Aus Angst vor dem Fegefeuer
Bereits im vierten Jahrhundert feierten Christen des Orients am Sonntag vor Pfingsten ein Fest im Gedenken an die Märtyrer der Kirche. Es hieß "Herrentag aller Heiligen". Missionare aus Irland und Schottland brachten im 9. Jahrhundert das Allerheiligenfest aufs europäische Festland und hielten es – wie es ihrer Tradition entsprach – am 1. November. Papst Gregor IV. ordnete wenig später den 1. November offiziell als Gedenktag aller Heiligen an, denen keine besonderen Feiertage gewidmet sind. Nicht ohne Grund, denn im Lauf der Zeit wurde die Anzahl der Heiliggesprochenen immer größer, so dass die 365 Tage im Jahr nicht mehr ausreichten, um jeder und jedem Heiligen gerecht zu werden.
Gedenktag für alle Verstorbenen
Auch einen Gedenktag für alle Verstorbenen gab es bereits in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten. Er wurde am Pfingstmontag oder zuweilen auch am Montag nach dem Dreifaltigkeitssonntag begangen, im Jahr 998 allerdings von Abt Odilo von Cluny auf den 2. November verlegt. Zunächst sollte nur der Verstorbenen seiner Klöster gedacht werden. Später wurde der Gedenktag auf die ganze Kirche ausgeweitet. Das Brauchtum an Allerheiligen und Allerseelen vermischt sich nicht selten. An Allerheiligen, in katholischen Bundesländern ein gesetzlicher Feiertag, sind Eucharistiefeiern mit anschließender Prozession über den Friedhof und Segnung der Gräber üblich. Gärtnereien erleben in den Tagen vorher einen regelrechten Boom. Denn viele schmücken die Gräber ihrer Angehörigen nun mit besonders schönen Blumengestecken und ewigen Lichtern.
Im 16. Jahrhundert entwickelte sich ein regelrechter Armseelenkult – gestützt von der damals gängigen Meinung, dass die Seelen Verstorbener sich vor ihrer Aufnahme in den Himmel an einem Ort der Reinigung, dem Fegefeuer, befinden. Die Seelen, so glaubten die Menschen, stiegen am Allerseelentag vom Fegefeuer zur Erde auf, um sich für kurze Zeit von ihrer erlittenen Pein zu erholen und neue Kraft zu schöpfen. Es sei Aufgabe der Lebenden, ihnen durch Messopfer und Fasten beizustehen. Zur "Pflege der armen Seelen" wurden so genannte Seelgeräte - gute Werke – gestiftet. Oft handelte es sich um Spenden von Geld, Kleidung oder Nahrungsmittel, die an Bedürftige verteilt wurden. Christen früher glaubten, sie könnten so die Erlösung ihrer verstorbenen Angehörigen beschleunigen.
Seelenzöpfe und Gebildbrote
Zu den Seelgeräten gehörten auch bestimmte Brote, die an Allerseelen gebacken und an Bedürftige verteilt wurden – oft Gebildbrote mit aus Teig geformten christlichen Symbolen - als Sinnbild des Opfers für die Verstorbenen. Bis ins 19. Jahrhundert hinein hielt sich dieser Brauch. Zuweilen waren es auch Seelenkuchen - runde Mürbeteigkekse mit Rosinenaugen und einem Mund aus kandierten Kirschen. Von ihren Paten bekamen Mädchen und Jungen in Bayern am Allerseelentag einen Seelenzopf geschenkt – ein Weißbrot in Zopf-Form. Der österreichische Schriftsteller Peter Rosegger erinnerte sich an einen Allerseelen-Aberglauben in der Steiermark, seiner Heimat: Keine Tür wurde an diesem Tag zugeschlagen – aus Angst, dass dabei eine arme Seele zerquetscht werden könnte. Auch im Rheinland war das Brauchtum zum Trost armer Seelen stark ausgeprägt. Junge Burschen zogen durch die Dörfer und sammelten mit Bittsprüchen Geld zur Lesung von Messen für alle verstorbenen Dorfbewohner.
In manchen Gegenden wurden vor Zeiten am Allerheiligen- oder Allerseelen-Tag zur Mahlzeit Gedecke für liebe Verstorbene aufgelegt. Auch heute noch ist es in vielen katholischen Familien üblich, sich am Allerheiligen-Tag zu treffen. Nicht selten wird dann ein Gedeck für die der den zuletzt Verstorbenen aufgelegt. Nach dem gemeinsamen Kaffeetrinken gehen alle gemeinsam zum Friedhof und stellen Blumen und Kerzen auf die Gräber ihrer Angehörigen. Ein schönes und verbindendes Element, das auch heute noch in vielen Familien Traditionswert hat.