Befreiungstheologe Boff über sein Verhältnis zu Benedikt XVI.

"Ich musste auf denselben Stuhl wie einst Galilei"

Veröffentlicht am 07.04.2017 um 13:45 Uhr – Lesedauer: 
Leonardo Boff im Porträt.
Bild: © KNA
Kirche

Rio de Janeiro ‐ Der Brasilianer Leonardo Boff (78) hatte als Student eine enge Beziehung zu seinem Mentor Joseph Ratzinger. Anfang der 80er Jahre erteilte ihm die von Ratzinger geleitete Glaubenskongregation jedoch ein Lehrverbot. Trotzdem bezeichnet Boff den späteren Papst im Rückblick als "feine Person".

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Frage: Herr Boff, wie würden Sie Ihre Beziehung zum damaligen Kardinal Joseph Ratzinger beschreiben?

Boff: Es gibt zwei Phasen in meiner Beziehung zu ihm. In der ersten Phase war er ein bekannter und sehr intelligenter Professor. Er war immer eine feine Person, und ich habe als Student in München etliche Vorträge von ihm gehört. Später haben wir gemeinsam an der Theologiezeitschrift "Concilium" gearbeitet. Alle machten da stets eine Siesta, er aber nicht. Da hat er mich zu Spaziergängen eingeladen, bei denen wir über Theologie und über die Situation Lateinamerikas redeten. Wir waren tatsächlich befreundet. Derart, dass er für meine Doktorarbeit, die niemand veröffentlichen wollte, einen Verleger fand. Zudem hat er mir 14.000 DM für die Veröffentlichung gegeben. Im Vorwort habe ich mich dafür bei ihm bedankt. Das ist die erste Phase.

Papst Benedikt XVI. winkt vom Balkon auf den Petersplatz.
Bild: ©KNA

Papst Benedikt XVI. winkt in prächtiger Kleidung vom Balkon auf den Petersplatz.

Frage: Dann kam aber der Bruch.

Boff: Ich habe ihn immer geschätzt als Theologen, er war eine feine Person. Aber die zweite Phase als Präfekt der Glaubenskongregation ist ein bisschen umstritten, weil er mich zu sich zitierte. Ich musste mich auf denselben Stuhl setzen, auf dem zuvor Galileo Galilei (1564-1642) und Giordano Bruno (1548-1600) gesessen hatten. Das war ein richtiger kanonischer, juristisch-doktrinärer Prozess. Es ging um mein Buch "Kirche: Charisma und Macht". Ich habe "und" geschrieben, nicht "oder". Charisma UND Macht, beides zusammen. Ratzinger fand, dass meine Art zu schreiben eher protestantisch als katholisch sei. Ich hatte ein bisschen Kritik geübt an der internen Praxis der Kirche. Es ging also nicht um unterschiedliche Lehren, sondern um meine allzu kritische Haltung gegenüber der Kirche.

Ich habe ihn trotzdem immer als Person und als Theologe geschätzt, denn ich habe verstanden, dass er nach der Logik der Glaubenskongregation verdammt war, mich zu zensieren. Jedes Mal wenn Journalisten Herrn Ratzinger später fragten, wie es mit Boff stehe, sagte er meist: Boff ist ein frommer Theologe. Und er wird eines Tages wieder zurückkommen zur guten Lehre der Kirche.

Frage: Was wünschen Sie ihm zu seinem 90. Geburtstag?

Boff: Zu seinen 90 Jahren wünsche ich ihm noch Gesundheit, Klarheit des Geistes, dass er stets ein Zeugnis der Treue, des Dienstes an der Kirche und an der Menschheit ist. Er musste aufgeben aufgrund des starken Drucks von Seiten der Amtskirche. Aber er ist stets ehrlich, und deswegen schätze ich ihn. Ich hoffe, dass er weiter Papst Franziskus unterstützt, wie er es immer getan hat. Wenn ich Papst Franziskus einmal treffen werde - er hat mich ja schon eingeladen - möchte ich auch Kardinal Ratzinger, den Papst Benedikt XVI., umarmen, um eine Art Versöhnung zu erreichen. Ich wünsche ihm, dass er weiterlebt und -denkt, um weiterhin ein Zeugnis des Glaubens abzugeben.

