Ökumene: Der begeisterte Aufschwung ist vorüber
In Dortmund treffen sich ab heute wieder unzählige Christen, um gemeinsam beim 37. Deutschen Evangelischen Kirchentag miteinander ihren Glauben zu feiern. Es ist ein schönes Zeichen, denn es macht deutlich, dass die Kirche in Deutschland lebendig ist, dass es Menschen gibt, die gemeinsam öffentlich Zeugnis geben von der Hoffnung, die sie erfüllt (vgl. 1 Petr 3,15). Doch solche konfessionellen Großveranstaltungen haben auch immer einen merkwürdigen Beigeschmack: Denn sie zeigen ein ums andere Mal mehr, dass die Spaltung der christlichen Kirchen ein "Skandalon", ein Ärgernis, ist. Der Evangelische Kirchentag und der Katholikentag sind immer noch getrennte Veranstaltungen – obwohl es um die gleiche Sache geht. Christen in Deutschland feiern erst 2021 beim 3. Ökumenischen Kirchentag wieder gemeinsam. Der Evangelische Kirchentag ist also auch ein Anlass, über das Gemeinsame nachzudenken und sich zu fragen, ob man nicht in diesen Tagen am ehesten von einem Stillstand der Ökumene reden müsste.
Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre
Beim Blick auf den aktuellen Stand der Ökumene ist es angeraten, zunächst das Erreichte zu würdigen. Seit dem ökumenischen Aufbruch, der sich mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil Bahn gebrochen hat, wurde gemeinsam vieles erreicht. Zunächst ist innerhalb der katholischen Kirche ein Umdenken festzumachen: Die verabschiedeten Dokumente des Zweiten Vaticanum haben der Kirche ins Stammbuch geschrieben, sich nicht von ihrem Außen zu distanzieren, sondern mit den anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften in Dialog zu treten. In der Eröffnungsnummer des Ökumenismusdekrets "Unitatis redintegratio" heißt es dazu ausdrücklich: "Die Einheit aller Christen wiederherstellen zu helfen ist eine der Hauptaufgaben des Heiligen Ökumenischen Zweiten Vatikanischen Konzils." Die ökumenische Bewegung hat daher im Nachklang des Konzils auch starken Aufwind erhalten. Bereits Johannes XXIII. gründete 1960 das "Sekretariat zur Förderung der Einheit der Christen", welches mit Kardinal Augustin Bea auch einen der Vorreiter im ökumenischen Dialog als ersten Präsidenten erhielt. Das Engagement für die Ökumene war anhaltend: Meilensteine in den letzten Jahrzehnten waren sicherlich die Aufnahme von bi- und multilateralen Gesprächen und die daraus resultierenden Dialogdokumente, die Unterzeichnung der gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre am 31. Oktober 1999 in Augsburg oder der Besuch von Papst Franziskus in Lund zum Gedenken des 500. Jahrestags der Reformation 2016. Viel mehr noch wurde aber auf der nicht offiziellen Ebene erreicht: Man denke nur an die vielen ökumenischen Projekte in der Kirchen vor Ort, in den Pfarreien und Bistümern. Und mit dem "Theologischen Studienjahr" an der Dormitio Abtei in Jerusalem gibt es seit 1973 sogar einen Ort, an dem Studierende beider Konfessionen miteinander leben und Theologie treiben.
Ist die Ökumene daher nicht als Erfolgsgeschichte zu werten? Sicher wäre das ein einseitiges Urteil, da es auch Rückschläge in der wechselseitigen Anerkennung gab – zu nennen ist prominent das Dokument "Dominus Iesus", in welchem die Glaubenskongregation im Jahr 2000 die Einzigkeit und Heilsuniversalität der katholischen Kirche festhielt. Aber es darf wohl mit Fug und Recht behauptet werden, dass sich seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil auf höchster kirchenamtlicher Ebene im ökumenischen Miteinander vieles getan hat. Sicher sind die Ökumenischen Kirchentage, die 2003 in Berlin und 2010 in München stattgefunden haben, ein sichtbarer Ausdruck dieses Zusammenwachsens zwischen den beiden großen Konfessionen in Deutschland.
Jedoch bleibt auch Ernüchterung, wenn man auf die aktuellen Tendenzen in der Entwicklung der Ökumene blickt. Der begeisterte Aufschwung, der in den Jahren nach dem Zweiten Vaticanum für viel Engagement und Beteiligung im wechselseitigen Dialog sorgte, scheint vorüber zu sein. Es macht den Eindruck, dass die ökumenischen Bestrebungen stagnieren. Ausdruck dieser Vermutung ist auch der Streit um den Kommunionempfang von nichtkatholischen Ehepartnern, der im vergangenen Jahr die Gemüter erhitzte. Ein möglicher Vorstoß innerhalb des ökumenischen Miteinanders hin zur Eucharistiegemeinschaft wurde letztlich verhindert. Der Streit, der in der Bischofskonferenz in den verschiedenen Lagern schwelte und öffentlich zum Ausdruck kam, machte deutlich, wie belastet das gemeinsame Aufeinander-Zugehen mittlerweile ist. Die lange andauernden Querelen, die erst in Rom geklärt werden konnten, riefen vor allem ein Gegenbild in Erinnerung: Es war 2015, als Papst Franziskus die evangelische Gemeinde in Rom besuchte und auf die Frage eines Gemeindemitglieds nach dem Empfang der Eucharistie antwortete: "Fragen Sie den Herrn und dann gehen Sie weiter!".
