Sportpfarrer Thomas Nonte über Doping in Westdeutschland

"Strukturelle Sünde"

Veröffentlicht am 07.08.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Doping

Bonn ‐ Am Montag hat das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) nach längerem Zögern ein brisantes Dokument veröffentlicht: Auf 117 Seiten legen darin Forscher der Berliner Humboldt-Universität dar, wie verbreitet jahrzehntelang Doping auch in Westdeutschland war. Im Interview mit katholisch.de verurteilt Sportpfarrer Thomas Nonte diese Praxis mit scharfen Worten, erklärt, was nun zur Aufarbeitung des Skandals getan werden muss und bietet den Betroffenen seine Hilfe an.

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Frage: Herr Nonte, wie beurteilen Sie die neue Studie?

Nonte: Die Nachricht hat mich überrascht und hat auch richtig wehgetan. Bislang dachte ich, der Staat tue zu wenig bei den Dopingkontrollen. Die nun ans Licht gekommenen anderen Absichten finde ich erschütternd. Doping wurde im Westen möglicherweise gar nicht sehr viel anders gehandhabt als im Osten. Das muss jetzt demütig anerkennen, wer zuvor hochnäsig über den Sport in der DDR geredet hat.

Frage: Beschreibt die Studie nur ein Problem der Vergangenheit?

Nonte: Nein. Der Deutsche Olympische Sportbund hat als Reaktion eine Kommission eingesetzt, die das Problem aufarbeiten soll. Man geht also davon aus, dass die Wissenschaftler ein strukturelles Problem offenbart haben, eine Verflechtung von institutionellem, gesellschaftlichem und individuellem Fehlverhalten. Das hat sich sicher nicht einfach aufgelöst. Die Verantwortlichen müssen nun einen Blick in die junge Geschichte der wiedervereinigten Bundesrepublik werfen und klären: Was war der entscheidende Punkt, der zu diesem Irrweg, ja, zu dieser Sünde geführt hat? Ich halte Doping in diesem Ausmaß wirklich für eine strukturelle Sünde. Das sind nicht nur die Taten von einzelnen Sportlern.

Frage: Was sollte passieren, um den Skandal aufzuarbeiten?

Nonte: Es wäre sehr klug, mit der Aufklärungsarbeit bis nach der Bundestagswahl zu warten. Ich möchte die existentielle Problematik von Sportlern ungern als Wahlkampfthema diskutiert wissen. Die Debatte könnte zu sehr an Parteiinteressen und zu wenig an der Sache orientiert sein. Unabhängig davon empfehlen die Autoren der Studie, eine unabhängige Institution zu schaffen, der die Akteure sich anvertrauen können. Das gilt für Sportler, die sich fragen: Was passiert hier mit mir, welcher Trainer bietet mir hier was an? Das gilt aber auch für Mediziner und Funktionäre, die ins Nachdenken kommen. Wir brauchen eine Art Brücke, über die Menschen gehen können, um aus dem Doping-Sumpf wieder herauszukommen.

Frage: Wie könnte eine Aufarbeitung aus theologischer Sicht aussehen? Hilft da eine schlichte Beichte?

Nonte: Das denke ich schon. Allerdings nicht eine öffentliche Beichte in einem Interview, sondern gegenüber einem Priester, der Verschwiegenheit versprochen hat und gemeinsam mit dem, der beichtet, nach einem Ausweg sucht. Die Vergebung ist ja ein Aspekt der Beichte, der oft übersehen wird. Es muss auch die Chance geben, wieder von vorne anfangen zu können.

Thomas Nonte, seit März 2013 katholischer Sportpfarrer, steht vor einer antik anmutenden Sportlerstatue im Deutschen Sport __amp__ Olympia Museum in Köln.
Bild: ©KNA

Thomas Nonte, seit März 2013 katholischer Sportpfarrer, im Deutschen Sport __amp__ Olympia Museum in Köln.

Frage: Dann wären Sie als Sportpfarrer ja genau der richtige Ansprechpartner?

Nonte: Es kann in der Tat der besondere Dienst der Kirchen sein, dass die Betroffenen - ähnlich wie etwa im Rahmen der Militär-, Polizei - oder Gefängnisseelsorge - einen Gesprächspartner finden, der einen geistlichen Rat gibt und der zuhören kann. Manchmal ist auch die Objektivierung eines Zusammenhangs in einem Gespräch schon sehr hilfreich.

Frage: Warum kommen Sportveranstaltungen wie die Tour de France trotz des Wissens um das Doping so gut an?

Nonte: Leistungssport ist einfach sehr faszinierend. Was Menschen durch Disziplin, ihren Willen und Training erreichen, ist genial. Es ist sehr verständlich, dass so viele gern am Fernseher bei Olympia zuschauen. Sie spüren die Wettkampfstimmung und denken: Das würde ich auch gern können. Dieser Erfolgshunger erzeugt aber Druck bei den Sportlern. In unserer Gesellschaft zählt Leistung – schon vom Kindergarten und der Schule an. Wer als Sportler ohne Medaille nach Hause kommt, wird von der Presse niedergeschrieben. Sportverbände wollen nur diejenigen für Wettkämpfe nominieren, bei denen eine Finalteilnahme in Aussicht steht. Solche Verhaltensmuster habe ich vorhin mit der 'strukturellen Sünde' gemeint. Die Schwimm-WM in Barcelona hat gerade gezeigt, wie schwierig ein Misserfolg zu verkaufen ist.

Frage: Kann die Studie überhaupt etwas ändern?

Nonte: Sie könnte ein erster Schritt in die richtige Richtung sein. Der ernüchternde und schmerzhafte Bericht birgt auch die Chance zur Veränderung. Die Doping-Kontrollen werden sicher noch einmal verschärfen, auch Anti-Doping-Botschafter sollten eingesetzt werden. Und genauso sind die Zuschauer gefragt: Beim Fußball gibt es ja auch als Strafe das Spiel vor einem leeren Stadion. So ließen sich doch auch Sportveranstaltungen boykottieren, bei denen Doping am Start ist. Und vielleicht sollten alle miteinander lernen, auch die Niederlage zu ehren – man kann mit ein bisschen Humor und einer gesunden Selbstwahrnehmung nämlich auch gut verlieren.

Frage: Geht nun die Vorbildfunktion von Sportlern verloren?

Nonte: Nicht unbedingt. Wenn jemand einen Fehler zugibt, hat er einen großen Vorbildcharakter – mehr als der, der scheinbar glänzt, aber nicht an den Irrungen des Lebens an Reife gewinnt. Manchmal sind die Fehler, die wir machen, die besten Lehrmeister, die wir haben.

Das Interview führte Gabriele Höfling