Wenn die Kirche die milde und süße Jungfrau anfleht

"Salve Regina": Der 1.000 Jahre alte Klassiker

Veröffentlicht am 25.05.2018 um 13:42 Uhr – Lesedauer: 
Serie: Marienlieder

Bonn ‐ Gänsehaut ist garantiert, wenn das "Salve Regina" im Gottesdienst angestimmt wird. Zumindest geht es unserem Redakteur Tobias Glenz so. Er sagt, was ihn an dem 1.000 Jahre alten Marien-Hymnus fasziniert.

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Es existiert seit 1.000 Jahren und bildet bis heute den Abschluss des täglichen Stundengebets der Kirche: Das "Salve Regina" ("Sei gegrüßt, o Königin") zählt neben dem "Alma Redemptoris Mater", dem "Ave Regina caelorum" und dem "Regina caeli" zu den vier großen marianischen Antiphonen. Genau genommen handelt sich jedoch gar nicht um einen antiphonalen Gesang, da sich der Text nicht auf einen Psalm bezieht, sondern um einen Hymnus. Ein Hymnus, der mich seit dem ersten Hören vor vielen Jahren textlich wie melodisch fasziniert, und der deshalb zu jenen lateinischen Texten zählt, die ich aus dem Stegreif rezitieren kann.

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Der Text

Salve, Regina, (Sei gegrüßt, o Königin,)
mater misericordiae, (Mutter der Barmherzigkeit,)
vita, dulcedo et spes nostra, salve. (unser Leben, unsere Süßigkeit und Hoffnung, sei gegrüßt.)
Ad te clamamus, exsules filii Evae. (Zu dir rufen wir verbannte Kinder Evas.)
Ad te suspiramus, gementes et flentes (Zu dir seufzen wir trauernd und weinend)
in hac lacrimarum valle. (in diesem Tal der Tränen.)
Eia ergo, advocata nostra, (Wohlan denn, unsere Fürsprecherin,)
illos tuos misericordes oculos ad nos converte. (wende deine barmherzigen Augen uns zu.)
Et Iesum, benedictum fructum ventris tui, (Und Jesus, die gebenedeite Frucht deines Leibes,)
nobis post hoc exsilium ostende. (zeige uns nach diesem Elend.)
O clemens, o pia, o dulcis Virgo Maria. (O gütige, o milde, o süße Jungfrau Maria.)

Seit dem 11. Jahrhundert lässt sich das "Salve Regina" als liturgischer Gesang in Klöstern nachweisen. Ursprünglich begann der Hymnus mit "Salve, Regina misericordiae" ("Sei gegrüßt, Königin der Barmherzigkeit"). Der Einschub "Salve, Regina, mater misericordiae" kam erst im 16. Jahrhundert hinzu. Ein kleiner, aber doch bedeutender Unterschied: In der Ursprungsversion ist Maria zuallererst die Herrscherin, die mächtige Frau, die sich in dieser Rolle durch Barmherzigkeit auszeichnet. In der späteren Fassung ist sie zwar ebenfalls die mächtige Frau (Regina); zugleich ist sie aber auch unsere fürsorgende Mutter (mater misericordiae), die uns als barmherzige Helferin zur Seite steht. Bis heute wird auf diese Weise am Ende der Komplet beziehungsweise der Vesper Maria, die Mutter Jesu, die auch unsere Mutter ist, um ihre Fürsprache angerufen.

Klassischer Aufbau eines Gebets

Mit Blick auf das biblische Zeugnis mag der Beginn des Hymnus ein wenig verwundern: Die einfache "Magd" Maria (vgl. Lk 1,48) wird hier mit dem ranghohen Titel einer "Königin" gegrüßt. Aufgrund ihrer Gottesmutterschaft erkennt sie die Kirche jedoch als die Größte unter allen Heiligen an und verehrt sie als Himmelskönigin. Es folgen eine Reihe von Prädikaten, die die Mutter Jesu näher charakterisieren: Sie ist die barmherzige Mutter, sie ist Leben, Süßigkeit und unsere Hoffnung. All das ist Grund genug, sie noch ein zweites Mal zu grüßen: Das Wort "Salve" bildet den Rahmen der ersten drei Verse, die der Anrufung der Gottesmutter dienen. Was folgt, ist die Darstellung der Nöte der Beter – und hier wird der Ton ernst: Dich, Maria, haben wir mit Lob angerufen, weil wir die "verbannten Kinder Evas" sind, also aus dem Paradies verstoßen wurden. Deshalb seufzen, trauern und weinen wir "in diesem Tal der Tränen" – auf Erden herrscht eben noch nicht die ewige Glückseligkeit des Himmels, weshalb wir umso mehr der Fürsprache Mariens bedürfen.

