"Wir stehen zum Papst"
Eigentlich dürfte solch ein Satz nicht in einer katholischen Kirche in China fallen. Offiziell gewährt Chinas Führung Glaubensfreiheit , und erkennt fünf Religionen an: Buddhismus, Daoismus, Islam sowie protestantisches und katholisches Christentum. Aber alle kirchlichen Gruppen müssen sich beim Religionsamt registrieren und einer staatlich kontrollierten Kirche unterordnen. Für Katholiken in China muss die Partei an oberster Stelle stehen, der Papst als Oberhaupt ist tabu.
Er ist kurz nach sieben Uhr morgens. Die starke Pekinger Sommerhitze lässt die Temperatur in der Kirche bereits auf 29 Grad ansteigen. Gedämpft dringt das Hupen von Autos auf Pekings zweiter Ringstraße in das Gebäude. Ein älterer Mann in der letzten Reihe der Kirche nimmt sich ein Gebetbuch. "Das mit der Staatskirche ist doch nur eine Anordnung auf dem Papier", sagt er. "Wir stehen zum Papst."
Jesuitische Missionare hatten den katholischen Glauben schon im Jahr 1534 nach China gebracht. Nachdem die Kommunisten unter Mao Tsetung 1949 die Volksrepublik ausgerufen hatten, brachen sie zwei Jahre später die diplomatischen Beziehungen zum Vatikan ab. Im Jahr 1957 gründete die Partei die "Katholische Patriotische Vereinigung", in der sich alle Katholiken registrieren sollten. Priester und Ordensschwestern, die sich weigerten, wurden festgenommen, geschlagen und manche umgebracht. Wer weiterhin dem Papst die Treue schwor, flüchtete in den Untergrund.
"Die christliche Theologie muss sich Chinas Kultur anpassen"
Aber die Grenzen zwischen Untergrundkirche und Staatskirche verwischen mittlerweile. "Der Papst ist sehr wichtig für uns. Aber wieso sollte ich nicht in die offiziellen Kirchen gehen?", fragt die 72-Jährige. Sie trägt ein lilafarbenes Poloshirt mit einem Aufdruck der Kirchengemeinde. In wenigen Wochen werde sie mit einer Gruppe von 40 Gemeindemitgliedern nach Rom reisen. "Dann kann ich das erste Mal in meinem Leben den Papst mit eigenen Augen sehen", sagt sie. "Die 'Patriotische Vereinigung' ist nur eine Regierungsorganisation. Mit der Auslegung des Glaubens hat sie nicht viel zu tun."
Das sieht der Direktor von Chinas Behörde für Religionsangelegenheiten, Wang Zuoan, anders. "Die Entwicklung der christlichen Theologie muss Chinas nationalen Bedingungen Rechnung tragen und mit Chinas Kultur zusammenpassen", forderte er vergangene Woche. Christliche Theologie müsse mit Chinas sozialistischem Weg kompatibel werden. Eine Kampagne solle das "positive und richtige theologische Denken" der Christen in China anleiten.
Wangs Behörde ist Chinas mächtigste Institution zur Organisation und Kontrolle der Religionsgemeinschaften im Land. 5,3 Millionen Katholiken zählt die Behörde in der Staatskirche. In den papsttreuen Untergrundgemeinden soll es doppelt so viele Gläubige geben. Bei der Religionsbehörde laufen die Informationen über die 70 Bischöfe im Land und die etwa 6.000 Kirchen zusammen.
Priester unter Hausarrest
Vor dem Altar beginnt der Priester mit der Gabenbereitung. Zwei Frauen in den lilafarbenen Poloshirts der Gemeinde tragen den goldenen Kelch und die Hostienschale zu ihm. Der Priester hält die sakralen Gefäße in die Höhe und spricht in Richtung der rund 100 Gläubigen in der Kirche: "Gepriesen bist Du in Ewigkeit, Herr unser Gott."
Die katholischen Gemeinden in China halten sich eng an die Vorgaben für den Gottesdienst aus Rom. Darin mischt sich Chinas Staatsführung wenig ein. Dafür behalten sich die Beamten das Recht vor, die Bischöfe zu bestimmen. Über Jahre gab es ein stillschweigendes Übereinkommen: Peking bestimmte Bischöfe, die auch Rom akzeptieren konnte. Im Jahr 2010 und vier Jahre zuvor wurden in China jedoch regimetreue Bischöfe ernannt, die Rom nicht akzeptieren wollte. Der Vatikan exkommunizierte sogar einige von ihnen. Dann wurde es jedoch wieder still im Schlagabtausch zwischen Peking und Rom.
Bis zum 7. Juli 2012: In der St. Ignatius Kathedrale sollte der vermeintlich Peking-treue Thaddeus Ma Daqin zum Weihbischof von Shanghai ordiniert werden. Aber es kam anders. Ma nutzte die Öffentlichkeit für eine Kehrtwende. Vor den Gläubigen erklärte er seinen Austritt aus der "Katholischen Patriotischen Vereinigung". Er wandte sich von der Partei ab und sprach dem Papst die Treue aus. Anschließend verschwand er aus der Öffentlichkeit. Seitdem steht er unter Hausarrest.