Diese langwierigen und oftmals zähen Diskussionen zeigen auch: Die Ökumene hat eine neue Dimension erreicht. Jetzt geht es nicht mehr darum, sich erst einmal kennenzulernen und einen Modus des Zusammenlebens zu finden. Eine gute Basis, auf der man miteinander arbeiten kann ist – auch dank der Erklärung zur Rechtfertigungslehre – mittlerweile geschaffen. Jetzt geht es ans "Eingemachte": Und dies sind eben die schwerwiegenden Themen Kirche, Eucharistie und Amt. Ernüchternd muss man feststellen, dass eine Klärung dieser trennenden Themen sicher nicht innerhalb weniger Wochen oder Monate erreicht werden kann. "Das ist kein Projekt, das sich heute oder morgen lösen lässt", hat Walter Kasper erst Anfang der Woche geäußert: "Das braucht ein paar Jahre." Zwar gibt es in den Bereichen des Kirchen- und Eucharistieverständnisses mittlerweile gute Annäherungen mit den Lutheranern. Doch erschwerend kommt hinzu, dass Ökumene aus katholischer Perspektive auch die Ökumene mit der Orthodoxie beinhaltet, wodurch eine Einigung in diesen brisanten Punkten nur unter der Berücksichtigung vieler unterschiedlicher Gesichtspunkte erfolgen kann. Realistisch betrachtet wird das eine sehr, sehr schwere Aufgabe sein, die viel Geduld und Fingerspitzengefühl braucht. Aber eine Einigung in der Frage nach dem Amt ist die unabdingbare Voraussetzung, damit eine Kircheneinheit (wie diese auch immer aussehen mag) zustande kommen kann.
Themenseite: Ökumene
Die Themenseite gibt einen Überblick über die aktuelle Berichterstattung von katholisch.de rund um das Thema Ökumene.Vielleicht gilt es angesichts dieser Situationsbeschreibung einmal mehr, besonders die "Ökumene von unten" zu bestärken. Das heißt, das ökumenische Miteinander im alltäglichen Leben immer mehr durchzusetzen und zu realisieren. Miteinander den Alltag in den Gemeinden gestalten, miteinander auf dem geistlichen Weg sein, gemeinsam die Heilige Schrift lesen und erkunden, die Beziehungen zur Orthodoxie und den interreligiösen Dialog stärken: All dies ist bereits möglich – und es ist schon einiges, was man in den letzten Jahren erreicht hat und was sich jetzt immer mehr verfestigen muss. Ökumene ist kein Selbstläufer, auch 55 Jahre nach der Verabschiedung von "Unitatis redintegratio" nicht. Und eine "Erfolgsgeschichte Ökumene" schreibt sich nicht automatisch weiter, sondern sie braucht engagierte Christinnen und Christen, die durch ihr Leben und Zeugnis tagtäglich daran mitarbeiten, dass "alle eins seien" (vgl. Joh 17,21). Es ist an der Zeit, die veränderten Rahmenbedingungen, in denen sich Ökumene ereignet, wahrzunehmen und sie kreativ weiterzuentwickeln. Es ist Zeit, sich neue Ziele im ökumenischen Dialog zu setzen und diese mit Begeisterung und viel Mut zu verfolgen.
Wann ist die Zeit reif, sich um einen Tisch zu versammeln?
Schon Josef Wohlmuth hat 2006 sehr nachdenklich formuliert: "Innerchristliche Ökumene ist keine Selbstverständlichkeit (…). Manchmal denke ich, Texte, die vor Jahren überzeugten, müssten nicht nur bekannt sein, sondern auch allen einleuchten und von dort einen Weg beleuchten, der, geduldig beschritten, auch zum Ziel führt. (…) Man kann sich über Transsubstantiation und Opfer, über Rechtfertigung und wohl auch über das kirchliche Amt verständigen – und erschrickt erst dann über die Frage, ob denn damit auch schon die Existenz der eigenen Glaubensheimat gefährdet sei. (…) Alle sollen doch bleiben, was sie sind, sie sollten es nur auf freundliche Weise bleiben. Ist das das Ziel der Ökumene? In der Tat wäre es fatal, wenn die Konfessionen preisgeben müssten, was ihnen unverfügbar heilig geworden ist. Wann also wird die Zeit reif sein, sich um den einen Tisch zu versammeln, um Jesu Vermächtnis zu feiern?"