USA-Experte Ferdinand Oertel über das Treffen von Franziskus und Obama

"Für den Lebensschutz"

Veröffentlicht am 27.03.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
USA

Bonn ‐ Abtreibung, Stammzellenforschung, soziale Fragen: US-Präsident Barack Obama und Papst Franziskus hatten bei ihrem Treffen im Vatikan viel zu bereden. Details wurden bisher jedoch nicht bekannt. Wir haben mit dem katholischen Journalisten Ferdinand Oertel, der an der Jesuitenuniversität in St. Louis (USA) studiert hat, gesprochen: über die katholische Kirche in den USA, ihren Einfluss auf den Staat und ihr Verhältnis zu Obama.

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Frage: Herr Oertel, über die Katholiken in den USA wissen wir hier in Deutschland nur sehr wenig. Was können Sie uns über sie erzählen?

Oertel: Unter den 300 Millionen US-Amerikanern gibt es rund 60 Millionen Katholiken. In der katholischen Bevölkerung ist aber ein großer Wandel im Gange. Während sie bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts fast ausschließlich aus Weißen bestand, kamen seitdem viele Zuwanderer aus Lateinamerika und aus Fernost hinzu. Inzwischen macht die Gruppe der sogenannten "Hispanics" über 30 Prozent der Katholiken aus. Untersuchungen weisen darauf hin, dass es Mitte dieses Jahrhunderts sogar mehr als 50 Prozent sein werden. Das spielt für die katholische Kirche in den USA eine große Rolle, da der Großteil der Bischöfe und Priester noch immer Weiße sind. Die Zahl der Kleriker und Ordensleute ist aber insgesamt – wie bei uns auch – stark gesunken und weiter rückläufig.

Frage: Was zeichnet denn den gelebten Katholizismus der Gläubigen aus?

Oertel: Eines der Hauptkennzeichen ist die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft. Es gibt keine offizielle Kirchensteuer. Wer sich als Katholik bekennt, zahlt freiwillig Beiträge und ist dann automatisch ein aktives Kirchenmitglied. Die Freiwilligkeit hat auch ergeben, dass sich die Gläubigen sehr in ihren Gemeinden engagieren. Außerdem genießen die katholischen Schulen und Krankenhäuser noch immer ein hohes Ansehen. Ein anderer Aspekt sind die verschiedenen Ethnien, die eine bunte Vielfalt in das religiöse Leben bringen. Insgesamt hat die Kirchlichkeit aber auch in den USA durch die große Individualisierung, Technisierung und Globalisierung nachgelassen. Man rechnet aber noch immer gut 50 Prozent der Katholiken zu den aktiven Kirchenbesuchern. Unter ihnen gibt es jedoch Spannungen zwischen den Konservativen und den Progressiven. Genauso wie unter den Bischöfen.

Frage: Was hat die katholische Kirche als Institution für einen Stellenwert in den Vereinigten Staaten?

Oertel: Durch den Missbrauchsskandal zu Beginn des Jahrtausends hat die Kirche sehr viel an Vertrauen verloren. Es hat lange gedauert, das wieder zurückzugewinnen. Durch die Bekämpfung des Missbrauchs und finanzielle Wiedergutmachung haben die Bischöfe jedoch sehr viel getan. Sogar so viel, dass sie selbst in finanzielle Schwierigkeiten geraten ist. Die katholische Kirche ist aber auch die größte christliche Religionsgemeinschaft in den USA und mischt sich sehr stark in die Gesellschaftspolitik ein. Das, was der Vorsitzende der US-Bischofskonferenz sagt, wird gehört. Es gibt außerdem engere Kontakte zwischen der Kirchenspitze und den Politikern als in Deutschland.

Bild: ©Privat

Ferdinand Oertel studierte an der Jesuitenuniversität in St. Louis (USA) und ist langjähriger Berichterstatter für katholische Medien über die katholische Kirche in Amerika.

Frage: Wie steht die katholische Kirche in den USA eigentlich zum Vatikan? Immerhin ist Rom weit weg…

Oertel: Das Verhältnis der katholischen Kirche in Nordamerika zu Rom ist seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil sehr eng geworden. Schon Paul VI. hat die Vereinigten Staaten besucht. Und Johannes Paul II. war sogar sieben Mal in den USA. Das zeigt, dass man in Rom vor allem von der lebendigen Glaubensgestaltung in amerikanischen Pfarreien sehr viel hält und das deshalb auch sehr unterstützt.

Frage: Und wie steht die Kirche zur US-Regierung und Präsident Barack Obama?

Oertel: Das Verhältnis der katholischen US-Bischöfe zum Präsidenten war von Anfang an gestört. Unter dem Republikaner George W. Bush war das noch anders, da der sich mehr für den Lebensschutz eingesetzt hat. Der Demokrat Obama vertritt dagegen eine ganz andere Haltung: Bei ihm steht die Entscheidungsfreiheit im Mittelpunkt. Die bezieht sich auf Verhütung und Abtreibung, aber auch auf die Embryonenforschung, die Sterbehilfe am Lebensende oder die Homo-Ehe. Einige Gesetze, die die Ehe zwischen Mann und Frau geregelt haben, sind unter Obama bereits aufgelöst worden.

Frage: Obama selbst ist zwar kein Katholik, aber immerhin Christ. Welchen Einfluss kann der Papst bei einem Treffen auf den US-Präsidenten nehmen?

Oertel: Zunächst geht es wahrscheinlich um die US-amerikanische Sozialpolitik, bei der es Übereinstimmungen zwischen Franziskus und Obama geben wird. Die katholischen Bischöfe unterstützten die US-Regierung schon jetzt bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Aktuell geht es um eine Erhöhung des bisher sehr niedrigen Mindestlohns in den Vereinigten Staaten. Ein weiterer Aspekt wird die Reformpolitik sein, die die vielen illegalen Einwanderer aus der Gruppe der "Hispanics" und ihre Anerkennung betrifft. Die sind für Obama nämlich auch als potenzielle Wähler interessant.

Frage: Und wo stimmen Obama und Franziskus nicht überein?

Oertel: Differenzen gibt es vor allem bezüglich der Religionsfreiheit, die viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens berührt. Da gibt es zum Beispiel im Rahmen der Gesundheitsreform die Anordnung, kostenlos Verhütungsmittel und Mittel, die zur Abtreibung führen, zu verteilen. Dagegen haben sich die Bischöfe lange gewehrt. Und auch Franziskus wird diese freie Gewissensentscheidung, auf die sich Obama immer wieder beruft, ganz klar ansprechen. Er wird sich für den unabdingbaren Lebensschutz Ungeborener, alter und armer Menschen sowie solcher mit Behinderung einsetzen. Dadurch unterstützt der Papst die Bischöfe und die gesamte katholische Kirche in den USA.

Das Interview führte Björn Odendahl