"Maria, breit den Mantel aus": Madonnnas Regenschirm
Ich weiß nicht mehr genau, wann ich dieses Lied zum ersten Mal hörte, aber ich weiß, welches Bild ich dabei vor Augen hatte: Maria spannt ihren Regenschirm über uns auf. Wie aus dem blauen Stoff ein Regenschirm werden konnte, ob es überhaupt regnete, und wo Jesus in diesem Augenblick war, diese Fragen stellte ich mir damals nicht. Meine kindliche Vorstellungskraft konzentrierte sich ganz auf Maria und den Regenschirm. Auch später, als ich längst wusste, dass "Schirm" hier in einem anderen Sinn gebraucht wird, kam mir jedes Mal der Paraplu der Mutter Gottes in den Sinn, sobald ich diesen Vers hörte. Bis heute ist "Maria breit den Mantel aus" für mich das Marienlied schlechthin geblieben. Andere Marienlieder mögen eine schönere Melodie haben, einen tiefgründigeren Text, aber keins ist so eingängig und anschaulich wie diese kurzen Paarreime über Marias Schutzmantel.
Viele Katholiken haben mit diesem Lied in den vergangenen Jahrhunderten allerdings weniger einen Regenschirm als vielmehr einen kugelsicheren Schutzpanzer verbunden. Denn wie kein anderes Marienlied verdankt "Maria, breit den Mantel aus" seine Popularität den Schlachtfeldern Europas. Bekannt gemacht haben es zuerst die Söldner des 30-jährigen Krieges und später die Landser der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg.
Schutzmantelmadonna taucht schon im ersten Mariengebet auf
Das Motiv der Schutzmantelmadonna hingegen ist viel älter. Es taucht bereits in einem der ersten Mariengebete überhaupt auf, das den Titel "Sub tuum prraesidium" zu Deutsch "Unter deinem Schutz und Schirm" trägt. Dieses Gebet ist bereits in einem griechischen Papyrusfragment aus dem 3. Jahrhundert nach Christus bezeugt.
Die Schutzmantelmadonna bietet allen Hilfesuchenden, die unter ihren Mantel schlüpfen einen Zufluchtsort vor Stürmen und vor Feinden. Als "Mutter der Barmherzigkeit" wird sie in dem Lied angeredet. Aus ihrem Mantel macht sie "Schirm und Schild" und ist damit "Zuflucht und Gezelt", also Zeltstadt. Sie hilft in "allem Streit" und bewahrt uns "zu jeder Zeit in aller Gefahr". Ihr Mantel ist so groß, dass sie damit die ganze Christenheit zudecken kann.
Wann und wo das Lied genau entstand, ist unbekannt. Frühe Versionen, die auf Flugschriften erhalten sind, deuten darauf hin, dass sein Ursprung zu Beginn des 30-jährigen Kriegs in Böhmen in den Jahren 1618 und 1619 könnte, als Katholiken gegen Protestanten kämpften. Letztere waren "Ketzer" und "Feinde", von dem in der Ursprungsfassung noch sehr viel häufiger die Rede ist, als in der heutigen vierstrophigen Gotteslob-Version von 2013. Hier taucht das Wort "Feinde" nur noch einmal auf.
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Maria erscheint in dieser ursprünglichen Version als Fürstin, die nicht nur einen Schutzpanzer zum Schutz vor Angreifern bietet, sondern auch über ein Engelheer verfügt und der als "starker Held", der mit einem Schwert bewaffnete Erzengel Michael zur Verfügung steht.
Mit dem Ende des 30-jährigen Krieges geriet offenbar auch die Ursprungsfassung von "Maria, breit den Mantel aus", in Vergessenheit. Dass dieses Lied heute im Gotteslob steht, verdankt es seiner Wiederentdeckung in der Romantik. Der Liedersammler Philipp Maximilian Körner fand damals ein Innsbrucker Flugblatt von 1640 mit einer 29-strophigen Version des Liedes, die er 1841 in seiner Sammlung von Marienliedern unter dem Titel "Marianischer Liederkranz" veröffentlichte.
Zwischenzeitlich gab es zwei miteinander konkurrierende kürzere Neufassungen dieses Marienliedes, weil die 29 Strophen arg lang und verstaubt wirkten. Der Jesuit Guido Maria Dreves gab 1885 eine sieben-strophige Fassung heraus, die stellenweise immer noch recht militärisch klang. Sechs Jahre später kam eine Version von Joseph Mohr auf den Markt, in der die kriegerischen Anklänge weitgehend getilgt waren. Aus "Feinden" wurden "Stürme" und Marias "Engelheer", das gegen die Feinde antrat, verschwand. Von Mohr stammt auch der heutige Refrain: "Patronin voller Güte uns allzeit behüte". Allerdings hatte Mohr das Lied auch noch mit einer eigenen Melodie versehen, die musikalisch deutlich gegenüber der Ursprungsfassung abfiel.
Der Siegeszug im 20. Jahrhundert
Georg Thurmair und Adolf Lohmann verbanden 1934 die bessere ältere Melodie mit dem besseren neuen Text von Mohr und verhalfen dem Lied so zu seinem Siegeszug im 20. Jahrhundert. Populär wurde "Maria, breit den Mantel aus" trotz seines mittlerweile deutlich friedvolleren Tenor durch Feldgesangbücher des Zweiten Weltkriegs. Es kommt sowohl in das Katholische Militär-Gebet- und Gesangbuch von 1937 und zumindest mit einer Strophe in das katholische Feldgesangbuch von 1939.
Nach dem Krieg wird das Lied in den 1950er Jahren vor allem in den nordwestdeutschen Bistümern gesungen. Noch einmal bearbeitet und verkürzt kommt es schließlich in den Stammteil des Gotteslobs von 1975 und 2013. Übrig geblieben sind im aktuellen Gotteslob unter der Liednummer 534 nur vier Strophen, die eine Mischung aus der Versionen von Mohr und Dreves darstellen. Entgegen dem allgemeinen Trend nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Marienfrömmigkeit wieder stärker auf Jesus Christus zu lenken, wurde die einzige Liedstrophe, in der vom Gottessohn die Rede ist, für die Gotteslob-Version gestrichen. Dafür gibt es das Lied in den Gotteslob-Ausgaben mancher Bistümer zweimal: In den Diözesanteilen von Köln, Aachen, Lüttich und Münster begegnet "Maria, breit den Mantel aus, ein zweites Mal im Eigenteil, hier mit der weniger schönen Melodie von Mohr.