"Gottlob, dass ich kein Pharisäer bin!"
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Impuls von Stephan Wahl
Ein Mensch betrachtete einst näher
die Fabel von dem Pharisäer,
der Gott gedankt voll Heuchelei
dafür, dass er kein Zöllner sei.
Gottlob! rief er in eitlem Sinn,
dass ich kein Pharisäer bin!
Mit spitzer Feder weist der humorbegabte Dichter Eugen Roth auf die Falle hin, in die man sehr leicht tappen kann, wenn man dieses Evangelium liest. Der reuige Zöllner löst Sympathie aus, der überhebliche Pharisäer dagegen negative Gefühle. Prompt ist es nicht schwer den gleichen Fehler zu machen wie der Pharisäer: zu vergleichen und abzuwerten. Denn so schwarz-weiß gezeichnet wird man keiner der beiden Gestalten gerecht. Der Pharisäer ist arrogant, aber sicher in seinem Eifer und seiner Leidenschaft ein Leben mit und vor Gott zu führen eine respektable Person. Der Zöllner ist demütig, aber ein Hallodri und ein raffinierter Gauner mit der Fähigkeit den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen (nicht mit unseren heutigen Zöllnern zu vergleichen, keine Frage!). Beides Gestalten mit Licht und Schatten, mit Ecken und Kanten. Aber mit einem wichtigem Unterschied: der Zöllner weiß um seine schwachen Seiten und versteckt sie nicht vor Gott. Noch mehr: er mutet sie sich und Gott zu, spricht ihn direkt an, bittet um Vergebung. Der Pharisäer weiß um seine guten Seiten, aber brüstet sich damit indem er verächtlich auf den Zerknirschten herabschaut. Und Letzteres geht gar nicht, würde Jesus vielleicht auch in unserer Zeit sagen, denn dieses Spiel geht auch heute munter weiter.
Die verbale Schlammschlacht in den USA vor der Präsidentschaftswahl ist nur ein absurdes Beispiel für die bornierte Lust am gegenseitigen Abwerten und eitler Selbstdarstellung. Die Gefahr lauert in jedem Alltag: Politiker sind unglaubwürdig, Journalisten gehören zur Lügenpresse, Priester sind potentielle Kinderschänder - für mich ist das klar, ich, ja ich weiß schon, was Sache ist. Oder: gut, dass mein Kind nicht homosexuell ist wie der junge Mann in der Nachbarschaft, gut, dass ich meinen Job habe und ihn nicht riskiert habe wie mein jetzt arbeitsloser Ex-Kollege, gut, dass wir unter uns bleiben können und unser Dorf von Asylsuchenden verschont geblieben ist. Die Liste ließe sich problemlos weiterführen.
Jesus verschreibt als Rezept gegen diese alltägliche Versuchung: Demut oder vielleicht noch besser den Mut zur Demut. Der Begriff hat es in sich und hat nichts mit negativer Erniedrigung zu tun sondern mit einer positiv ausgerichteten Haltung im christlichen Verständnis. "Demut" kommt von einem althochdeutschen Wort, das "dienstwillig" bedeutete; es meint also die Haltung eines Menschen, der sich zu allererst als Dienender versteht. Wem gegenüber? Natürlich Gott und damit seinem Mitmenschen gegenüber. Dienen beginnt schon damit, sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen, sich selbst zurückzunehmen ohne sich dabei aufzugeben, sich vorurteilsfrei für den anderen zu interessieren, ohne Schablonen, ohne Schubladen, ohne Beeinflussung durch manch leichtfertig-populistisches Geschwätz von Stimmungsmachern. Meint also den Menschen, denen ich begegne, gerecht zu werden so wie sie sind, mit ihrer eigenen Wahrheit. Ich kann es zumindest versuchen. Immer wieder. Auch denen gegenüber, die mir zugemutet werden, wie ich auch ihnen.
Evangelium nach Lukas (Lk 18, 9-14)
In jener Zeit erzählte Jesus einigen, die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten, dieses Beispiel:
Zwei Männer gingen zum Tempel hinauf, um zu beten; der eine war ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stellte sich hin und sprach leise dieses Gebet: Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort.
Ich faste zweimal in der Woche und gebe dem Tempel den zehnten Teil meines ganzen Einkommens. Der Zöllner aber blieb ganz hinten stehen und wagte nicht einmal, seine Augen zum Himmel zu erheben, sondern schlug sich an die Brust und betete: Gott, sei mir Sünder gnädig!
Ich sage euch: Dieser kehrte als Gerechter nach Hause zurück, der andere nicht. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden.