"Wie ein zweites Zuhause"
Durch das kleine Schaufenster ist zunächst nur wenig vom "Anziehpunkt" zu sehen. Im Inneren ist das anders. Es gibt Wintermäntel und Jeanshosen, Schuhe und Kinderbekleidung, Haushaltswaren, Bücher und Brettspiele. "Vieles ist von H&M, aber es sind auch mal Sachen dabei, die richtig teuer waren", erklärt Gesch. Gemeinsam mit vielen anderen ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen kümmert sie sich um das tägliche Geschäft. Sie hat einen geschulten Blick für die Waren aus zweiter Hand, die jeden Tag angeliefert werden.
Der Witwe kommt bei der Arbeit ihre Ausbildung als kaufmännische Angestellte zugute – und natürlich ein gewisses Interesse an Mode. Sie kann ungefähr einschätzen, welches Kleidungsstück einmal wie teuer war und erklärt: "Für eine Bluse, die vor ein bis zwei Jahren vielleicht 80 Euro gekostet hat, nehmen wir hier noch neun Euro." Doch es wird längst nicht alles verkauft, was in den Händen der Ehrenamtlichen landet. "Wenn es zu alt ist oder gar nicht mehr der Mode entspricht, dann hängen wir es nicht mehr raus", sagt die Rentnerin. Denn ihre Kunden wüssten, was gute Ware ist.
"Die Menschen hier vertrauen uns"
Senem heißt eine dieser Kundinnen. Sie kommt mehrmals die Woche in den kleinen Laden, der sich in unmittelbarer Nähe vom Bahnhof in Limburg befindet. "Ich finde hier immer etwas", sagt sie. Zumeist Kleidung, aber ab und zu auch Gläser oder ähnliches. "Ohne dieses Angebot hier würde es für mich finanziell sehr knapp werden", gesteht Semen. Von der Arbeit Geschs und der ihrer Kolleginnen ist sie begeistert. "Ich kenne mittlerweile alle hier sehr gut und kann auch über alles mit ihnen reden", sagt sie.
Das ist Gesch wichtig. "Die Menschen hier vertrauen uns", sagt sie. Deshalb gehe die Arbeit im "Anziehpunkt" auch über das Verkaufen von Kleidung hinaus. Es kommen Menschen, die nur eine Tasse Kaffee trinken wollen und jemanden zum Reden brauchen. Es kommen aber auch Menschen mit Sprachproblemen, Menschen, die noch keine Unterkunft für den nächsten Tag haben. "Die können wir dann zu den Beratungsstellen der Caritas weitervermitteln", erklärt die Ehrenamtliche.
Etwas Gutes zu tun sei auch ein Grund, weswegen sie die Arbeit mache, sagt die Rentnerin. "Das Geld, das hier eingenommen wird, kommt dann wieder anderen Projekten zugute, zum Beispiel der Schwangerenberatung." Und was nicht mehr im Laden verkauft werden kann, das wird unter anderem an Hilfswerke gespendet. "Manchmal gebe ich aber auch so etwas ab, wenn hier jemand reinkommt, der fast nichts auf dem Leib trägt", gesteht die 70-Jährige.
Jeder kann im "Anziehpunkt" einkaufen
Einkaufen kann im "Anziehpunkt" prinzipiell erst einmal jeder. "Man muss sich auch nicht schämen, hierher zu kommen", macht Gesch deutlich. Wo sie jedoch die Skrupel der Menschen bemerkt, ist beim Beantragen der Kundenkarte: "Damit bekommen die Karteninhaber noch einmal 50 Prozent Rabatt, müssen im Gegenzug allerdings einen Einkommensnachweis einreichen." Gerade die ältere Generation könne oft nicht über ihren Schatten springen. "Ab und zu können wir aber jemanden dazu überreden", fügt sie lächelnd hinzu.
Wenn gerade nicht so viel los ist im Laden – im Schnitt kommen täglich 80 bis 100 Kunden –, dann gibt es trotzdem genug zu tun. "Die Ware wird von uns angenommen, sortiert, ausgezeichnet und in den Laden geräumt", schildert Gesch die Arbeitsabläufe. Dabei laufe alles "Hand in Hand mit den anderen". Auch das Putzen und Dekorieren übernehmen die Ehrenamtlichen selbst.
"Das Sozialkaufhaus ist als Projekt für Langzeitarbeitslose gestartet und wurde vom Jobcenter gefördert", sagt Detlef Knopp von der Limburger Caritas. Weil jedoch jeder dort einkaufen könne, sei die Förderung eingestellt worden. Rund 55.000 Euro Einnahmen konnte der Limburger "Anziehpunkt" im Jahr 2013 verzeichnen. "Davon müssen natürlich die Miete, Nebenkosten und die Gewerbesteuer bezahlt werden", erklärt Knopp. Und: Ohne Gesch und die anderen Ehrenamtlichen ließe sich der Betrieb nicht aufrechterhalten.
Doch Gesch kommt gerne – auch in Zukunft. Der Anziehpunkt sei für sie wie ein zweites Zuhause geworden, sagt die Witwe, die auch im Privatleben gerne hilft und abgibt. Manchmal, so erzählt sie, käme eine junge Mutter in den Laden, die noch einen Videorecorder besäße. Für die bewahre sie die wenigen Videokassetten auf, die noch reinkämen. "Wenn ich ihr die dann schenke, freut sie sich immer wie eine Schneekönigin", sagt Gesch. Sie kann sich nichts anderes mehr vorstellen, als hier zu arbeiten.