Standpunkt

Der "Papst emeritus" fördert die Spaltung seiner Kirche

Veröffentlicht am 12.04.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Der Aufsatz von Benedikt XVI. zur aktuellen Kirchen- und Missbrauchskrise klingt wie ein Echo längst vergangener Zeiten, kommentiert Tilmann Kleinjung. Der Text des emeritierten Kirchenoberhaupts sei eine Kampfschrift gegen Papst Franziskus.

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Nach dem Anti-Missbrauchsgipfel im Februar in Rom sind wir Berichterstatter hart mit Papst Franziskus ins Gericht gegangen. Weil die konkreten Ergebnisse dieses Bischofstreffens eher mager waren, weil sich die katholische Kirche nach wie vor schwer tut mit einer radikalen Null-Toleranz-Politik gegenüber Tätern und Vertuschern, weil irgendwie alles zu langsam geht bei der Aufarbeitung dieses monströsen Skandals.

Nachdem wir nun einen Einblick in die Gedankenwelten seines Vorgängers Benedikt XVI. bekommen haben, müssen wir feststellen: Wir haben Papst Franziskus Unrecht getan. In einem für katholische Verhältnisse rasenden Tempo versucht er in seiner Kirche einen Bewusstseinswandel herbeizuführen. Die Stimme des emeritierten Papstes klingt da wie ein Echo längst vergangener Zeiten. Dass Joseph Ratzinger seine Ansichten auch noch veröffentlicht, schadet ihm und seinem Vorgänger.

Die zu Papier gebrachten Notizen offenbaren, wie untauglich Benedikts Rede vom moralischen Relativismus ist, um ein komplexes Phänomen wie das des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger zu ergründen. Wenn tatsächlich die sexuelle Revolution der 68er die Wurzel allen Übels ist, wie erklärt sich Benedikt, dass auch in den 1950er Jahren und Anfang der 1960er Jahre Kinder Opfer von Klerikern wurden. Wie kam es zum Missbrauch in geschlossenen, streng katholischen Milieus?

Der Anti-Missbrauchsgipfel in seiner unmittelbaren Nachbarschaft scheint an Benedikt spurlos vorübergegangen zu sein. Dass es in der katholischen Kirche strukturelle Voraussetzungen für Missbrauch und dessen Vertuschung gibt, interessiert ihn nicht. Die "heilige Kirche" sei "unzerstörbar", auch wenn es in ihr Sünde und Böses gebe. In diesem Kirchenbild spielen die Opfer keine Rolle. Moral ist alles und absolut.

Franziskus ist angetreten, die Lehre der Kirche mit dem Leben der Menschen zu versöhnen. Auch wenn Benedikt mehrfach seine Loyalität zu seinem Nachfolger bekundet: Sein Text ist eine Kampfschrift gegen den amtierenden Papst. Sie gibt all jenen Kräften Auftrieb, die Homosexualität und moralische Laxheit als einzige Ursachen für den Missbrauch gelten lassen, die Reformen für überflüssig halten. Der "Papst emeritus" fördert die Spaltung seiner Kirche.

Von Tilmann Kleinjung

Der Autor

Tilmann Kleinjung ist Chef vom Dienst der Redaktion Religion und Orientierung beim Bayerischen Rundfunk (BR).

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.