Polen: Missbrauchsvorwürfe gegen Solidarność-Pfarrer
"Der Prälat hatte zwei Seiten an sich, eine dunkle und eine helle", sagt die Journalistin Bożena Aksamit über Henryk Jankowski (1936-2010). Sie spricht über den Kaplan der Solidarność-Bewegung, der im Jahr 1980 den legendären Gottesdienst mit 8.000 streikenden Arbeitern der Danziger Werft feierte. Zu den hellen Seiten Jankowskis zählen die Hilfstransporte, die er während des Kriegsrechts aus Westdeutschland nach Polen organisierte und der Wiederaufbau der Brigittenkirche in Danzig. Aber schon zu seinen Lebzeiten kamen auch dunkle Seiten des Priesters ans Licht: Antisemitismus, der Hang zu Luxus, seine Kollaboration mit der polnischen Stasi, dem Geheimdienst SB, – und sexueller Missbrauch Minderjähriger. Noch im Jahr 2004 stellte eine gerichtliche Untersuchung "unziemliches Verhalten des Kaplans gegenüber Ministranten" fest, fand aber keine Beweise für eine Belästigung.
Anfang Dezember veröffentlichte die Zeitung "Gazeta Wyborcza" Aksamits ausführlichen Bericht über Jankowski, den sie unter Berufung auf Augenzeugen des Missbrauchs beschuldigt. Eine Frau, die angibt, mehrfach missbraucht worden zu sein, berichtete zudem von einer Freundin, die Suizid beging. Sie soll möglicherweise von Jankowski schwanger gewesen sein. Die ältesten Fälle sollen in den 1960er Jahren stattgefunden haben. Wie die "Wyborcza" schreibt, soll Jankowski sich in seinem Pfarrhaus eine Art Harem mit männlichen Teenagern zugelegt haben. Demnach arbeiteten sie tagsüber als Butler bei den luxuriösen Empfängen des Prälaten, nachts mussten einige von ihnen Jankowski als Bettgenossen dienen.
"Denkmal der Schande"
Wenige Tage nach dem Zeitungsbericht begannen Proteste und Mahnwachen am 2012 vor der Brigittenkirche errichteten Jankowski-Denkmal. Die Figur wurde in der Nacht auf den 6. Dezember mit roter Farbe übergossen, ein Schild mit der Aufschrift "Denkmal der Schande" wurde ihr umgehängt und am Sockel wurden Kerzen für Missbrauchsopfer und Kinderschuhe aufgestellt. Eine Initiative sammelt nun Unterschriften für die Entfernung des Denkmals. Die Entscheidung darüber soll nach Angaben des Danziger Bürgermeisters Paweł Adamowicz im Januar von der Solidarność getroffen werden. Dann werde auch der Stadtrat über eine Umbenennung des Jankowski-Platzes und die Aberkennung der Ehrenbürgerschaft der Stadt für den Prälaten abstimmen.
HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Im "Wyborcza"-Artikel geht es aber nicht nur um die Missbrauchsvorwürfe gegen den Priester, sondern vor allem auch um deren Vertuschung. Mit Verweis auf die Kirche, in der Jankowski von 1970 bis 2004 arbeitete, lautet die Überschrift des Berichts: "Das Geheimnis der heiligen Brigitta. Warum hat die Kirche Jankowski jahrelang erlaubt, Kinder zu missbrauchen?" Im Umkreis der Kirchen, an denen der Priester tätig war, soll sein Treiben ein offenes Geheimnis gewesen sein, schreibt Aksamit. Aber niemand habe sich getraut, darüber laut zu sprechen. Sexuelle Vergehen von Priestern seien ein Tabuthema gewesen und später sei Jankowski zu einflussreich gewesen.
Jankowski, der im Jahr 1964 mit 28 Jahren zum Priester geweiht wurde, machte im Bistum Danzig schnell Karriere. Er nutzte sein Organisationstalent und seine Verbindungen nach Deutschland – seine Mutter war Danziger Deutsche. So ermöglichte er es, dass die 1945 von der Roten Armee in Brand gesetzte Brigittenkirche ab 1973 wiederaufgebaut wurde. Am 17. August 1980, dem Höhepunkt des Solidarność-Streiks, wurde Jankowski zu den Streikenden geschickt, um für sie eine Messe zu feiern. Die ikonenhaften Bilder des Priesters an der Seite von Lech Wałęsa gingen um die Welt. Er wurde Kaplan der Bewegung und auch deren inoffizieller "Außenminister", der 1988 ein Treffen Margaret Thatchers mit Wałęsa in seiner Kirche ermöglichte.
Nach der Wende äußerte Jankowski sich immer wieder antisemitisch – 1997 verhängte Erzbischof Tadeusz Gocłowski deshalb ein Predigtverbot gegen ihn. Der "Gazeta Wyborcza" zufolge war der Oberhirte nachgiebiger, was die jungen Butler anging, die in Jankowskis Pfarrhaus Alkohol ausschenkten. "Ein ernsthaftes Problem, das mich bereits seit einigen Jahren beunruhigt, ist dein Verhältnis zu jungen Männern", so habe die sanfte Rüge Gocłowskis gelautet.
Entlassung als Pfarrer mit 68 Jahren
Ende 2003 forderten Eltern eines minderjährigen Jungen vor Gericht die Übernahme der Behandlungskosten ihres Kindes. Der Junge habe im Alter von 13 Jahren bei Übernachtungen im Pfarrhaus mit dem Priester im selben Bett geschlafen. Ein Gutachter erklärte 2004, dass das Küssen auf den Mund, das Klopfen auf die Pobacken, feste Umarmungen und das Streicheln des Gesichts durch Priester bei Jungen in vielen Fällen nicht sexueller Natur sei. Das sei eine häufige Verhaltensweise bei Geistlichen, die damit Nähe ausdrücken wollten. Als Konsequenz des Gerichtsverfahrens enthob Erzbischof Gocłowski den damals 68 Jahre alten Jankowski am 17. November 2004 von seinem Amt als Pfarrer der Brigittenkirche. Nach Protesten seiner Anhänger durfte er allerdings weiterhin im Pfarrhaus wohnen.
Ende vergangener Woche reagierte Jankowskis Zwillingsschwester auf den Zeitungsartikel und verteidigte ihren vor acht Jahren verstorbenen Bruder. Sie seien zusammen aufgewachsen und zu Hause sei alles in Ordnung gewesen, sagte sie. "Ich war sehr überrascht von diesen Informationen", so die 81-Jährige. "Ich schließe das aus." Sie und ihre noch lebenden Schwestern kündigten an, die Redaktion der "Gazeta Wyborcza" zu verklagen.