Bis hierhin ist es der klassische Aufbau eines Gebets: Nach der lobenden Du-Anrede werden die Nöte genannt, um anschließend die eigentliche Bitte zu formulieren. "Eia ergo" (wörtlich: "Ei, deshalb") bildet die Brücke zum Vorhergesagten und leitet die Folgerung ein: Die "advocata nostra", also die Anwältin oder eben Fürsprecherin, soll den Trauernden und Klagenden ihre "barmherzigen Augen" zuwenden. Sie soll dies tun, damit alle Menschen nach ihrem irdischen Leben, der Verbannung, das ewige Heil schauen dürfen: "Zeige uns Jesus, die gebenedeite Frucht deines Leibes." Zum Ende wird hier also auch deutlich gemacht, von wem sich alle Macht Mariens herleitet: nämlich von ihrem Sohn Jesus Christus. Der Hymnus schließt mit einem Lobpreis in Form dreier O-Rufe: "O gütige, o milde, o süße Jungfrau Maria" – "Höre dieses unser Flehen" könnte man noch anfügen.

Bild: ©jehafo/Fotolia.com

Im Kloster Reichenau am Bodensee soll das "Salve Regina" vor 1.000 Jahren entstanden sein.

Während die bildreiche Sprache und die ernsten Anliegen des Textes schon beim Sprechen für Gänsehaut sorgen können, entfaltet der Hymnus seine volle Wirkung, wenn er gesungen wird. Die gregorianische Singweise des "Salve Regina" findet sich im Graduale Romanum – dem zentralen Choralbuch der Kirche. Weitaus bekannter ist jedoch die in Klöstern und Gemeinden vornehmlich gesungene, feierlich-melancholische Melodie des belgischen Barockkomponisten Henri Du Mont (1610-1684); diese Version steht auch im aktuellen Gotteslob (GL 666,4).

Handschriften belegen, dass der lateinische Text des Hymnus vor 1054 entstanden sein muss. Traditionell wird er dem Benediktiner Hermann von Reichenau – auch "Hermannus Contractus", "Hermann der Lahme" genannt – zugeschrieben. Die genaue Entstehungszeit und Verfasserschaft sind jedoch nicht eindeutig geklärt. Die letzten Anrufungen des Gebets ("O clemens, o pia, o dulcis Virgo Maria") gelten als ein späterer Zusatz, den der heilige Bernhard von Clairvaux (†1153) angefügt haben soll. Prominent platziert sind jene O-Anrufungen im Speyerer Mariendom, wo sie über den Mittelgang verteilt in großen Messinglettern in den Boden eingelassen sind. Der Schriftzug "Salve Regina" ziert zudem den Sockel der Marienstatue der Kathedrale.

Übertragungen ins Deutsche

Das klassische lateinische "Salve Regina" fand im Laufe der Geschichte auch mehrere Übertragungen ins Deutsche. Bekannt ist vor allem das Kirchenlied "Gegrüßet seist du, Königin" (GL 536), das in seinen einzelnen Strophen die Marientitel des Hymnus paraphrasiert. Die Reformatoren wiederum lehnten die Marienverehrung ab und dichteten deshalb Passagen des "Salve Regina" um. Dort hieß es dann beispielsweise "Salve, o Christe" oder "Salve, Rex noster" ("Sei gegrüßt, unser König").

Im Stundengebet wird das "Salve Regina" traditionell vom Dreifaltigkeitssonntag nach Pfingsten bis zum Ende des Kirchenjahres an Christkönig gesungen; in den sogenannten geprägten Zeiten – Weihnachtsfestkreis, Österliche Bußzeit und Osterzeit – wird jeweils eine der drei anderen Antiphonen gebraucht. In vielen Regionen ist es zudem Brauch, den Hymnus beim Begräbnis eines Priesters oder einer Person des geweihten Lebens am Grab zu singen. Bei einem solchen Anlass – einer Priesterbeerdigung – habe auch ich das "Salve Regina" damals kennen- und vor allem schätzen gelernt.

Von Tobias Glenz

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