Neymeyr: Pfarreifusionen auch bei uns nicht ohne Schmerzen
Als Erfurts Bischof Ulrich Neymeyr im Herbst 2015 aufgrund abendlicher AfD-Kundgebungen gegen Flüchtlinge und den Islam die Beleuchtung des Erfurter Doms ausschalten ließ, sorgte das bundesweit für Furore. Ende Oktober wird nun ein neuer Landtag in Thüringen gewählt – und die AfD mit ihrem Landes- und Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke hat laut Umfragen durchaus Chancen, die Wahl zu gewinnen. Wie beurteilt Neymeyr knapp sieben Monate vor der Wahl das politische und gesellschaftliche Klima in Thüringen? Im Interview mit katholisch.de gibt der Bischof Antworten. Außerdem äußert sich zum bevorstehenden 25-Jahr-Jubiläum seines Bistums und zu notwendigen Strukturreformen in der Diözese.
Frage: Bischof Neymeyr, am 27. Oktober wird in Thüringen ein neuer Landtag gewählt. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf diese Wahl?
Neymeyr: Ich freue mich vor allem, dass die Menschen in Thüringen tatsächlich und im Wortsinn die freie Wahl haben. Erinnern wir uns: In diesem Jahr ist es genau 30 Jahre her, dass die Menschen in der DDR für das Recht auf freie Wahlen tapfer auf die Straße gegangen sind. Dass solche freien Wahlen nun schon seit bald drei Jahrzehnten in den ostdeutschen Bundesländern stattfinden können, ist ein Grund zur Freude.
Frage: Thüringen war in den vergangenen Jahren insbesondere aufgrund der Umtriebe des AfD-Landes- und Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke immer wieder negativ in den Schlagzeilen. Wie beurteilen Sie nun – rund sieben Monate vor der Wahl – das politische Klima im Land?
Neymeyr: Keine Frage, das politische Klima ist schwierig. Ich habe vor wenigen Wochen in meinem Fastenhirtenbrief diejenigen, die sich als Kandidaten zur Wahl stellen, dazu aufgerufen, ihren Wahlkampf fair, respektvoll und der Wahrheit verpflichtet zu führen. Denn es ist – auch im Lichte der politischen Auseinandersetzungen der vergangenen Monate und Jahre – schon zu befürchten, dass uns ein rüder Wahlkampf bevorsteht. Das würde jedoch weder der Sache noch der Demokratie dienen.
Frage: Sie selbst haben sich in den vergangenen Jahren mit Blick auf die AfD wiederholt klar positioniert. Vor allem Ihre Entscheidung, die Beleuchtung des Erfurter Doms bei Demonstrationen der Partei auf dem Domplatz auszuschalten, hat bundesweit Beachtung gefunden. Wie ist heute Ihr Verhältnis zur AfD?
Neymeyr: Ich habe mich in den vergangenen Jahren nie gegen die AfD oder einzelne Vertreter der Partei positioniert – vielmehr ging es mir immer um die Sache. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Herbst 2015 hatte ich vor allem die Menschen im Blick, die damals zu uns gekommen sind. Mein Anliegen war es, in der politischen und gesellschaftlichen Debatte darauf hinzuweisen, dass auch Flüchtlinge Menschen sind und man ihnen mit Menschlichkeit und Empathie begegnen sollte.
„Thüringen steht heute in vielen Bereichen sehr gut da, was nicht nur, aber sicherlich auch ein Verdienst der Regierung von Bodo Ramelow ist.“
Frage: Trotzdem hat die AfD Sie für Ihr Verhalten damals hart kritisiert. Spüren Sie heute noch Nachwirkungen der damaligen Auseinandersetzungen?
Neymeyr: Ja, das Thema ist in der Bevölkerung weiterhin präsent. Ich selbst bekomme mit Blick auf meine damaligen Aussagen immer noch Reaktionen – darunter Kritik, aber auch Lob.
