Hugo Rahner: Der Jesuit, der das christliche Abendland erneuern wollte
"Sind Sie der Bruder des berühmten Rahner?", wurde Hugo Rahner einmal gefragt. "Nein, das ist mein Bruder", so seine ironische Antwort. Auch wenn in der Theologie hauptsächlich die Auseinandersetzung mit dem Werk Karl Rahners in den letzten Jahrzehnten vorrangig war, so darf man seinen Bruder Hugo nicht vergessen. Denn tatsächlich war er es, der in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts der berühmtere der beiden Brüder war. "Wer damals rühmend den Namen 'Rahner' erwähnte, dachte dabei eher an Hugo Rahner", so der Münsteraner Philosoph Josef Pieper. Und Georg Wagner bezeichnete Hugo Rahner anlässlich seines 60. Geburtstages gar als einen "der wirkkräftigsten Theologen der Katholischen Kirche der Gegenwart". Heute vor fünfzig Jahren ist Hugo Rahner von der Öffentlichkeit weitgehend vergessen in München verstorben. Ein Grund, sich an ihn zu erinnern und den Grundzügen seiner theologischen Forschungsarbeit nachzugehen.
Hugo Rahner wurde am 03. Mai 1900 in Pfullendorf im Landkreis Sigmaringen geboren. Seine Eltern waren der Studienrat Karl Rahner (1868-1934) und Luise Rahner, geb. Trescher (1875-1976), Hugo kam als drittes von insgesamt sieben Kindern zur Welt. 1908 zog die Familie Rahner nach Freiburg im Breisgau, wo der Vater als Professor für Deutsch, Geschichte und Französisch am Lehrerseminar erhielt. Eine besondere Prägung erhielt Hugo nicht nur vom Vater, von dem er sich für die geschichtliche Wahrheit begeistern ließ, sondern auch von seinem Lateinlehrer, der in ihm die Liebe zur lateinischen Dichtung weckte. Die Begeisterung für Geschichte und für die humanistische Bildung wurde in der Jugendzeit Hugo Rahners grundgelegt. Sie sollte ihn sein ganzes Leben lang begleiten.
Kurz nach dem Ersten Weltkrieg wird er Jesuit
1918 legte Rahner seine Reifeprüfung ab und wurde zum Militärdienst eingezogen, der allerdings aufgrund des bereits abklingenden Ersten Weltkriegs nur ein halbes Jahr dauerte. Bereits am 11. Januar 1919 trat Hugo Rahner in den Jesuitenorden ein; drei Jahre später folgte ihm sein Bruder Karl auf diesem Weg. Über seine Berufung zum Ordensleben sagte Hugo Rahner rückblickend in einem Vortrag: "Ich kann mich noch heute der Stunde erinnern, als mir im Alter von sechzehn Jahren in der stillen Besinnung der Geistlichen Übungen Christus der Herr 'aufging', als ich mein Herz wie aus einem dumpfen Traum erhob zur Wachheit der Erkenntnis Gottes, mitten aus der bisherigen Selbstverständlichkeit des Geborgenseins in der Familie und in der Kirche. Das war wie eine Ritterweihe." Das Noviziat führte Rahner nach Tislis bei Feldkirch (Vorarlberg) und schließlich nach Valkenburg in Holland, wo er das Philosophiestudium absolvierte. Als er 1923 nach Feldkirch zurückkehrte, um im dortigen Kolleg "Stella Matutina" als Lehrer und Erzieher zu arbeiten, durfte er seinen Bruder Karl in Philosophie unterrichten. Nach seinem Theologiestudium in Innsbruck und der Priesterweihe, die Hugo Rahner 1929 vom Münchener Erzbischof Michael Kardinal Faulhaber empfing, begann er 1931 seine Promotion über das altchristliche Taufritual.
Vom Jesuitenorden für die wissenschaftliche Laufbahn vorgesehen, wurde Rahner nach Bonn geschickt, um beim Historiker Wilhelm Levison eine zweite Dissertation über gefälschte Papstbriefe aus dem 5. Jahrhundert anzufertigen. Prägend für sein ganzes akademisches Arbeiten war, wie er selbst in seinen Erinnerungen festhält, die Begegnung mit dem Religionsgeschichtler Franz Joseph Dölger. Für Rahner eröffnete sich immer mehr der Rahmen, in dem seine "katholische religionsgeschichtliche Methode" Anwendung fand. Zurück in Innsbruck habilitierte sich Hugo Rahner 1935 für Kirchengeschichte und Patrologie; zwei Jahre später übernahm er den Lehrstuhl für Kirchengeschichte, Patrologie und Dogmengeschichte.
Unter den Nazis aus dem Dienst entlassen
Die Lehrzeit Rahners an der Innsbrucker Fakultät war nur von kurzer Dauer, denn aufgrund der Wirren des nationalsozialistischen Regimes wurden die Ordinarien im März 1938 aus ihrem Dienst entlassen. Ein Teil der Professoren, so auch Hugo Rahner, fand in Sitten (Wallis) Unterschlupf, wo der dortige Bischof während der Kriegsjahre eine "Facultas Canisiani" betrieb. Rahner selbst blickt zufrieden auf die Jahre im Exil zurück: Es waren "die schönsten Jahre meines wissenschaftlichen Lebens, und ich fühlte mich vom Himmel begnadigt, dass ich während des furchtbaren Ringens der Völker still und leidenschaftlich hinter den Bänden der Kirchenväter sitzen konnte". In dieser Zeit erscheinen auch zwei bedeutende Werke Rahners: die "Abendländische Kirchenfreiheit" und die "Märtyrerakten des zweiten Jahrhunderts".
