Belgien will aktive Sterbehilfe auf Minderjährige ausdehnen

Fragwürdige Pioniere

Veröffentlicht am 09.02.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Ethik

Bonn/Brüssel ‐ In Belgien geht der Streit um aktive Sterbehilfe derzeit durch den Magen. Während die katholische Kirche in der vergangenen Woche zu einem Fast- und Gebetstag gegen die Zulassung von Sterbehilfe auch für Kinder aufgerufen hatte, lud die Sozialistische Partei in der Stadt Huy zu einem demonstrativen Festessen zugunsten des Gesetzesvorhabens ein: Spott mit schlechtem Geschmack.

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In der kommenden Woche will Belgiens Abgeordnetenkammer über eine Ausweitung aktiver Sterbehilfe auch für Kinder beschließen. Eine Zustimmung gilt angesichts der Mehrheitsverhältnisse als wahrscheinlich. Der Senat hatte das Vorhaben schon Ende 2013 gebilligt; der Justizausschuss der Kammer schloss sich an.

Keine Altersbegrenzung mehr

Belgien wäre damit weltweit Sterbehilfe-Pionier: Denn in den Niederlanden gibt es zwar bereits Tötung auf Verlangen auch für Jugendliche über zwölf Jahren und für unheilbar kranke Neugeborene. Das geplante belgische Gesetz sieht aber gar keine Altersbegrenzung mehr vor.

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Video: © Gereon Alter

"Wenn das Leben zum Grenzfall wird" gesprochen von Gereon Alter (kath.)

Weltweit erstmals wurde aktive Sterbehilfe am 1. April 2002 in den Niederlanden legalisiert. Einen Monat später zog Belgien nach; Luxemburg folgte 2009. Kritikern der liberalen Regelungen wurde anfangs entgegengehalten, dass aktive Sterbehilfe nur in ganz engen Grenzen bei sterbenskranken Erwachsenen erlaubt werde.

Doch mittlerweile ist eine deutliche Ausweitung zu beobachten: Die Zahl der Fälle steigt; zugleich wird der Kreis jener weiter gesteckt, die aktive Sterbehilfe in Anspruch nehmen können. Kritiker wie der CDU-Politiker Hubert Hüppe und der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch , warnen deshalb vor einer abschüssigen Bahn.

13 Prozent mehr Sterbehilfe-Fälle

So stieg die Zahl der Fälle im Jahr 2012 in Belgien auf den Rekordstand von 1.400 - gegenüber 235 im ersten Jahr nach der Legalisierung. Auch in den Niederlanden zeigt die Statistik eine klare Richtung: Die Zahl der Fälle ist von 2011 bis 2012 um 13 Prozent auf 4.188 gestiegen, berichtete die zuständige Kommission.

Schlagzeilen hat Belgien gemacht, weil dort auch Menschen Tötung auf Verlangen in Anspruch nahmen, die nicht todkrank waren. So erhielt im Oktober ein transsexueller Mann Sterbehilfe, weil er mit seiner Geschlechtsumwandlung unglücklich war. Zur Jahreswende sorgte der Tod eines 45-jährigen Zwillingspärchens für heftige Diskussionen. Die beiden von Geburt an tauben Männer drohten allmählich zu erblinden. Auf Wunsch der Brüder leisteten Ärzte Sterbehilfe, obwohl die Zwillinge nicht an einer tödlichen Krankheit litten.

Organentnahme nach Sterbehilfe

Ethisch problematisch zeigt sich auch die Vermischung von Euthanasie und Organspende. 2012 wurde bekannt, dass in Belgien seit 2005 neun nach Sterbehilfe verstorbenen Patienten Organe entnommen wurden. Debattiert wurde, ob die Spenden wirklich freiwillig erfolgen. Eine systematische Information der sterbewilligen Patienten über Organspende gebe es nicht, um keinen emotionalen Druck zu erzeugen, zitieren Zeitungen den Antwerpener Transplantationsmediziner Dirk Ysebaert.

Umstritten ist auch der Umgang mit Demenzkranken und ihrer Entscheidungsfähigkeit. Für Debatten sorgte etwa 2011 die Sterbehilfe für eine schwer demenzkranke Frau - ohne dass sie ihren vor Jahren formulierten Wunsch noch einmal klar zum Ausdruck bringen konnte.

Nach Meinung der katholischen Bischöfe Belgiens droht ein Dammbruch: Bei Demenzkranken könnte es "soweit kommen, dass die Euthanasie ganz einfach die allgemeingültige Lösung würde - aus Mitleid", warnten sie. Auch der Fall eines sterbewilligen Minderjährigen könnte als "normal" erscheinen, sobald die Krankheit oder Behinderung erst einmal allgemein als "unannehmbar" gelte. Statt aktive Sterbehilfe auszuweiten, solle die Gesellschaft überlegen, wie Schwerkranke besser aufgefangen werden könnten.

Von Christoph Arens (KNA)

Hintergrund: Stimmen aus Deutschland

Mit Blick auf die geplante Legalisierung der aktiven Sterbehilfe auch für Kinder in Belgien warnt der Malteser Hilfsdienst in Deutschland vor einem wachsenden Druck auf Familien schwerstkranker Jungen und Mädchen. Mit einem solchen Gesetz würde "die Tötung als eine menschliche Lösung dargestellt", erklärte der Leiter des Zentrums für Palliativmedizin am Malteser Krankenhaus in Bonn, Lukas Radbruch. "Das ist eine Kapitulation der Gesellschaft." Der Gesetzgeber müsste stattdessen alles tun, damit Kinder und Jugendliche in Würde sterben könnten, ohne ihr Leben künstlich zu verlängern oder zu verkürzen, sagte Radbruch. "Das Leiden muss beseitigt werden, und nicht den Leidenden." Radbruch verwies zum bundesweiten "Tag der Kinderhospizarbeit" am kommenden Montag auf die Arbeit der Kinderhospize in Deutschland. Die Malteser sind Träger von 28 ambulanten Kinder- und Jugendhospizdiensten und bieten ebenfalls an 28 Standorten Kindern und Jugendlichen Trauerbegleitungen an. Auch die deutschen Bischöfe haben sich wiederholt gegen jede Form organisierter Beihilfe zur Selbsttötung gewendet. Zuletzt hatten sie beim Treffen ihres Ständigen Rates in Würzburg anfang des Monats erklärt, das Leben jedes Menschen – auch der hilfsbedürftigen, alten, kranken und verzweifelten – sei schützenswert. Die wiederholten Vorstöße von Gesundheitsminister Herrmann Gröhe (CDU), der ein Gesetz zum Verbot der gewerbsmäßigen Sterbehlfe anregte, begrüßen die Oberhirten (gho/KNA).

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