Warum wir uns im Gottesdienst die Hand geben

Der Friedensgruß: Sinnvoll oder lästig?

Veröffentlicht am 01.09.2017 um 13:26 Uhr – Lesedauer: 
Liturgie

Bonn ‐ Viele Gläubige haben keine Probleme mit ihm, während andere ihn als unangenehmen Zwang empfinden: Der Friedensgruß während der Eucharistiefeier ist zweifellos eine Geste, die Katholiken polarisiert.

  • Teilen:

Der linke Sitznachbar hustet unaufhörlich in die eigene Hand, den rechten konnte man noch nie so richtig leiden – und dann das: "Gebt einander ein Zeichen des Friedens und der Versöhnung." Was nun? Bazillen von links in Kauf nehmen, und nach rechts ein unaufrichtiges Händeschütteln? Der Friedensgruß während der Messe bringt wohl nicht wenige Gläubige hin und wieder in eine unangenehme Situation: Die entgegengestreckte Hand kann man kaum ablehnen, gleichzeitig existieren vermeintlich gute Gründe sie nicht zu ergreifen. Ein Dilemma. Und so mancher wünscht sich, der Priester würde nicht zu diesem Gruß auffordern.

Doch nicht allein den Gläubigen bereitet die Geste zuweilen Kopfzerbrechen. Sie stand in jüngerer Vergangenheit auch im Fokus von Überlegungen der Kirchenleitung. So hatte sich die Weltbischofssynode über die Bedeutung der Eucharistie im Jahr 2005 unter anderem mit dem Friedensgruß befasst. Im Schlussdokument "Sacramentum caritatis" vom Februar 2007 schrieb Papst Benedikt XVI., es sei zweckmäßig, "diese Geste, die übertriebene Formen annehmen und ausgerechnet unmittelbar vor der Kommunion Verwirrung stiften kann, in Grenzen zu halten". Er ordnete entsprechend eine Überprüfung des Friedensgrußes durch die Gottesdienstkongregation an.

Wenn nun Probleme damit einhergehen, wäre die Geste dann nicht auch verzichtbar? Fest steht, dass die Zeichenhandlung sich auf uralte Wurzeln berufen kann. Schon das Judentum kannte in vorchristlicher Zeit einen sogenannten "Friedensgruß". In mehreren Passagen des Alten Testament wird die Geste als besondere Form der Ehrerbietung angewendet. So ließ etwa Toï, der König von Hamat, König David den Friedensgruß überbringen und ihm gleichzeitig zu einem militärischen Sieg gratulieren (2 Sam 8,10 und 1 Chr 18,10). Deutlich wird aber, dass diese spezielle Art des Grußes in alttestamentlicher Zeit anscheinend bedeutenden Personen vorbehalten war. Es handelte sich demnach um keine Begrüßung für den "kleinen Mann".

Notwendigkeit einer Versöhnungsgeste

Das änderte sich mit dem Christentum. In den frühchristlichen Gemeinden öffnete sich die Geste gewissermaßen für jedermann. Dabei konnte man sich auf Jesus selbst berufen, der gesagt hatte: "Wenn ihr in ein Haus kommt, dann wünscht ihm Frieden" (Mt 10,12). Das entsprechende Zeichen war der Kuss. Zum Friedensgruß ruft auch immer wieder der Apostel Paulus auf, wenn er die Gemeinden in seinen Briefen bittet: "Grüßt einander mit dem heiligen Kuss" (Röm 16,16, 1 Kor 16,20, 2 Kor 13,12). In der mediterranen Welt war ein Kuss zur Begrüßung von Verwandten und Freunden obligatorisch und ist es vielerorts bis in die Gegenwart.

Bild: ©KNA

Von einer Umarmung über das klassische Händeschütteln bis hin zu einem Kuss: Heute gibt es verschiedene Formen des Friedensgrußes.

Neben dem Gebrauch im Alltag fand die Zeichenhandlung auch sehr früh Eingang in die Eucharistiefeier. Die "Apostolischen Konstitutionen", ein mehrbändiges, kirchliches Dokument aus dem vierten Jahrhundert, etwa geben die gottesdienstliche Anweisung: "Es grüße der Bischof die Kirche und spreche: Der Friede Gottes sei mit euch allen! Und das Volk antworte: Und mit deinem Geiste! Der Diakon aber spreche zu allen: Grüßet einander in heiligem Kusse! Und es küssen die Kleriker den Bischof, die männlichen Laien die Laien, die Frauen die Frauen."

Dass ein solcher Gruß in der Messe notwendig ist, lässt sich aus einer Stelle des Matthäus-Evangeliums ableiten: "Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe" (Mt 5,23f). Jesus selbst betont hier also die Notwendigkeit einer Versöhnungsgeste vor beziehungsweise in einem Gottesdienst.