Mit der Wiedereröffnung 1945 begann während der Nachkriegsjahre eine große Blütezeit der Innsbrucker Fakultät. Sie war vor allem dem Liturgiewissenschaftler Josef Andreas Jungmann geschuldet, in besonderer Weise waren aber auch die Brüder Rahner daran beteiligt. Emerich Coreth, seinerzeit Ordinarius für Christliche Philosophie, war voll des Lobes über Hugo Rahner: "P. Hugo Rahner war nicht nur ein Profunder Kenner der Patristik und der Kirchengeschichte, auch Ignatianischer Spiritualität, sondern auch ein glänzender Redner und hervorragender Professor. Jede seiner Vorlesungen war ein Erlebnis, das den Hörern neue Aspekte und Horizonte geschichtlichen Verstehens und christlichen Glaubens erschließen konnte." Weit weniger begeistert fällt hingegen sein Urteil über Karl Rahner aus: "Ganz anders sein jüngerer Bruder P. Karl Rahner, der ein problematisch grübelnder, alles hinterfragender (…) Theologe war."
Erneuerung des christlichen Abendlands
Neben seiner Arbeit an der Fakultät entfaltete Hugo Rahner eine reiche Vortragstätigkeit. Zu allen möglichen Anlässen und Gelegenheiten war er aufgrund seiner rhetorischen Fähigkeiten ein gefragter Redner. Besonders die Erneuerung des christlichen Abendlandes lag Hugo Rahner am Herzen. In ihr sah er die einzige Möglichkeit, die vielen kursierenden Ideologien und die Idee des Humanismus zu überwinden. In vielen Aufsätzen, Vorträgen und Vorlesungen entfaltete er diesen Gedanken. Bereits 1951 gab Hugo Rahner ein bedeutendes Büchlein zur Mariologie heraus, ein seinerzeit weitaus vergessenes Thema, das aber nachdrücklich die mariologische Orientierung innerhalb der Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils beeinflusst haben dürfte. Einen Ruf an die päpstliche Universität Gregoriana lehnte Rahner übrigens ab. Wohl zu groß war die Verbindung zu seiner Wahlheimat Österreich und zum Haus Habsburg. Immerhin war er lange Zeit Hauskaplan und Beichtvater des Althochmeisters des Deutschen Ordens, Erzherzog Eugen von Habsburg. In seiner Hauskapelle feierte Hugo Rahner regelmäßig die Eucharistie.
Kurz vor seinem 60. Geburtstag kristallisierten sich bei Hugo Rahner die Anzeichen einer Parkinson-Erkrankung heraus. Nur kurze Zeit später, im März 1962, musste er aufgrund eines Schlaganfalls seine Vorlesungstätigkeit an der Fakultät aufgeben. Durch die Unterstützung seiner Mitarbeiter und Assistenten gelang es ihm noch, seine wichtigsten wissenschaftlichen Arbeiten zu sammeln und in drei Bänden herauszugeben. Zwei Jahre später siedelte Rahner nach München über, wo er die letzten Lebensjahre im Schriftstellerhaus der Jesuiten verbrachte. Zum 65. Geburtstag erhielt Hugo von seinem Bruder Karl einen stärkenden Brief, in dem er schrieb: "Die Schatten des Abends, die uns das ewige Licht ankündigen, sind doch noch nicht die Nacht, in der niemand mehr wirken kann, sondern gehören noch zum Tag, an dem wir unverdrossen, wenn auch mühselig, weiterwirken sollen. Du hast noch einiges vor. Lass nicht ab. Mach weiter…" Am 21. Dezember 1968, am Vorabend des vierten Adventssonntags, ist Hugo Rahner im Münchner Klinikum Rechts der Isar verstorben. Auf dem Friedhof des Berchmannskollegs in Pullach wurde er beigesetzt.
Man kann Hugo Rahners Leben und theologisches Wirken nicht befriedigend zusammenfassen. Zu unterschiedlich sind die Bereiche, in denen er geforscht und gewirkt hat. Obwohl er eigentlich seinen Schwerpunkt in der Patristik hatte, beschränkte er seine Forschungstätigkeit nie allein auf die Historie. Er empfang sich selbst – und das legen seine Schriften nahe – als Theologe, der im Blick auf die Vergangenheit die notwendigen Schlüsse für gegenwärtiges Handeln und Denken zog. Besonders seine Theologie des Abendlands, die "den innersten Kern" seines Arbeitens bildete, besitzt gerade heute eine neue Aktualität. Es ist zumindest wünschenswert, dass man mit dem Namen Rahner nicht automatisch Karl Rahner verbindet, sondern auch das Wirken Hugo Rahners neu entdeckt und in den derzeitigen Diskurs einbezieht.