Frage: Aktuellen Umfragen zufolge liegen Linke, CDU und AfD in der Gunst der thüringischen Wähler nahezu gleichauf; jede der drei Parteien hat derzeit also die realistische Chance, bei der Wahl stärkste Kraft zu werden. Welche Konsequenzen hätte es für Thüringen, wenn die AfD die Wahl gewinnen würde?
Neymeyr: Ich möchte mich zum jetzigen Zeitpunkt nicht an Spekulationen beteiligen. Umfragen sind immer nur Momentaufnahmen, im Herbst kann die Situation ganz anders aussehen. Hinzu kommt, dass Umfragen nichts über die Zusammensetzung der künftigen Regierung aussagen.
Frage: In der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode wurde Thüringen von einer rot-rot-grünen Koalition regiert. Welches Zeugnis stellen sie der Regierung nach bald fünf Jahren aus?
Neymeyr: Zumindest hat sie Thüringen nicht in den Abgrund geführt (lacht). Aber um Ihre Frage ernsthaft zu beantworten: Thüringen steht heute in vielen Bereichen sehr gut da, was nicht nur, aber sicherlich auch ein Verdienst der Regierung von Bodo Ramelow ist.
Frage: Sie sprechen den Ministerpräsidenten an: Bodo Ramelow ist der erste Regierungschef aus den Reihen der Linken, zugleich ist er ein engagierter Christ. Wie ist Ihr Verhältnis zu ihm?
Neymeyr: Sehr unkompliziert. Wir sehen uns regelmäßig bei den unterschiedlichsten Anlässen und begegnen uns mit Respekt. Unser Verhältnis ist so belastbar, dass wir auch kontroverse Themen gut miteinander besprechen können.
Frage: Ramelows kürzlich geäußerte Vorschläge für eine Abschaffung der Kirchensteuer und Änderungen beim kirchlichen Arbeitsrecht haben Ihnen aber gar nicht gefallen...
Neymeyr: Das stimmt. Ich halte die Idee, das bewährte System der Kirchensteuer durch eine Kultursteuer nach italienischem Vorbild abzulösen, für nicht zu Ende gedacht. Und auch die Kritik am kirchlichen Arbeitsrecht kann ich so pauschal nicht nachvollziehen. Der sogenannte "Dritte Weg" mit seinem partnerschaftlichen Miteinander von Dienstgebern und Dienstnehmern in kirchlichen Einrichtungen und dem Ziel einer konsensorientierten Konfliktlösung ohne Arbeitskämpfe sollte beibehalten werden.
Frage: Konkret auf die Landespolitik in Thüringen geschaut: Was würden Sie sich aus kirchlicher Perspektive von der Landesregierung – der aktuellen oder der zukünftigen – wünschen?
Neymeyr: Wir wünschen uns natürlich eine gute Unterstützung der freien Träger – unter anderem unserer Caritas –, die gerade im sozialen Bereich eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe erfüllen. Der Staat profitiert stark vom Engagement der Wohlfahrtsverbände – und sollte dies entsprechend unterstützen. Die Erfahrungen mit der derzeitigen Landesregierung sind in diesem Punkt nicht nur positiv. Das gilt auch für die Finanzausstattung der Schulen in freier Trägerschaft. Hier gab es in den vergangenen Jahren zwar Verbesserungen, aber hier drängen wir zurecht auf eine auskömmliche Finanzierung. Insbesondere die freien Berufsschulen verkraften keine weitere Nullrunde.
Frage: Blicken wir auf Ihr Bistum: Sie sind in diesem Jahr fünf Jahre Bischof von Erfurt. Wie fällt Ihre persönliche Zwischenbilanz nach dieser Zeit aus?
Neymeyr: Ach, wissen Sie, damit beschäftige ich mich eigentlich nicht. Für mich steht unser 25-jähriges Bistumsjubiläum im Vordergrund, das wir ebenfalls in diesem Jahr feiern können. Dieses Jubiläum bietet eine gute Gelegenheit zur Rückschau – zumal wichtige Zeitzeugen wie mein Amtsvorgänger Joachim Wanke oder der damalige Ministerpräsident Bernhard Vogel noch leben und aus erster Hand über die Anfangsjahre unseres Bistums berichten können. Darauf freue ich mich sehr.
