Vor zehn Jahren hielt Benedikt XVI. seine "Regensburger Rede"

Die Selbstkritik der modernen Vernunft

Veröffentlicht am 12.09.2016 um 00:01 Uhr – Von Kilian Martin – Lesedauer: 
Papst Benedikt XVI. bei der Regensburger Rede.
Bild: © KNA
Geschichte

Regensburg ‐ Papst Benedikt XVI. sprach in seiner "Regensburger Rede" über eines seiner Lieblingsthemen: das Verhältnis von Glaube und Vernunft. Heute, zehn Jahre danach, sind seine Worte aktueller denn je.

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Wer sich dieser Tage in Europa umblickt, mag Schwierigkeiten haben, die große geistesgeschichtliche Tradition der Vernunft auf diesem Kontinent wiederzufinden. Grauenerregende Gewalt vor unserer Haustür erzeugt massenhafte Not, der bei uns haarsträubende politische Entwicklungen folgen, die wiederum den inneren Frieden ganzer Nationen schwer belasten. Und fast immer wird das religiöse Bekenntnis als dienstbares Werkzeug zur Unterscheidung der Geister missbraucht.

Sind wir Europäer denn unvernünftig geworden? Diese Frage stellte sich bereits vor einem Jahrzehnt, als der mittlerweile emeritierte Papst Benedikt XVI. die Aula Magna der Universität Regensburg betrat. Er war eingeladen worden, eine weitere – vermutlich seine letzte – Vorlesung an seiner früheren Wirkungsstätte als Professor zu halten. Die Ironie der Stunde: Die "Regensburger Rede" erzeugte weltweiten Wiederhall, doch aus den völlig falschen Gründen. Benedikt wurde im Anschluss als Islamfeind gescholten; ein völlig absurder Vorwurf, der heute immerhin keine nennenswerten Fürsprecher mehr hat. Benedikt war gekommen, über sein Lebensthema zu sprechen: das Verhältnis von Glaube und Vernunft. Und er gab bereits damals Antworten auf Fragen, die uns heute in herausforderndem Maße bewegen sollten.

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Der Rücktritt von Benedikt XVI. kam plötzlich, aber nicht ganz überraschend. Der 85-jährige Papst sah, dass seine Kräfte nachließen. Er hat die katholische Weltkirche in einer schwierigen Zeit geführt.

Der Glaube braucht die Vernunft und die Vernunft den Glauben. Dies war das simple Kernmotiv von Benedikts Vortrag. Er wollte damit den Stellenwert der Theologie innerhalb der akademischen Wissenschaften verteidigen: Auch die säkulare Wissenschaft bedarf der Gottesrede, der Theologie, um sich in ihrer eigenen Vernünftigkeit nicht zu radikalisieren und letztlich zu entmenschlichen. Umgekehrt kann die Theologie in unserer Zeit nur im Gewand erkennbarer Vernunft ihren Einfluss wahren.

Argumentation gegen Bekehrung durch Gewalt

Benedikt bezog sich zur Untermauerung auf den mittelalterlichen Dialog zweier Gläubiger: Ein Christ erklärt dabei einem Muslim, weshalb er die Verbreitung des Glaubens durch das Schwert ablehnt.  "Der entscheidende Satz in dieser Argumentation gegen Bekehrung durch Gewalt lautet: Nicht vernunftgemäß handeln ist dem Wesen Gottes zuwider", folgerte Benedikt.

Sowohl das Bekenntnis gegen Gewalt im Namen der Religion als auch jenes zum vernunftgeleiteten Glauben haben zehn Jahre nach der Rede noch an Aktualität gewonnen. Schon der Papst entkräftete dabei ein wichtiges Argument gegen diese Haltung: Man könne denken, diese sei "rein griechisch", also ein philosophisches Gedankenkonstrukt. Benedikt betonte hingegen, dass das Griechische und das Christliche fundamental zusammen gehören.

Bild: ©Robert Ruidl/Fotolia.com

Papst Benedikt XVI. reiste 2006 vom 9. bis zum 14. September nach Bayern. Unter anderem besuchte er die Städte München, Altötting, Regensburg und Freising.

So redete der Papst einem im besten Sinne christlichen Abendland das Wort. Doch das ist eben nicht jener Okzident, der so viele Ignoranten heute allenthalben in Europa zu verteidigen suchen. Die Synthese aus Glaube und Vernunft besteht gerade nicht darin, dass der eigene Glaube obsiegt. Alle Kritik, die auch Benedikt an der säkularisierten, radikalen Vernunft vorzubringen hatte, dürfe nicht in einem Gegenschlag des Glaubens münden: "Die Selbstkritik der modernen Vernunft schließt ganz und gar nicht die Auffassung ein, man müsse nun wieder hinter die Aufklärung zurückgehen und die Einsichten der Moderne verabschieden."

Wichtig in diesem Zusammenhang ist anzuerkennen, was auch zu den "Einsichten der Moderne" gehört: Die fundamentale Gleichberechtigung von Weltanschauungen, die Möglichkeit der friedlichen Koexistenz von Kulturen und der stete Wandel von wahrgenommenen Realitäten.

„Der Westen ist seit langem von (einer) Abneigung gegen die grundlegenden Fragen seiner Vernunft bedroht und könnte damit einen großen Schaden erleiden.“

—  Zitat: Benedikt XVI.

Zugleich mahnte Benedikt, nicht minder wichtig, einen Dialog der Kulturen an, der das Religiöse nicht ausklammert, also auch nicht allein auf der Vernunft beharrt. Wer glaubt, man könnte ein Europa mit Menschen unterschiedlichster Hintergründe, Kulturen und Ideen allein auf Grundlage der Vernunft errichten, irrt gewaltig. Dies wird besonders deutlich, wenn man bedenkt, was auch der damalige Papst in Erinnerung rief: "Der Westen ist seit langem von (einer) Abneigung gegen die grundlegenden Fragen seiner Vernunft bedroht und könnte damit einen großen Schaden erleiden." Nicht erst das widerwärtige Abschlachten von Menschen durch eine fanatische Terrorsekte im Nahen Osten macht dies deutlich. Sie kämpfen gegen unseren Glauben, aber sie kämpfen vor allem gegen all das, was uns auch über konfessionelle Unterschiede hinweg eint: unsere auf Vernunft gegründete Freiheit.

Ein Jahrzehnt später sollten daher nicht nur Akademiker die "Regensburger Rede" Benedikts XVI. noch einmal hören. Es ist nicht bloß eine theoretische Erörterung zum Zustand der Universität. Es ist ein Programm für den recht gelebten Glauben in einem Umfeld, das weder gläubig noch vernünftig erscheinen mag.

Von Kilian Martin