"Wider die Entmündigung"
Vor allem drei Punkte stießen den Unterzeichnern auf: das römische Vorgehen bei Bischofsernennungen, das die Ortskirchen missachte, die Verweigerung der kirchlichen Lehrerlaubnis für Theologen, die nicht ganz auf Linie der Glaubenskongregation lagen, und die in ihren Augen viel zu machtvolle Ausübung des Papstamtes durch Johannes Paul II. All das in Formulierungen, die Rom und den meisten Bischöfen nicht passen: Die Rede war von der "fortschreitenden Entmündigung der Teilkirchen", von "neuem römischen Zentralismus", von Nuntiaturen im "Odium von Nachrichtendiensten", von Willkür und blindem Gehorsam.
Getragen wurde das fünfseitige, zunächst in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" veröffentlichte Papier mit dem Untertitel "Wider die Entmündigung - für eine offene Katholizität" von Professoren, die in der Summe so etwas wie das "Who is Who" der deutschsprachigen Theologie bildeten: Johannes Gründel, Bernhard Häring, Friedhelm Hengsbach, Peter Hünermann, Norbert Mette, Johann Baptist Metz, Dietmar Mieth, Edward Schillebeeckx und natürlich Hans Küng, der ewige Widersacher Roms. Über Tage beherrschte der Aufstand der Intellektuellen nicht nur in der Bundesrepublik die Schlagzeilen der Medien. Dort ernteten die Professoren insgesamt sehr viel Zustimmung für ihre Erklärung.
Die deutschen Bischöfe mussten reagieren, und das taten sie auch: "Die Erklärung greift viele schwierige Themen auf, wird jedoch der Sachlage durch die pauschale Darstellung nicht gerecht." Die damals seit rund eineinhalb Jahren vom früheren Theologieprofessor Karl Lehmann geleitete Bischofskonferenz suchte nach einem Weg, sich einerseits klar gegenüber den Theologen abzugrenzen, aber andererseits die Gesprächstür offen zu halten.
Rom sprach von "lokalem Vorgang"
So hieß es, die "Kölner Erklärung" belaste angesichts ihrer Wortwahl die gesamte Diskussion. Die "zahlreichen Unterstellungen" gegen Johannes Paul II. wurden zurückgewiesen. Rom selber sprach im Sinne einer Relativierung des Geschehens von einem "lokalen Vorgang", nahm ihn aber gleichwohl sehr ernst. Ein Zeichen dafür ist, dass Lehmann zu einem Gespräch mit dem Papst in den Vatikan gebeten wurde.
Ob vor Ort in der einzelnen Pfarrei, beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) oder für die ein paar Jahre danach gegründete kritisch-alternative "Kirchenvolksbewegung" - die "Kölner Erklärung" blieb über Jahre Gesprächsgegenstand. Ein konkretes, bis heute praktiziertes Ergebnis ist das "Mainzer Gespräch" zwischen Theologen und Bischöfen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Die regelmäßigen Treffen werden von beiden Seiten als "vertrauensbildende Maßnahme" verstanden. Und auch die "Europäische Gesellschaft für Katholische Theologie" wäre ohne die "Kölner Erklärung" 1991 sicher nicht ins Leben gerufen worden.
Erfüllung durch Franziskus?
Viel entscheidender im Sinne der Ziele der "Kölner Erklärung" könnte indes werden, was knapp ein Vierteljahrhundert nach der Veröffentlichung in Rom geschah: Nach dem Rücktritt von Papst Benedikt XVI. meldeten sich im Vorfeld der Wahl seines Nachfolgers eine Vielzahl von Kardinälen zu Wort und kritisierten römische Kurienbehörden. Es ging um Krisenmanagement und Zentralismus.
Konsequenterweise wurde mit dem Argentinier Jorge Mario Bergoglio ein Kardinal zum Kirchenoberhaupt gewählt, der manches anders sieht als seine Vorgänger. Wenn Franziskus etwa eine Dezentralisierung für heilsam und erforderlich hält, würden ihm wohl die Unterzeichner von 1989 zustimmen.
"Es ist nicht angebracht, dass der Papst die Ortsbischöfe in der Bewertung aller Problemkreise ersetzt, die in ihren Gebieten auftauchen." Dieser Satz aus dem Lehrschreiben "Evangelii gaudium" , er hätte auch in der "Kölner Erklärung" stehen können.
Von Michael Jacquemain (KNA)