Das ist unser Priesternachwuchs
Mit der Klampfe im Stuhlkreis: Der Oberministrant
Bei ihm musste der Regens lange überlegen, ob er wirklich schon reif für die Priesterausbildung ist. Am Ende gab seine tiefe Verwurzelung im kirchlichen Leben den Ausschlag. Und wie tief er drin steckt: Der Oberministrant heißt nicht etwa nur so, er ist es tatsächlich noch. Obwohl er vor über zwei Jahren aus seinem Heimatdorf ins Seminar gezogen ist, fährt er noch immer zu jedem Pfarrfest oder Patrozinium in die Heimat. Zu besonderen Anlässen lässt er auch schonmal unter der Woche das Abendgebet im Seminar sausen - schließlich wird er in der Heimatpfarrei gebraucht! Und die ist mächtig stolz auf ihren Sprössling; der Pfarrgemeinderat soll bereits mit der Planung der Primiz begonnen haben.
Der Regens hat es mittlerweile aufgegeben, mit dem Oberministranten über Disziplin und Anwesenheit zu diskutieren. Er ist schließlich engagiert und hat durchaus Seelsorgerqualitäten. Nur dem Spiritual ist es nach wie vor ein Dorn im Auge, dass im Oberministranten-Zimmer zwar keine Heiligenbilder, dafür aber eine alte Klampfe und Weltjugendtagsstrohhüte an der Wand hängen. Bei seinen Mitseminaristen ist der Oberministrant im Allgemeinen recht beliebt, schließlich ist er ein hilfsbereiter Kumpeltyp. Nur wenn sie mal wieder für ihn beim sonntäglichen Pontfikalamt als Dommessdiener einspringen müssen, gibt es den einen oder anderen genervten Kommentar.
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Liest heimlich in der Lutherbibel: Der Konvertit
Er hat von allen Mitbrüdern den längsten Weg ins Priesterseminar gehabt, schließlich musste er erst einmal katholisch werden. Seine Eltern haben ihm den Frontenwechsel zu den Papisten bis heute nicht ganz verziehen. Haben sie ihn vielleicht doch zu spät zur Sonntagsschule gebracht? Seinem ersten Katholiken in freier Wildbahn begegnete der Konvertit beim Studium (Wirtschaftswissenschaften).
Von da an war es um ihn geschehen: Binnen Monaten führte ihn der Weg über Studierendengottesdienste und Kneipengespräche mit Theologen zum Studienfachwechsel. Rahner und Ratzinger wirkten plötzlich so viel spannender als Keynes und Calvin. Die protestantische Ethik prägt ihn dabei noch im Katholischen: Ganz oder gar nicht, lautet die Devise. Also wurde nicht nur das Fach, sondern gleich auch die Konfession und der Lebensstand gewechselt.
Die Dozenten schätzen vor allem den Fleiß des Konvertiten, während bei Bischof und Regens die Freude über das heimgekehrte Schäfchen überwiegt. Da sehen sie auch gerne über den zuweilen übertriebenen Eifer hinweg. Denn aufgrund seiner eigenen Bekehrungsgeschichte fühlt sich der Konvertit zum Missionar neugeboren, was auch seine Mitseminaristen zuweilen zu spüren bekommen. Da gibt es schon einmal eine brüderliche Zurechtweisung, wenn das freitägliche Mittagsmahl nicht karg genug ausfällt.
Und obwohl der Konvertit Rosenkranz, Marienandacht & Co. wohl mehr liebt, als alle anderen Seminaristen, behält er sich seine protestantischen Wurzeln bei: Unter der Bettdecke liest er noch immer in der Lutherbibel, die er von Oma zur Konfirmation bekommen hat.
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Ist ein Geheimnis auf zwei Beinen: Der Mystiker
Niemand weiß, woher er kommt. Keiner kennt seine Vorgeschichte. Selbst sein Geburtstag ist ein Geheimnis; außer für den Regens selbstverständlich, der musste ihn ja im Seminar zulassen. Doch für seine Mitseminaristen bleibt der Mystiker ein Buch mit sieben Siegeln. Außerhalb der Gebetszeiten spricht er nur das Nötigste, ist fast nie bei geselligen Runden dabei und scheint sich auch kaum für Themen abseits des Seminars zu interessieren. Daher kursieren auch allerhand Gerüchte über ihn. Ob der Mystiker vor seinem Eintritt ins Seminar aber tatsächlich bei der Fremdenlegion gedient hat, darf bezweifelt werden.
Eindeutig ist: Der Mystiker sieht das Priesterseminar als Zufluchtsort. Er schätzt die Universität als Ort des Wissens, wo man die großen Denker der Geschichte studieren kann; wären da nicht die vielen Ungläubigen und Bildungsfernen. Generell ist es für ihn nur schwer zu ertragen, wie verkommen diese Gesellschaft mittlerweile ist. O du selige Weltferne des Priesterseminars!
Der Mystiker liebt die Liturgie. Schön schlicht sollte sie sein und möglichst auf das Wesentliche konzentriert - also ohne Menschen. Mit seiner Frömmigkeit kommt er beim Spiritual zwar gut an, der Regens hat dennoch Bedenken. Denn den Geruch der Schafe wird dieser Kandidat wohl so bald nicht annehmen - es sei denn, die sind sehr reinlich und blöken nicht. Und fraglich ist auch, ob sie seine Predigten verstehen werden, wenn er wieder das Johannesevangelium in Zitaten des Bernhard von Clairvaux auslegt.
