Gemeinsam dem Zeitgeist widersprechen
Auf der ökumenischen Bühne herrscht derzeit ein geschäftiges Treiben, ein kirchliches Spitzentreffen folgt in kurzem Abstand auf das andere. Insofern überrascht es, dass der frühere vatikanische "Ökumeneminister", Kardinal Walter Kasper (83), und der evangelische Altbischof Ulrich Wilckens (88) gemeinsam mit einem "Weckruf Ökumene" an die Öffentlichkeit treten. Wen wollen sie aufwecken, und was würde, wie sie im Untertitel schreiben, die Einheit der Christen voranbringen?
Noch bestehende Differenzen
"Es sieht fast so aus, dass es eines 'ökumenischen Weckrufs' heute eigentlich gar nicht bedarf", schreiben die Autoren selbst. Aber dem sei nicht so. "Wir haben es in unserer Gegenwart zwar in der Lehre vom Glauben nicht mehr mit schwerwiegenden Gegensätzen zu tun - wohl aber ist es die Praxis des Glaubens, die dem Evangelium immer mehr widerspricht." Was den ersten Teil der Aussage betrifft, so zeigen Kasper und Wilckens in ihren beiden über weite Strecken konvergierenden Beiträgen den Stand der Übereinstimmung von Katholiken und Lutheranern auf - ohne die noch bestehenden Differenzen zu verschweigen. Dies gilt für die Themen Bibel, Dreieinigkeit Gottes, Kirche, Papsttum, Maria, Gesellschaft und Staat sowie "Hoffnung auf endzeitliche Vollendung".
Wären beide die "Verhandlungsführer" ihrer Kirchen, so könnte man annehmen, dass sie hier bald weiterkämen. Aber Kasper - wenn auch unter Papst Franziskus noch stark gefragt - ist eben nicht mehr Präsident des Päpstlichen Einheitsrats. Und Wilckens, von 1981 bis 1991 Bischof des Sprengels Holstein-Lübeck in der damaligen Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche und zuvor renommierter Neutestamentler, ist innerhalb des deutschen Protestantismus eher ein Außenseiter.
Themenseite Ökumene
Die Themenseite gibt einen Überblick über die aktuelle Berichterstattung von katholisch.de rund um das Thema Ökumene.Gleichwohl ist es von Interesse, wo die beiden Autoren Handlungsspielräume sehen. Kasper etwa mahnt an, dass "die positiven Ergebnisse der ökumenischen Dialoge über Kirche, Amt und Eucharistie amtlich oder zumindest offiziös festgehalten und bestätigt" werden. Zu suchen sei nach "schon heute möglichen theologisch verantwortbaren Zwischenschritten" auf dem Weg zur "Kirchengemeinschaft in Wort und Sakrament". Pastoral dringend sei vor allem die Frage, "ob in bestimmten Situationen, besonders in konfessionsverbindenden Ehen und Familien, eine begrenzte Kommuniongemeinschaft möglich ist".
Wilckens hält bei einer weiteren Klarstellung der lutherischen Kirche, wie sie ihre Ordination versteht, eine Anerkennung des lutherischen ordinierten Pfarramts seitens der katholischen Kirche und von daher auch die Zulassung gemeinsamer Abendmahlsfeiern für "theologisch sehr wohl möglich". Umgekehrt könnten und sollten "alle evangelischen Kirchen das Hirtenamt des Papstes als 'Petrusdienst' anerkennen" - wobei dessen konkrete Gestalt noch im Dialog zu klären sei.
Gesellschaftliche Abkehr vom Christentum
Beunruhigt zeigen sich die Autoren von neuen Gegensätzen, die nicht mehr auf eine "Trennung zwischen den Kirchen als vielmehr eine Trennung von den Kirchen, oft sogar eine Trennung vom Christentum überhaupt" hinausliefen. "Für Christen, die es noch sein wollen, gilt es hier umzukehren, sich zusammenzutun, wenn es darum geht, für das Evangelium mutig dort einzustehen, wo es dem, was der Zeitgeist fordert, widerspricht", resümieren Wilckens und Kasper. Im Jahr 2017 könne man der Reformation nur recht gedenken, "indem man sich selbst durch den Heiligen Geist reformieren lässt und vielen Nicht-mehr-Christen hilft, aus dem freireligiösen oder religionslosen Mainstream zurückzufinden zur Wirklichkeit Gottes, wie sie die Bibel bezeugt".