Frage: Gab es denn jemals eine Aussprache mit ihm?

Boff: Nein, nach dem Prozess habe ich ihn nie wieder getroffen. Ab und zu hat er mich kritisiert, aber das waren theologische Fragen. Er hat immer darauf bestanden, dass die katholische Kirche die einzige Kirche Christi sei. Ich aber sagte, dass die Kirche Christi konkret in der katholischen Kirche existiert, aber auch in den anderen. Denn auch sie stehen im Erbe Jesu Christi. Darüber ging unsere Diskussion, und dagegen hat er angeschrieben, wie im Jahr 2000 in der Erklärung "Dominus Iesus" (Über die Einzigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche). Aber trotz allem hat er immer seine Eleganz, seine Fairness bewahrt.

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. gemeinsam mit Papst Franziskus.
Bild: ©dpa/Osservatore Romano / Eidon

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. gemeinsam mit Papst Franziskus vor "Mater Ecclesiae", dem ehemaligen Kloster, in dem Benedikt XVI. wohnt.

Frage: Welche Veränderungen sind nun unter Franziskus spürbar?

Boff: Vieles ist anders geworden. Denn er ist nun mal kein europäischer Papst, sondern kommt aus der Peripherie - aus der kolonialisierten Kirche, die ein anderes soziales und kirchliches Milieu hat. Es ist eine Kirche, die an sozialer Gerechtigkeit sehr interessiert ist und die die Option für die Armen ernstgenommen hat. Diese Vision hat Franziskus ins Zentrum der Kirche gebracht. Daher betont er stets, dass wir die zwei Schreie hören müssen: den Schrei der Armen und den Schrei der Erde. Seine Enzyklika betont ja, dass wir diese beiden Schreie zusammen hören müssen - denn beide werden unterdrückt und müssen befreit werden. In diesem Sinne hat er eine andere Atmosphäre gebracht, mehr Hoffnung, mehr Einfachheit und nicht so sehr Lehre und Disziplin. Eher ein Zusammentreffen mit Jesus.

Dazu kommt das Thema Barmherzigkeit. Er hat einen Satz gesagt, der uns Theologen zum Nachdenken bringt: Es gibt keine immerwährende Verdammung. Es gibt die Gottesgerechtigkeit, aber sie wird durch die Barmherzigkeit überwunden. Das bringt eine Erleichterung für so viele Christen, die Angst vor der Hölle haben. Der Papst hat diese neue Atmosphäre gebracht - fast eine Frühlingsatmosphäre.

Frage: Gleichzeitig leben wir in einer Welt voller Konflikte, die auch religiöse Elemente haben. Was kann Papst Franziskus dabei bewirken?

Boff: Papst Franziskus hat ein religiöses und zugleich politisches Profil. Religiös im Sinne seiner Offenheit, die Kirche als eine Art Kriegslazarett anzusehen: offen für alle Verwundete, egal ob Muslim oder Christ. Politisch gesehen setzt er sich ständig für Dialog und Frieden ein. Er ist damit ein Referenzpunkt für die Politik. Es gibt einen Mangel an Propheten, an profilierten Personen, die für die Welt sprechen können. Neben dem Dalai Lama ist Franziskus eine der Personen, die Licht in die Welt bringen.

Frage: Trotzdem - wir erleben große Gegensätze, der Papst sagt sogar, dass wir vielleicht vor dem Dritten Weltkrieg stehen.

Boff: Wir sind in einer Übergangsphase, von einer alten Welt in eine neue mit planetarischem Bewusstsein. Wir sehen, dass wir nur ein einziges, gemeinsames Haus haben und dass wir alle gemeinsam dafür verantwortlich sind. Die Umweltenzyklika "Laudato si" ist in diesem Sinne geschrieben, um diese Mutter Erde zu bewahren. Die Enzyklika richtet sich an alle Welt mit der Botschaft: Wenn wir zusammenstehen, können wir das Schlimmste verhindern.

Von Thomas Milz (KNA)

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