Theologen debattierten über Zukunft der Kirche

Wucherpfennig: "Tabuisierung von Homosexualität aufheben"

Veröffentlicht am 01.03.2019 um 17:05 Uhr – Lesedauer: 

Frankfurt am Main ‐ Bei einer Podiumsdiskussion von vier Theologen ging es ums Ganze: Welche Rolle werden Kirche und Religion künftig spielen? Neben dem Jesuiten Ansgar Wucherpfennig antworteten auch Generalvikar Klaus Pfeffer und die Theologin Johanna Rahner.

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Es ist eine klassische Frage im Bewerbungsgespräch: "Wo sehen Sie sich in 20 Jahren?" Am Donnerstagabend im Haus am Dom in Frankfurt bezieht sie sich auf die katholische Kirche, die - schwer angeschlagen nach dem Missbrauchsskandal - in eine ungewisse Zukunft blickt. Denn eine Zuhörerin möchte wissen: "Wo sehen Sie die Kirche in 20 Jahren?"

In der Antwort sind sich die vier Diskutanten auf dem Podium - der Rektor der Jesuitenhochschule Sankt Georgen, Ansgar Wucherpfennig, der Generalvikar des Bistums Essen, Klaus Pfeffer, der Chefredakteur der Zeitschrift "Christ in der Gegenwart", Johannes Röser, und die Dogmatikerin Johanna Rahner aus Tübingen - überraschend einig: Die Gesellschaft komme gut ohne Kirche aus.

"Egal was wir machen, der Glaube wird irrelevant", sagt Rahner. Früher seien die Menschen in die Kirche gegangen, um Antworten auf ihre existenziellen Fragen zu bekommen. "Heute wirkt die Kirche nicht mehr so, als könnte sie das leisten." Weil sie in Sprachformen rede, die nicht mehr vermittelbar seien, analysiert die Theologin.

Anti-Missbrauchskonferenz habe Vertrauen nicht zurückgebracht

Auch Pfeffer sieht eine massive Glaubenskrise. "Wir kommen aus einem volkstümlichen System, einer Zeit, wo Kirche ein Automatismus war, das hat unser Land stark geprägt. Ich bin im Sauerland geboren, und ich hatte gar keine andere Chance, als katholisch zu werden." Doch diese Form der Sozialisierung sei nicht mehr selbstverständlich. In einer liberalen und pluralen Gesellschaft, so der Generalvikar, "verlangt die Zugehörigkeit zu Glaube und Kirche, dass ich davon überzeugt bin".

Doch wie soll eine Kirche überzeugen, die Menschen missbraucht, die ihr Glauben schenken? Hat die Anti-Missbrauchskonferenz am Wochenende im Vatikan Vertrauen zurückgewinnen können? Eher nicht, sind sich auch in dieser Frage die Podiumsteilnehmer einig. Nötig sei ein tiefer gehender Wandel.

Bild: ©katholisch.de

Die Theologin Johanna Rahner lehrt in Tübingen Dogmatik. Das Foto zeigt sie während des Deutschen Evangelischen Kirchentags 2017 in Berlin.

"Der Missbrauch hat systemische Gründe, wir müssen die Tabuisierung von Sexualität und Homosexualität in der katholischen Kirche aufheben", fordert Wucherpfennig, der wegen Aussagen zur Homosexualität mit dem Vatikan in Konflikt geraten war. "Wenn sich jemand fürs Zölibat und damit dafür entscheidet, dem Himmelreich zu dienen, ist dagegen nichts einzuwenden. Es wird aber ein echtes Problem, wenn junge Menschen, ob homo- oder heterosexuell, Schwierigkeiten mit ihrer Sexualität haben und die Rettung dann im Priesteramt suchen", fasst Wucherpfennig zusammen.

Pfeffer kritisiert eine "Harmoniesehnsucht" in der Kirche. "Macht haftet bei uns etwas Böses an: Da sagt jemand, wo es langgeht - das hat einen unangenehmen Geruch." De facto gebe es in der Kirche Menschen, die Macht hätten und haben müssten. "Auch ich habe als Generalvikar Macht, und diese Verantwortung muss ich wahrnehmen und mir dessen bewusst sein, ansonsten wird es gefährlich." Denn Macht könne subtil "hintenherum" ausgeübt und nicht kontrolliert werden. Gleichzeitig finde eine "totale Überhöhung" des Priesteramtes statt - nach Meinung von Wucherpfennig und Pfeffer eine ungute Gemengelage.

Röser: "Die Hölle ist erledigt, die Hölle ist leer"

Zudem sprachen beide von "Leidensgeschichten", wenn kirchliche Mitarbeiter Angst um ihre Existenz hätten, weil sie nicht so lebten, wie es die Kirche offiziell vorschreibe. Rahner äußerte sich kritisch zur Rolle von Frauen in der Kirche: "Wir Frauen stützen das System allein durch unsere Anwesenheit, durch die Arbeit, die wir in unserer Kirche leisten, und dadurch, dass wir den Mund nicht aufmachen."

Röser sieht das Ganze von der pragmatischen Seite: "Die Macht der Pfarrer ist nur noch eine eingebildete. Die Leute kommen doch kaum noch in die Kirche, und in den Beichtstuhl kommt so gut wie überhaupt niemand mehr. Die Hölle ist erledigt, die Hölle ist leer."

Und trotzdem - Wucherpfennig hofft, dass die Kirche wieder in der Gesellschaft ankommen kann. Und Pfeffer hat dazu zumindest einmal einen ersten Ratschlag: "Die deutschen Bischöfe müssen möglichst schnell zu einer klaren und gemeinsamem Entscheidung kommen, wie mit den Missbrauchsfällen umgegangen wird."

Von Stefanie Ball (KNA)