Standpunkt

Als Unwort geadelt

Veröffentlicht am 16.01.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ "Anti-Abschiebe-Industrie" – mit dieser Wahl werde die Jury des "Unwort des Jahres" endgültig zur Sprachpolizei, kritisiert Ludwig Ring-Eifel. Er fühlt sich an Zeiten erinnert, in denen es in der Kirche noch den "Index der verbotenen Bücher" gab.

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Was haben Gutmensch, Herdprämie und Kollateralschaden gemeinsam? Sie alle waren schon mal Unwort des Jahres. Jetzt ist der Begriff Anti-Abschiebe-Industrie hinzugekommen. Den hat ein CSU-Politiker geprägt, um Anwälte zu kritisieren, die mit juristischen Mitteln (oft gegen Entgelt) versuchen, das Abschieben von Ausländern aus Deutschland zu verhindern.

Der Begriff ist ätzend und polemisch. Aber nicht deswegen wurde er zum Unwort erkoren, sondern weil seine Einführung "zeigt, wie sich der politische Diskurs sprachlich und in der Sache nach rechts verschoben hat und sich damit auch die Sagbarkeitsregeln in unserer Demokratie in bedenklicher Weise verändern". Klarer hätte die Unwort-Jury gar nicht sagen können, dass sie sich selbst in der Rolle des Sprachpolizisten sieht, der die Grenze des Sagbaren festlegt und ihre Übertretung öffentlich anprangert. Die Grenze verläuft "rechts", und wer sie übertritt, gefährdet die Demokratie. Das ist Wasser auf die Mühlen derer, die beklagen, dass man in Deutschland jenseits des linksliberalen Mainstreams nicht mehr frei reden dürfe. (Interessanterweise gibt es "Unwort"-Listen nur im deutschsprachigen Raum, während ein "Wort des Jahres" auch in vielen anderen Ländern gekürt wird!)

Das Zensorengehabe der Unwort-Jury erinnert mich an eine Institution der katholischen Kirche. Da gab es bis 1967 den "Index der verbotenen Bücher". Er enthielt Schriften, deren Lektüre nach Ansicht der Inquisitoren geeignet war, die Gläubigen gegen die kirchliche Lehre und ihre Autoritäten aufzubringen und sie damit ins Verderben zu stürzen. Um sie zu schützen, war es besser, solche Schriften "auf den Index zu setzen", der jährlich aktualisiert wurde. Genutzt hat es wenig. Eine bessere Werbung als den Index konnte es für ein gut geschriebenes Buch nicht geben. In den Bücherregalen freier Geister waren solche Titel ein "must have". Kaum anders ergeht es manchen Unwörtern. Gutmensch, Herdprämie und Kollateralschaden erfreuen sich anhaltender Beliebtheit, weil sie Sachverhalte oder Verhaltensweisen polemisch auf den Punkt bringen. Das schafft der Begriff Anti-Abschiebe-Industrie nicht. Deswegen wäre das Wort ohne seine Aufwertung durch die Unwort-Jury vermutlich schon längst in Vergessenheit geraten.

Von Ludwig Ring-Eifel

Der Autor

Ludwig Ring-Eifel ist Chefredakteur der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.