Versöhnliche Töne vor Franziskus' Südkorea-Besuch
Die Situation verschärfte sich im vergangenen Jahr. Am 27. April starb Bischof Aloysius Jin von Shanghai. Jin stand auf beiden Seiten des Risses, der die katholische Kirche in China zeichnet. Wegen seines Glaubens verbrachte er fast 30 Jahre in Gefangenschaft. Nach seinen Jahren in Haft trat er jedoch der "Katholischen Patriotischen Vereinigung" bei und wurde später sogar Bischof von Shanghai. Eigentlich sollte Weihbischof Thaddeus Ma Daqin das Amt von Jin übernehmen. Aber das lassen die Behörden nicht zu, und halten ihn unter Hausarrest.
Ma blamierte Chinas Religionsbehörden und die Staatskirche. "Mit seinem Austritt hat Ma Chinas Grundsatzposition, eine von Rom unabhängige katholische Kirche in China zu etablieren, offen herausgefordert", sagt Kristin Shi-Kupfer vom Mercator Institut für Chinastudien (Merics) . "Eine Rückkehr in sein offizielles Amt nach Aufhebung des Hausarrests halte ich für sehr schwierig."
Trotzdem stimmt Chinas Staatskirche zum Besuch von Papst Franziskus in Südkorea versöhnliche Töne an. Bischof John Fang Xingyao, Vorsitzender der "Patriotischen Vereinigung", hält den Zeitpunkt ideal für eine Annäherung. "Nach meinem Verständnis hofft China, diplomatische Beziehungen zum Vatikan aufbauen zu können. Und in Rom wird diese Einstellung geteilt", sagte John Fang Xingyao der Hongkonger Zeitung "South China Morning Post". "Das ist die beste Zeit dafür. Wir sollten diese Chance nicht verpassen."
Und auch im Vatikan werden die Beziehungen zu China zum Papstbesuch angesprochen. Zwar macht Franziskus nicht Station in China, aber auf dem Weg nach Südkorea schickte er aus dem Flugzeug ein Telegramm an Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping. "Ich rufe den göttlichen Segen für Frieden und das Wohl für die Nation." Es war das erste Mal, dass China das Flugzeug des Papstes durch seinen Luftraum fliegen ließ. Bei der Südkorea-Reise von Johannes Paul II. im Jahr 1989 verweigerte China noch den Überflug, und die Maschine des Papstes musste auf eine Route über Russland ausweichen. Der Papst schickt in der Regel Telegramme an alle Länder, über die er fliegt.
Der Graben zwischen der Position von Peking und der von Rom ist jedoch tief. Trotzdem könnte ein Kompromiss sowohl Chinas Führung als auch dem Vatikan helfen, meint Kristin Shi-Kupfer. "Die Existenz der sogenannten Untergrundkirche ist für beide Seiten unbefriedigend. Beide Seiten haben ein Interesse an einer Annäherung." Peking wolle christliche Institutionen bei der Lösung sozialer Probleme stärker einbinden. Und dem Papst liege sehr viel am Dialog mit Gemeinden in Asien - besonders der im Milliardenreich China.
In einem kleinen Gebäude neben Pekings Südkathedrale sitzt eine Ordensschwester. Auf ihrem Schreibtisch türmen sich Stapel mit Dokumenten. Der schwarze Schleier ihrer Ordenstracht verdeckt ihre Haare. "Die Wege des Herrn sind unergründlich", sagt sie. Das Verhältnis zu den Behörden sei nicht schlecht. Bei größeren Reparaturen an den Kirchen in Peking gebe es staatliche Zuschüsse.
"Franziskus kann eine Annäherung gelingen"
Im rund 8.000 Kilometer entfernten Rom lebt seit Jahren eine enge Gemeinde papsttreuer Christen aus China. Viele von Ihnen schauen mit Sorge auf eine Annäherung zwischen Rom und Peking. Ein junger Priester will reden, aber auf keinen Fall in der Nähe der Vatikan-Institutionen. "Viele Mitglieder von Chinas Staatskirche nehmen mittlerweile an Austauschprogrammen mit Rom teil", sagt er. Man wisse nie, wer mithört, flüstert er verschwörerisch.
In einem Cafe in der Nähe des Vatikans lässt er sich nieder. In China traute er sich nur selten, sein Gewand anzuziehen. Hier fällt er inmitten vieler Priester beim Nachmittagskaffee überhaupt nicht auf. "Rom darf die treuen Christen nicht vergessen, die jahrelang im Untergrund ausgeharrt haben", verlangt er. Gleichzeitig seien die Funktionäre an der Staatsspitze in China andere als die, die in den 1950er Jahren die Unterdrückung der Christen organisierten.
"Noch vor einigen Jahren hätte man mich niemals aus China ausreisen lassen", sagt der chinesische Priester. Jede Annäherung an Peking müsse genau bedacht sein. Papst Benedikt XVI. sei schließlich gescheitert, als er auf Chinas Führung zugehen wollte. "Aber wenn es einem gelingen kann, dann Papst Franziskus."