Freiberufliche Hebammen fürchten um ihre Existenz

"Es ist ein Sterben auf Raten"

Veröffentlicht am 17.04.2014 um 00:00 Uhr – Von Anita Hirschbeck und Sina Illi (dpa) – Lesedauer: 
Hebammen

Berlin ‐ Ohne eine Hebamme geht bei einer Geburt nichts - da sind sich alle einig. Die Politik, die Kassen und vor allem die Eltern. Doch wegen der gestiegenen Tarife für Haftpflichtversicherungen fürchten viele freiberufliche Hebammen um ihre Existenz.

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Ein Hoffnungsschimmer? Mitnichten, findet die Vorsitzende des Deutschen Hebammenverbands, Martina Klenk: "Es ist ein Sterben auf Raten." Für eine einzelne Versicherung ist das Risiko, die Geburtshelferinnen zu versichern, erheblich. Um die Risiken zu verteilen, hatten sich deshalb drei Versicherer zu einem Konsortium zusammengeschlossen. Doch zum Sommer 2015 steigt die Nürnberger Versicherungsgruppe aus. Um die Lücke zu schließen, hat sich eine Gruppe von Assekuranzen bereiterklärt, eine Versicherung mit einer Steigerung der Prämien um 20 Prozent aufzulegen.

Eine in der Geburtshilfe tätige freiberufliche Hebamme müsste damit eine Versicherungssumme von 6.109 Euro pro Jahr bezahlen. Überdies ist das Angebot befristet. Auf ein Jahr. Danach wäre 2016 Schluss. Dann könnten sich die Hebammen nicht mehr versichern, hätten keinen Schutz mehr und könnten somit auch nicht mehr arbeiten.

Hilfe einer Hebamme wird unbezahlbar

Der Hebammenverband befürchtet, dass viele freie Geburtshelferinnen angesichts der hohen Kosten schon vorher aufgeben müssen. Zahlten sie 2004 noch 1.352 Euro für die Haftpflichtversicherung, werden es nach Angaben des Verbandes ab Juli dieses Jahres schon 5.091 Euro sein. "Damit wird Geburtshilfe für viele Hebammen unbezahlbar", sagt Klenk. Im Durchschnitt verdiene eine Hebamme 1.360 Euro netto im Monat. Nach der Prämienerhöhung im Juli blieben nur noch 936 Euro übrig.

Dass die Versicherungskosten immer weiter steigen, liegt auch am medizinischen Fortschritt. Unterlaufen den Geburtshelfern Fehler, ist die Chance, ein Kind zu retten, heutzutage weitaus höher als früher. Doch je länger die Versicherer für ein behindertes Kind zahlen müssen, desto teurer wird die Versicherungsprämie für Hebammen.

Bild: ©KNA

Um die Kosten für die Versicherung zu erwirtschaften, muss eine Hebamme nach Berechnungen des Deutschen Hebammenverbands künftig etwa 18 Klinikgeburten betreuen.

Um die Kosten für die Versicherung zu erwirtschaften, muss eine Hebamme nach Berechnungen des Deutschen Hebammenverbands künftig etwa 18 Klinikgeburten betreuen. 2008 waren es noch sieben Geburten. Die Hebammen müssen also zwei- bis dreimal soviel arbeiten - allein für die Haftpflicht. Von den 21.000 Hebammen in Deutschland sind gut 17.700 nicht fest angestellt. Etwa 5.100 von ihnen betreuen Geburten.

"Ich muss es mir leisten", sagt Hebamme Angela Berkheim-Kotzurek aus Berlin. Hebamme zu sein, sei schon immer ihr Traum gewesen. Die 58-Jährige arbeitet freiberuflich in der Vor- und Nachsorge. Die Geburten selbst betreut sie nicht. Sie sei in der glücklichen Situation, viel arbeiten zu können, ihre Kinder seien alt genug, sagt sie. Für junge Kolleginnen sehe die Situation ganz anders aus: "Da ist es eine Existenzfrage."

Hebammen: Zuschlag pro Geburt abschaffen

Einige Hebammen fordern, die Krankenkassen sollen die Kosten für die Haftpflicht unabhängig von der Zahl der Geburten übernehmen. Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) hat bereits angekündigt, die anstehende Erhöhung wie in den vergangenen Jahren mitzufinanzieren. Dem Deutschen Hebammenverband ist das aber nicht genug. "Uns ist ja nicht geholfen, wenn wir jedes Jahr wieder in die Verhandlungen gehen und der GKV-Spitzenverband gibt wieder ein wenig Geld mehr pro Geburt", erklärt die Sprecherin des Hebammenverbands, Nina Martin.

Die Hebammen fordern deshalb, dass der Zuschlag pro Geburt abgeschafft wird. Stattdessen sollen sie bei Geburtsschäden nur bis zu einem bestimmten Betrag haftbar gemacht werden können. So wäre die Höhe der Haftpflichtversicherung kontrollierbar, auch für die Versicherer. Alles, was über diese Deckelung hinaus gehe, könnte aus einem öffentlich finanzierten Haftungsfonds beglichen werden, erklärt Martin. Man wolle nicht aus der Verantwortung entlassen werden, betont die Vorsitzende des Verbands, Klenk. Aber die Gesellschaft müsse sich auch fragen, was ihr der soziale Dienst wert ist.

Linktipp: Bald ohne Hebamme?

Ab 2015 gibt es für freiberufliche Hebammen keine Haftpflichtversicherungen mehr. Frauen, die Geburtsbegleitung zu Hause, in Geburtshäusern und als sogenannten Beleghebammen in Krankenhäusern anbieten, droht damit das Aus. Sabine Dörpinghaus, Professorin für Hebammenkunde an der Katholischen Hochschule Köln, spricht von einer katastrophalen Situation: "Hier soll einem ganzen Berufsstand der Garaus gemacht werden."
Von Anita Hirschbeck und Sina Illi (dpa)