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Der Vater der Kompanie: Der Seelsorger
Er ist soetwas wie der Häuptling der Seminaristensippe. Schon beim Einzug ins Priesterseminar war er älter als die meisten seiner Kommilitonen bei der Weihe einmal sein werden. Dass er einmal im Priesterseminar landen würde, hätte man sich eigentlich denken können. Mehr oder weniger fromm war er schließlich schon immer. Nach dem Abitur hatte er sogar ein Theologiestudium begonnen, allerdings auf Lehramt. Man munkelt, dass er damals bereits den Regens kennen gelernt hat - als Kommilitone.
Man darf sich sicher sein, dass am Seelsorger ein guter Lehrer verloren gegangen ist. Vielleicht auch ein Familienvater (wäre das jemals zur Debatte gestanden). Im Seminar ist er daher durchweg beliebt, denn seine Lebenserfahrung setzt er zum Wohle der Mitseminaristen ein. In der Manier des Elder Statesman schlichtet er jeden Streit, fungiert als Vermittler zum Regens und springt ein, wo immer eine helfende Hand gebraucht wird. Nur dass er abends in gemütlicher Runde lieber zum Rotwein als zum Bier greift, stößt bei den jüngeren Mitbewohnern auf Unverständnis; zumindest bis 21 Uhr, dann geht der Seelsorger ins Bett.
Das sehen selbst Regens und Spiritual nicht ganz so gerne; man sollte sich schließlich nicht schon als Seminarist seiner späteren Zielgruppe anpassen. Allerdings können sie ihn irgendwo auch verstehen: “Es ist ruhig das Alter und fromm”, erkannte schließlich schon Hölderlin.
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Verliebt in die Wissenschaft: Der Akademiker
Böse Zungen behaupten, er sei nur deshalb ins Priesterseminar gegangen, um durch möglichst Wenig von der Wissenschaft abgelenkt zu werden. Seine große Liebe war immer schon die Academia. Und da der Akademiker nebenbei auch gut katholisch ist, war der Weg ins Seminar fast schon vorherbestimmt. Den Ruf dazu hörte er einst als Frühstudent, als er in morgendlicher Stunde in der Unibibliothek saß und in der Summa Theologica schmökerte - natürlich die lateinische Originalausgabe!
Seine Leidenschaft zu den Alten Sprachen macht ihn besonders bei den Mitseminaristen beliebt. Mit seiner Nachhilfe schaffen sie spielend das Graecum, während er eine launige Fingerübung bekommt. Eine Win-Win-Situation; wobei der Akademiker lieber von einer "Bonum-Bonum-Constellatio" spricht.
Bei den Dozenten kommt er eher durchwachsen an. Einerseits freuen sie sich über den einen kompetenten Diskussionspartner in ihren Seminaren. Andererseits sind die teilweise absurd komplexen Rückfragen des Akademikers gefürchtet. Wer lässt sich schon gerne vor vollbesetztem Hörsaal in die Ecke drängen?
Beim Regens ist der Akademiker wohl gelitten, schließlich müssen sie sich um seinen Studienfortschritt keine Sorgen machen. Zudem verfügt er über eine gesunde Frömmigkeit und kennt alle liturgischen Bücher auswendig. Nur die seelsorgliche Praxis ist des Akademikers Sache nicht: Bei der Taufübung ließ er die Baby-Puppe ins Becken fallen.
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Introibo ad altare Dei: Der Soutanenträger
Er wurde für das Priesterseminar geboren; wenn nicht sogar für noch höhere Weihen. Er ist so fromm, sein morgendlicher Atem riecht nach Weihrauch, die Frage nach der Uhrzeit beantwortet er mit "viertel nach Terz" und der päpstliche Gewandschneider Gammarelli ist auf Kurzwahltaste 2 in seinem Telefon gespeichert - die 1 gehört dem Beichtvater. Den konsultiert der Soutanenträger seit seiner Kindheit regelmäßig, schließlich stammt er aus einem stramm katholischen Elternhaus. Für die Eltern ist das Seminaristendasein ihres Sohnes der Höhepunkt eines langen Weges: Die zahllosen Hausandachten, Tischgebete und abendlichen Bibelvorlesestunden haben sich gelohnt!
Der Soutanenträger selbst hegt dabei noch höhere Ziele: Er will an die Gregoriana. So gut die hiesige Fakultät auch sein mag, wenigstens ein Semester in Rom MUSS einfach in seinem Lebenslauf stehen. Auch deshalb hat er bei den Dozenten einen eher schwierigen Ruf. Er gehört zwar nicht zu den Schlusslichtern, sieht den Stand der Theologie nach dem Zweiten Vaticanum und damit die Aussagen seiner Professoren aber tendenziell skeptisch. Besonders intensiv widmet er sich der Liturgiewissenschaft, wobei sein Interesse hauptsächlich "Summorum pontificum" und dem Missale Romanum von 1962 gilt.
Das sorgt für einen Dauerclinch mit dem Regens, der von außerordentlichen Umtrieben in seinem Seminar gar nichts hält. Aber der Soutanenträger hat nunmal den (emeritierten) Papst auf seiner Seite - und gute Freunde im Ordinariat. Im Gegenteil zum Priesterseminar: Dort hält lediglich der Akademiker zu ihm, schließlich beachtet der Soutanenträger getreu den Buchstaben des Lehramts.
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