"Der Papst nimmt die Strafmöglichkeiten sehr ernst"
Frage: Pater Zollner, welches Zeichen hat der Papst mit dieser Entlassung aus dem Kardinalsstand gesetzt?
Zollner: Der Papst setzt ein sehr klares Zeichen, dass niemand vom normalen Verlauf der kirchlichen Gerichtsbarkeit ausgeschlossen ist, dass keine Anschuldigungen unterdrückt oder vertuscht werden. Jeder muss sich der Verantwortung stellen, in diesem Fall ein Kardinal, der frühere Erzbischof von Washington, also ein Vertreter der höchsten Stufe der priesterlichen und bischöflichen Hierarchie. Das zeigt, dass Papst Franziskus die kirchlichen Strafmöglichkeiten sehr ernst nimmt und es um Transparenz auf allen Ebenen geht. Der Rücktritt McCarricks ist die Konsequenz dessen, dass die rechtlichen Normen tatsächlich greifen und eingehalten werden und dass Leute sich mittlerweile auch bestärkt fühlen, diese Dinge öffentlich zu machen. Das war vor zehn oder zwanzig Jahren noch nicht so.
Frage: Einen ähnlichen Fall wie nun bei McCarrick gab es bisher in der jüngeren Geschichte der Kirche eher selten, etwa 2015 bei dem schottischen Kardinal Keith Michael Patrick O'Brien...
Zollner: Bei Kardinal O'Brien lag die Sache etwas anders, er ist nicht aus dem Kardinalskollegium ausgeschieden. Bis zu seinem Tod blieb er Kardinal, auch wenn er nicht mehr öffentlich wirken konnte. Dass ein Kardinal komplett aus dem Kardinalsstand ausscheidet, ist seit mehr als 90 Jahren zum ersten Mal geschehen.
Frage: Wie erklären Sie sich die unterschiedliche Handhabung der beiden Fälle?
Zollner: Meiner Ansicht nach sind die Anschuldigungen gegen McCarrick viel umfangreicher und schließen auch Vorwürfe des Missbrauchs Minderjähriger ein. Bei Kardinal O'Brien ging es "nur" um den Missbrauch Erwachsener. Überraschend kam diese Entwicklung für mich persönlich jetzt nicht, nachdem wir schon seit den letzten 25, 30 Jahren wissen, dass Menschen in der Kirche übergriffig werden und das auch vor Kardinälen nicht Halt macht. Wir hatten vor O'Brien schon in den 1990er-Jahren den Fall des damaligen Erzbischofs von Wien, Kardinal Hans Hermann Groer. Auch er musste zurücktreten und ein zurückgezogenes Leben in Buße führen.
Frage: Wie geht es jetzt konkret mit McCarrick weiter?
Zollner: Ich bin kein Kirchenrechtler und nicht an dem Verfahren beteiligt. Ich vermute, es wird allein schon wegen des öffentlichen Interesses bald behandelt. Man wird sehen, ob die Glaubenskongregation im Vatikan das Verfahren an sich zieht oder ein Kirchengericht in den USA tätig wird.
Frage: Was könnte am Ende dieses Prozesses stehen - auch eine Entlassung aus dem Priesterstand, sozusagen die Höchststrafe im Kirchenrecht?
Zollner: Das ist gut möglich.
Frage: Der Vorsitzende der Päpstlichen Kinderschutzkommission, der Bostoner Kardinal Sean O'Malley, hatte Defizite beim Umgang mit Missbrauchsvorwürfen bzw. -taten bei Bischöfen und Kardinälen eingeräumt. Was könnte besser gemacht werden?
Zollner: Das, was man immer besser machen kann, wenn es um Missbrauchsanschuldigungen geht: Die Opfer so früh wie möglich ernst nehmen, ihnen zuzuhören und zu glauben. Das ist auch im Fall von McCarrick nicht geschehen. Den Vorwürfen muss konsequent nachgegangen werden und wenn sie sich als berechtigt erweisen muss der weitere Fortgang - rechtliche Aufarbeitung, Gerichtsbarkeit und Bestrafung - so durchgeführt werden, wie das gemäß dem Kirchenrecht möglich ist.