinaus kann ich im Entwicklungsministerium auf eine gute Infrastruktur zurückgreifen. Seit 2016 gibt es hier im Haus eine Strategie zum Thema Religion und Entwicklung. Außerdem gibt es ein Menschenrechtsreferat, ein Referat für die Entwicklungszusammenarbeit der Kirchen und viele weitere Einrichtungen, die sich mit den Ländern beschäftigen, um die es auch bei meiner Tätigkeit geht. Das ist ein gutes Fundament, auf dem ich aufbauen kann und das mir meine Arbeit erleichtert. Aber noch einmal: Die Stunde der Wahrheit kommt, wenn der Entwurf meines Berichts vorgelegt wird und mit den Interessen der anderen Häuser abgestimmt werden muss. Erst dann wird sich zeigen, wie frei ich in meiner Amtsführung tatsächlich bin.

Frage: Ihr Mandat umfasst auch die Religionsfreiheit in Deutschland. Wie beurteilen Sie die Situation der Religionen hierzulande?

Grübel: Verglichen mit der prekären Lage der Religionsfreiheit in vielen anderen Teilen der Welt leben wir in Deutschland auf einer Insel der Seligen. Schließlich ist die Religionsfreiheit bei uns in der Verfassung garantiert. Trotzdem haben natürlich auch wir Probleme. Die Zahl religionsfeindlicher Straftaten ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Die Statistik weist für das vergangene Jahr 129 christenfeindliche, 1.075 islamfeindliche und 1.504 antisemitische Straftaten aus. Es gibt also auch bei uns Handlungsbedarf.

Artikel 4 des Grundgesetzes, graviert auf Glas
Bild: ©dpa/Wolfram Steinberg

Die Religionsfreiheit wird in Deutschland durch Artikel 4 des Grundgesetzes garantiert.

Frage: Vor allem antisemitische Straftaten haben zuletzt bundesweit wiederholt für Aufsehen und Empörung gesorgt. Was kann gegen solche Taten unternommen werden?

Grübel: Wir müssen klar benennen, dass solche Taten unseren Werten widersprechen und in Deutschland nicht geduldet werden. Jeder Jude muss, wenn er das möchte, in Deutschland eine Kippa tragen können, ohne irgendwelche Nachteile befürchten zu müssen. Wichtig ist darüber hinaus, schon in der Schule stärker zur Toleranz zu erziehen; das ist aus meiner Sicht ein ganz wichtiger Bildungsauftrag. Und nicht zuletzt müssen wir uns bei diesem Thema auch den Menschen stärker zuwenden, die in den vergangenen Jahren als Flüchtlinge zu uns gekommen sind.

Frage: In welcher Weise?

Grübel: Wir müssen im Rahmen der Integrationsmaßnahmen neben Sprachkursen stärker auch Informationen darüber anbieten, wie wir in Deutschland mit anderen Religionen, Meinungen oder sexuellen Orientierungen umgehen. Wir müssen klar machen, dass die Feindbilder, die viele Flüchtlinge aus ihren Herkunftsländern mit nach Deutschland gebracht haben, Zerrbilder sind und hierzulande nicht geduldet werden.

Frage: Würden Sie sich bei antisemitischen und anderen religionsfeindlichen Straftaten von deutschen Gerichten härtere Strafen wünschen?

Grübel: Unsere Gerichte sind unabhängig – diesen Grundsatz sollten wir nicht verwässern. Insofern steht es mir nicht zu, Forderungen an die Justiz zu stellen. Ganz grundsätzlich ist aber mein Eindruck, dass die Gerichte in Deutschland religionsfeindliche Straftaten nicht bagatellisieren.

Frage: Was steht konkret als nächstes auf Ihrer Agenda? Was sind die nächsten Schritte, die Sie mit Blick auf Ihr Amt geplant haben?

Grübel: In der kommenden Woche fliege ich zu einer internationalen Konferenz zum Thema Religionsfreiheit in die USA. Das bietet mir die Chance, mich auch international zu vernetzen und zu lernen, wie andere Länder bei diesem Thema aufgestellt sind und welche Schwerpunkte sie setzen. Bald danach reise ich dann zusammen mit dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit nach Myanmar und Bangladesch. Mein Thema dort wird die dramatische Situation der Rohingyas sein, die aus Myanmar vertrieben wurden. Das ist eine der dramatischsten Flüchtlingskrisen weltweit: 900.000 Flüchtlinge leben buchstäblich im Schlamm und versuchen, den jetzt einsetzenden heftigen Monsunregen zu überleben.

Frage: Ihr Amt ist an die Legislaturperiode geknüpft. Blicken wir also vier Jahre voraus: Was möchten Sie bis zum Ende der Legislaturperiode erreichen?

Grübel: Grundsätzlich kann es nur um kleine Schritte gehen. Wichtig wäre mir aber, dass wir es schaffen, im Nordirak eine Nachkriegsordnung zu etablieren, die ein friedliches Miteinander, mindestens aber ein friedliches Nebeneinander, der Menschen unterschiedlicher Religionen ermöglicht. Darüber hinaus möchte ich durch meine Arbeit erreichen, dass die Bundesregierung bei ihren Aktivitäten und Entscheidungen immer auch deren Auswirkungen auf religiöse Minderheiten berücksichtigt. Wenn wir es schaffen, dass hier ein entsprechendes Bewusstsein wächst, wäre schon viel erreicht.

Von Steffen Zimmermann

Zur Person

Markus Grübel (*1959) ist seit April 2018 Beauftragter der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit. Zuvor war der CDU-Politiker, der seit 2002 als direkt gewählter Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Esslingen Mitglied des Bundestags ist, Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Grübel ist katholisch und in der Kirche unter anderem als Mitglied der Kolpingsfamilie Esslingen sowie als Lektor und Kommunionhelfer engagiert. Außerdem war er Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und im Diözesancaritasrat des Bistums Rottenburg-Stuttgart.