Hilfsorganisationen kritisieren geringes Kontingent für die Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien

Nur ein Tropfen auf den heißen Stein

Veröffentlicht am 13.06.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Flüchtlinge

Bonn ‐ Deutschland wird weitere 10.000 Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen. Darauf haben sich die Innenminister von Bund und Ländern am Donnerstag bei ihrer Konferenz in Bonn geeinigt. "Deutschland steht zu seiner humanitären Verantwortung", sagte Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU). Flüchtlingsorganisationen und Hilfswerke fordern jedoch ein weitaus höheres Kontingent.

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Obwohl er sich über das Vorhaben von Bund und Länder freue, sei es nur "ein weiterer Tropfen auf den heißen Stein", sagte Heiko Habbe vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst katholisch.de. Denn Syriens Nachbarstaaten würden nicht entscheidend entlastet. Ein typisches Beispiel dafür ist der Libanon. Mit gerade einmal 4,5 Millionen Einwohnern hat man dort mehr als 1 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. "Zudem sind die bürokratischen Hürden bei uns so hoch, dass noch nicht einmal die 10.000 Menschen aus dem ersten Kontingent einreisen konnten", erklärte der Jurist.

Heiko Habbe, Anwalt des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes in Deutschland.
Bild: ©KNA

Heiko Habbe, Anwalt des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes in Deutschland.

Enttäuscht zeigte sich Habbe aber auch von der EU: "Der Staatenverbund, der von der Wirtschaftskraft her die meisten Flüchtlinge aufnehmen könnte, hält sich derart zurück." Dennoch sieht der Flüchtlingshelfer, der sich seit 20 Jahren mit dem Thema Migration beschäftigt, auch Positives. "Ich habe noch nie eine so große Bereitschaft gesehen, Menschen willkommen zu heißen, wie in diesen Tagen." Die Bilder aus Berlin-Hellersdorf seien hässlich, aber nicht repräsentativ. Dort hatte es wochenlang Proteste gegen ein neues Flüchtlingsheim gegeben.

"Eine der größten Tragödien dieses Jahrhunderts"

Wie für Habbe ist die Bereitschaft der Innenminister auch für Amnesty International nur ein kleiner Schritt. "Die syrische Flüchtlingskrise ist eine der größten Tragödien dieses Jahrhunderts", sagte Ruth Jüttner von Amnesty International der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ). Die Bundesregierung müsse sich entschieden für ein gemeinsames europäisches Aufnahmeprogramm für syrische Flüchtlinge einsetzen.

Eine "drastische Erhöhung" des Kontingents forderte auch die Nahost-Expertin des Kinderhilfswerks terre des hommes, Barbara Küppers. Außerdem solle die Bundesrepublik "allen Asyl gewähren, die jetzt schon da sind", sagte sie der NOZ. Zudem seien alle Länder in der EU gefordert, ihre Aufnahmekontingente "stark zu erhöhen".

Laut Flüchtlingsorganisation Pro Asyl lägen den Bundesländern mehr als 76.000 Anträge für Angehörige von in Deutschland lebenden Syrern vor, teilte die Organisation am Freitag in Frankfurt mit. Der großen Mehrheit werde bislang eine Einreise verwehrt. Sie appellierte an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), sich für ein großzügiges Aufnahmeprogramm in ganz Europa einzusetzen. Europa müsse in einer hohen sechsstelligen Größenordnung syrische Flüchtlinge aufnehmen.

Bislang hatten die Innenminister in zwei Schritten die Aufnahme von insgesamt 10.000 Flüchtlingen aus Syrien beschlossen. Die Zahl soll nun verdoppelt werden. Derzeit haben etwa 40.000 Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien Zuflucht in Deutschland gefunden - der weit überwiegende Teil als Asylbewerber. Nach Schätzungen sind knapp drei Millionen Menschen vor dem Bürgerkrieg in Syrien ins Ausland geflohen, mehrere 100.000 umgekommen.

NRW-Innenminister kann sich größeres Kontingent vorstellen

Der jetzt erzielte Kompromiss sieht nach Angaben von NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) vor, dass der Bund die Kosten für das gesamte Kontingent übernimmt. Die Bundesländer haben laut de Maiziere im Gegenzug zugesichert, dass sie die möglichen Krankenkosten für Syrer übernehmen, die hierzulande bei Familienangehörigen Zuflucht suchen. Dies hatten bislang nur einige wenige Bundesländer getan.

Der jüngste Beschluss der Innenministerkonferenz, 10.000 weitere Syrer aufzunehmen, müsse nicht das Ende sein, sagte Jäger am Freitag im Bayerischen Rundfunk. Er betonte, die meisten Flüchtlinge aus dem Land seien sehr gut ausgebildet: "Viele von denen gehen auch hier in Deutschland unmittelbar in den ersten Arbeitsmarkt." Die Innenminister reagierten mit diesem Schritt auch auf Appelle der Kirchen, weitere Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen. (mit Material von KNA)

Von Michael Richmann und Björn Odendahl