Wird das Jesus-Wort wörtlich genommen, muss die Friedensgeste sogar noch vor der Gabenbereitung – bevor also die Gaben "zum Altar" gebracht werden – erfolgen. Ursprünglich hatte der heilige Kuss deshalb auch seinen Platz im Wortgottesdienst – etwa am Ende der Fürbitten, wie die Kirchenväter Justin und Hippolyt für das zweite und dritte Jahrhundert bezeugen. Tertullian verstand den Gruß entsprechend als "Besiegelung" des Gebets der Gläubigen. Teilweise wurde der Gruß auch bereits zu Beginn der Messe ausgetauscht. Ab der Zeit Papst Gregors des Großen (590 bis 604) war der Friedensgruß in der Messfeier dann unmittelbar vor dem Kommunionempfang angesiedelt – wie noch heute.

Nur noch für den Klerus

Der Friedenskuss war ursprünglich eine Geste, die allen Gottesdienstteilnehmern zukommen sollte. So sprach der Priester den Friedenswunsch mit ausgebreiteten Armen über die anwesende Gemeinde und die Nächststehenden tauschten den Kuss untereinander aus. Als Zeichen, dass der gewünschte Friede seinen Ursprung in Christus hat, wurde es ab karolingischer Zeit Brauch, dass der Priester zunächst Hostie, Patene und Kelch küsste. Anschließend gab er den Kuss an seine Diener im Altarraum weiter, hiernach folgte der Austausch des Kusses in der Gemeinde.

Ab dem 13. Jahrhundert wurden vielerorts auch sogenannte "Paxtafeln" eingesetzt: Täfelchen aus Holz, Metall oder Elfenbein. Der Priester küsste zunächst den Altar, dann die Tafel. Diese wurde anschließend unter den Gläubigen weitergereicht und von ihnen geküsst. Eine Art Stellvertretung für einen zwischenmenschlichen Kuss.

Player wird geladen ...
Video: © katholisch.de

Die Eucharistie soll im Vordergrund stehen, und darum muss der Friedensgruß in Zukunft nüchterner ausfallen. Katholisch.de hat Gläubige gefragt, was sie von der neuen Vorschrift aus Rom halten.

Im ausklingenden Mittelalter ging man dazu über, dass der Friedensgruß nur noch im Altarraum ausgetauscht wurde, nicht mehr von den Gläubigen. Außerdem bildete sich immer mehr ein stilisierter Kuss heraus: der sogenannte Amplexus – die Umarmung mit Annäherung der Wangen, die noch heute unter Klerikern üblich ist. So hatte sich die Praxis gewissermaßen wieder zurückgebildet: Wie zu alttestamentlichen Zeiten schien der Friedensgruß den "Oberen" vorbehalten.

Rückkehr mit dem Zweiten Vatikanum

Erst das Zweite Vatikanische Konzil (1962 bis 1965) führte mit seiner Liturgiereform das Friedensgebet, den Friedenswunsch des Priesters und die Friedensgeste aller Gottesteilnehmer untereinander wieder zusammen. In diesem Friedensritus erfleht "die Kirche Frieden und Einheit für sich selbst und die ganze Menschheitsfamilie" und die Gläubigen bezeugen "einander die kirchliche Gemeinschaft und die gegenseitige Liebe", ehe sie das Sakrament der Eucharistie empfangen – so die Grundordnung des Römischen Messbuchs (GRM 82). Die Form des Friedenszeichens sei "von den Bischofskonferenzen entsprechend der Eigenart und den Bräuchen der Völker zu bestimmen". So gibt es heute unterschiedliche Arten des Friedensgrußes: vom Kuss über eine Umarmung bis hin zum klassischen Händeschütteln, das im deutschsprachigen Raum der Normalfall ist – gepaart mit den Worten "Der Friede sei mit dir".

"Es ist aber angebracht, dass jeder nur mit den Nächststehenden auf schlichte Weise das Friedenszeichen austauscht", führt die GRM weiter aus. Das betonte auch noch einmal die Gottesdienstkongregation nach Abschluss ihrer Überprüfung, die Benedikt XVI. angeordnet hatte. Das entsprechende Dokument erschien erst 2014 unter Papst Franziskus. Darin wurden Überlegungen, den Friedensgruß auf einen anderen Zeitpunkt zu verlegen – zum Beispiel vor den Gabengang wie in der frühen Kirche – ad acta gelegt. Wohl aber verlangt das Rundschreiben der Kongregation, dass die Geste in nüchternerer Form als bislang ausgetauscht werden solle und Unruhe dabei zu vermeiden sei.

Egal, wie man nun dazu steht: Der Friedensgruß hat seine Berechtigung – ja, er ist notwendig – und wird deshalb in der Kirche seit frühester Zeit praktiziert. Er erinnert die Gläubigen daran, dass, wenn sie in voller Gemeinschaft mit Christus stehen wollen, sie zuerst Gott lieben müssen "mit ganzem Herzen und ganzer Seele", allen Gedanken und aller Kraft; dass sie aber gleichzeitig auch ihren Nächsten lieben sollen wie sich selbst (Mk 12,30f). Und das schließt eben auch jenen rechten Sitznachbarn bei der Messe ein, den man eigentlich nie so richtig mochte.

Von Tobias Glenz