"Magnificat": Mit Maria singen
In diesem Lied kommt das Wort Maria kein einziges Mal vor und dennoch ist es ein Marienlied durch und durch: "Meine Seele preist die Größe des Herrn", das ist der Anfang des Lobgesangs Mariens aus dem Lukasevangelium (Lk 1,46-55). Die schwangere Jungfrau besucht ihre Verwandte Elisabet, die ebenfalls ein Kind erwartet – Johannes den Täufer. Auf den freudigen Gruß Elisabets antwortet Maria mit dem bekannten Lobpreis "Meine Seele preist den Herrn". Nach dem lateinischen ersten Wort des Loblieds "Magnificat anima mea Dominum" wird der gesamte Hymnus Magnificat/Magnifikat genannt. Es ist also kein Lied über Maria, sondern ein Lied, das mit Maria zu Gott hin gesungen und gebetet wird.
In der Liturgie der Kirche hat das Magnificat täglich seinen festen Platz und dennoch werden wohl die wenigsten Gottesdienstbesucher das Lied kennen. Denn es kommt als gesungenes Lied gewöhnlich nicht in der Messe vor, sondern im Stundengebet, in der Vesper am Abend. Und somit dürfte auch die Melodie für Ungeübte etwas sperrig sein, denn es wird feierlich im gregorianischen Wechselgesang intoniert (siehe Gotteslob, Nr. 631,4). Innerhalb der Vesper ist das Magnificat so zentral wie das Evangelium innerhalb der Messe: So wird etwa jeder Vers mit einer besonderen Anfangswendung, der Inchoatio, gesungen und mit der Doxologie "Ehre sei dem Vater, …" abgeschlossen.
Denjenigen, die als Geistliche oder als Laien in Klöstern oder in der Gemeinde das Stundengebet pflegen, bedeutet das Magnificat häufig viel. Das Lied besinge auf "überwältigende und ansteckende Weise die Freude an Gott" und drücke Dankbarkeit aus, schwärmt etwa der Augsburger Weihbischof Anton Losinger. "Mit Maria halten wir fest daran, dass Gott uns in Jesus Christus Grund zur Freude und zur Dankbarkeit gibt." In dem Lied zeige sich die ewige Treue Gottes zu den Menschen.
Inhaltlich lobt Maria zunächst die Taten Gottes an ihr ("denn der Mächtige hat Großes an mir getan und sein Name ist heilig") und weitet dann den Blick: Gott zerstreut die Hochmütigen und stürzt die Mächtigen. Er erhebt und beschenkt die Niedrigen und Hungernden. Das Interesse Gottes für die Ausgegrenzten und Maria als "leidenschaftliche, hingerissene, stolze, begeisterte" Frau, wie Dietrich Bonhoeffer es beschrieb, kommen so stark zum Ausdruck, wie sonst in kaum einer Stelle der Bibel. Es zu singen bedeutet, in einen Lobpreis aller Erlösten einzustimmen, ein Lied, das um das Leid in der Welt weiß und auf die befreiende Macht Gottes vertraut.
Als Barriere bleibt, dass sich die Melodie in der Gemeidemesse oder ohne Übung kaum singen lässt. Zum Glück gibt es auch andere, leicht singbare Varianten des Magnifcats, wie etwa das kurze und eingängige Taizé-Lied "Magnificat, magnificat" von Jacques Berthier (GL 390), "Den Herren will ich loben" von Maria Luise Thurmair (GL 395) oder das bei Kirchenchören beliebte Neue Geistliche Lied "Meine Seele preist die Größe des Herrn" von Alan Wilson. So wird die Stärke und die Schönheit des Magnificat nicht nur als Text in der Lesung, sondern auch als Lied weitergetragen. Denn das Magnificat zeigt den eigentlichen Sinn des Marienmonats Mai und der Marienverehrung allgemein: zu Gott zu finden.