"Wer sich nicht bekennt, wird ermordet"
Die schwarze Flagge der sunnitischen ISIS-Miliz weht über dem katholischen Bischofshaus von Mossul. Die Glocken der Kathedrale sind verstummt. "Sie haben ihr Revier markiert", sagt der Irak-Beauftrage des Essener Caritasverbandes, Rudi Löffelsend, am Montag im Interview mit katholisch.de. Kurz zuvor hat er noch mit dem chaldäischen Erzbischof Amel Nona telefoniert. Der Grund für das Gespräch war wenig erfreulich. "Es ging um die beiden Ordensschwestern, die am Sonntag aus der Mossuler Altstadt entführt wurden" , erzählt Löffelsend. Es waren die beiden letzten verbliebenen Ordensfrauen in der nordirakischen Stadt.
Dass die Christen im Irak bedroht, verschleppt und sogar ermordet werden, ist nicht erst seit dem Auftreten der ISIS bekannt. "2008 wurde der Vorgänger von Erzbischof Nona, Paulos Faraj Rahho, entführt und später tot auf einer Müllkippe gefunden", erinnert sich Löffelsend. Doch seitdem die sunnitischen Milizen das Land in Angst und Schrecken versetzen, haben die Übergriffe eine neue Dimension erreicht, indem sie häufiger und brutaler geworden sind. "Wer sich nicht zum Islam bekennt, wird ermordet", fasst der Irak-Experte nüchtern zusammen.
Chaldäischer Erzbischof: Stimmung der Christen "sehr, sehr schlecht"
Der chaldäische Erzbischof Nona bestätigt den Eindruck in einem Interview mit der Würzburger "Tagespost" vom Dienstag. Die Stimmung unter den noch im Irak lebenden Christen sei "sehr, sehr schlecht". Sie fragten sich, "welche Zukunft sie überhaupt noch in diesem Land haben können, das selbst offenbar keine Zukunft mehr hat". Inzwischen würden die Milizen ganze Städte kontrollieren.
Nona und die meisten seiner Gläubigen haben die Stadt inzwischen verlassen. Leicht sei es nach dem Einmarsch der US-Armee im Jahr 2003 nie gewesen, "aber jetzt gibt es meine Diözese praktisch nicht mehr", sagt er. "Ich habe sie an ISIS verloren." Nach den Worten des Erzbischofs sind derzeit von den einst 10.000 Angehörigen seines Bistums etwa drei Viertel auf der Flucht. Es sehe nicht so aus, als ob sie zurückkehren könnten. Möglicherweise fänden sie in der autonomen Region Kurdistan eine neue Heimat. Dort sei die Lage stabil. Er selbst hoffe noch auf eine Rückkehr, auch wenn das sehr schwierig werde.
"Die ISIS wird uns noch weiter beschäftigen", glaubt auch Timo Güzelmansur, Geschäftsführer der Christlich-islamische Begegnungs- und Dokumentationsstelle (CIBEDO) in Frankfurt. Dass die Gruppe allerdings auf das religiös-symbolische Amt des Kalifen zurückgegriffen hat, ist für ihn ein Zeichen von Selbstüberschätzung und Größenwahn, wie er im Gespräch mit katholisch.de erklärt. "Zu einem Gottesstaat gehört eigentlich auch ein Territorium, das sie nicht gewinnen können", ist er sich sicher. Der jetzt ausgerufene Staat existiere nur symbolisch.
Islamische Gelehrte lehnen ausgerufenes Kalifat ab
Islamische Gelehrte aus aller Welt lehnen das von der Terrorgruppe ausgerufene Kalifat ebenfalls ab. In ihren Botschaften verkünden sie, kein Muslim sei verpflichtet, dem selbst ernannten Kalifen und ISIS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi seine Loyalität auszusprechen. Die Terroristen werden von vielen Gelehrten als unislamisch bezeichnet, weil sie den Tod von anderen Muslimen in Kauf nehmen. So nannte der marokkanische Gelehrte Umar al-Hadduschi laut arabischen Medien den ISIS-Kommandanten al-Baghdadi einen "vom Glauben abgefallenen".
Auch wenn der ISIS größtenteils die Unterstützung fehlt, sorgt sich Güzelmansur dennoch um den Irak. "Aus eigener Kraft wird der Staat das nicht überwinden", sagt der katholische Theologe. Denn das irakische Militär kämpfe nur halbherzig und die Stimmung in der Bevölkerung sei geteilt. "Ich sehe keine jubelnden Menschen, wenn die ISIS eine Stadt einnimmt, aber der Ministerpräsident Nuri al-Maliki wird genauso wenig gefeiert."
Der CIBEDO-Geschäftsführer sieht Klientelpolitik auf der einen und Extremisten auf der anderen Seite. "Die Leidtragenden sind die Christen", sagt er. Sie müssten ihre Kirchen, ihre Dörfer, ihre gesamten Existenzen hinter sich lassen. "Es sieht nicht gut aus und verschärft sich weiter." Die Christen hätten, weil sie durch jedes religiöse und ethnische Raster im Irak fielen, keinen Ort, an dem sie wirklich geschützt seien.
"Die meisten Christen sind in den Nordosten nach Erbil geflohen", sagt der Irak-Experte Löffelsend. Aus dem kurdischen Gebiet verteilt die Caritas nun Hilfsgüter an die Christen der Region. Für Löffelsend steuert der Irak auf eine Dreiteilung zu. "Ein Teil des Landes für die Sunniten, einer für die Schiiten und ein dritter für die Kurden und die restlichen Religionen", glaubt er. Doch vorher müsse der ISIS Einhalt geboten werden, damit der Nahe Osten nicht vollkommen zerbreche. "Nachbarstaaten wie der Libanon oder Jordanien sind höchst fragil", sagt der ehemalige Auslandsreferent. (mit Material von KNA und dpa)
Von Björn Odendahl