Frage: Wie ist denn Ihr Eindruck als jemand, der aus den alten Bundesländern nach Ostdeutschland gekommen ist: Hat sich die 1994 auf dem Gebiet der ehemaligen DDR entstandene Struktur mit den damals neu errichteten Bistümern Erfurt, Görlitz und Magdeburg bewährt?
Neymeyr: Definitiv – und sie ist bundesweit ja längst gelebter Alltag. Hinzu kommt: Dass man sich vor 25 Jahren für die heute so in Ostdeutschland existierende Bistumslandschaft entschieden hat, war auch ein starkes Zeichen an die Katholiken in der ehemaligen DDR. Man hat damit ihre Aufbauarbeit wertgeschätzt, die sie in den Jahrzehnten zuvor unter meist schwierigen Umständen für das katholische Leben in der DDR geleistet hatten.
„Es ist klar, dass wir schon kurz- und mittelfristig mit weniger Mitteln und weniger Priestern auskommen müssen. Ich denke aber, dass unser Bistum insgesamt gut aufgestellt ist.“
Frage: Zur jüngeren Vergangenheit Ihres Bistums gehört – ähnlich wie in den anderen deutschen Diözesen – auch der Umgang mit dem kirchlichen Missbrauchsskandal. Eine erweiterte Überprüfung von Personalakten, die jüngst abgeschlossen wurde, hat für das Bistum Erfurt keine neuen Verdachtsfälle ergeben. Heißt das, dass Sie mit Blick auf Ihre Diözese keinen bösen Überraschungen mehr fürchten müssen?
Neymeyr: Zunächst einmal bin ich erleichtert, dass in den jetzt von unabhängiger Seite überprüften Akten keine weiteren Verdachtsfälle gefunden wurden. Aber wir müssen weiter wachsam bleiben. Ich ermutige alle Betroffenen, sich bei unseren unabhängigen Beauftragten zu melden. Wir wollen weiter aufarbeiten und auch alles dafür tun, künftig Missbrauch zu verhindern.
Frage: Wie in anderen Bistümern auch gibt es auch in Ihrer Diözese Strukturreformen. Man hat aber den Eindruck, dass dieser insbesondere für die Gläubigen oftmals schwierige Prozess im Bistum Erfurt geräuschloser über die Bühne geht. Wie erklären Sie sich das?
Neymeyr: Ich denke, das hängt damit zusammen, dass mein Vorgänger Joachim Wanke den Prozess sehr langfristig angelegt hat. Die Strukturreform wurde bereits im Jahr 2010 beschlossen und verläuft in drei Stufen, in denen jeweils Pfarreien fusioniert werden. Die ersten beiden Stufen wurden 2012 und 2016 umgesetzt, die dritte Stufe folgt im kommenden Jahr. Durch diese langfristige Anlage der Reform wussten die Gemeinden und die Pfarrer sehr früh, was auf sie zukommt. Trotzdem verläuft der Prozess der Zusammenlegungen von Pfarreien auch in unserem Bistum natürlich nicht ohne Schmerzen. Man kann im neunten Jahr der Reform aber feststellen, dass das kirchliche Leben dort, wo Pfarreien den Prozess bereits durchlaufen haben, nicht zum Erliegen gekommen ist.
Frage: Sehen Sie das Bistum Erfurt, wenn die Strukturreform abgeschlossen ist, langfristig gut für die Zukunft gerüstet?
Neymeyr: Ich kann natürlich nicht in die Zukunft schauen. Und es ist auch klar, dass wir schon kurz- und mittelfristig mit weniger Mitteln und weniger Priestern auskommen müssen. Ich denke aber, dass unser Bistum insgesamt gut aufgestellt ist. Hinzu kommt, dass wir derzeit im Eichsfeld und – insbesondere durch den Zuzug polnischer Migranten – in Erfurt einen leichten Zuwachs bei den Katholikenzahlen erleben. Das ist ein Faktor, der Mut macht.