Wege, die Menschen verbinden
Eine gelbe Jakobsmuschel auf einer blauen Kachel an der Mauer des Hauses "Im Pfad 1" im 400-Einwohner-Ort Hundsbach am Rande des nordpfälzischen Berglandes zwischen Nahe und Glantal lässt schon vermuten, dass hier ein Jakobsweg-Begeisterter lebt. Auf einem Stuhl bei der Eingangstür liegen Karten und Pilgerführer – über Jakobswege. Der überdachte Sitzplatz im Garten des alten Bauernhauses lädt zur Begegnung und zum Gespräch ein.
Roland Zick (61) – mit wallenden Haaren und Bart – ist Präsident der Jakobusgesellschaft Rheinland-Pfalz-Saarland. Seit rund zwanzig Jahren ist er von der Pilgeridee fasziniert und infiziert – wie viele Männer und Frauen in den zahlreichen Jakobus-Vereinigungen in Deutschland, Europa und weltweit. Einen großen Teil seiner freien Zeit ist Zick in Sachen Jakobusgesellschaft unterwegs, aktuell rührt er die Werbetrommel für einen "Weltpilgertag". Immer an der Seite von Roland Zick ist Lola, ein großer graubrauner Hütehund. Auch wenn Zick auf Pilgerwegen unterwegs ist, begleitet ihn Lola.
Die Renaissance des Jakobsweges
Die gelbe Strahlenmuschel auf blauem Feld: Das Signet der Jakobspilger ist zu einem europaweit bekannten Symbol geworden. Es kennzeichnet ein Länder übergreifendes Netz von Straßen und Wegen, über das seit dem neunten Jahrhundert Pilger zum Grab des Apostels Jakobus in Santiago de Compostela pilgern. Auch in Deutschland sind mittlerweile viele der mittelalterlichen Wege wiederentdeckt und gekennzeichnet worden.
Lange Zeit weithin vergessen, erlebt der Jakobsweg seit den 1970er Jahren europaweit eine Renaissance. 1982 besuchte Papst Johannes Paul II. Santiago de Compostela und forderte den alten Kontinent auf, seine Wurzeln wieder zu beleben. Am 23. Oktober 1987 rief auch der Europarat dazu auf, die Jakobswege neu zu entdecken. Er erhob den Hauptweg durch Südfrankreich und Nordspanien zur ersten Europäischen Kulturstraße.
Roland Zick erzählt, dass die Jakobsmuschel an seinem Haus nicht nur Dekoration ist, sondern Hundsbach tatsächlich am Jakobsweg von Mainz nach Metz liegt, den Mitglieder der Jakobusgesellschaft Rheinland-Pfalz-Saarland gerade ausgeschildert haben: "Der Weg folgt in weiten Teilen alten Römerstraßen in der Region, und man kann davon ausgehen, dass er im Mittelalter von Kaufleuten, Soldaten und natürlich auch Pilgern genutzt wurde."
Pilgern auf alten Handelsstraßen
Viele der Jakobswege sind grenzüberschreitend: Einer führt von Krakau über Prag und Pilsen nach Nürnberg und Rothenburg und von dort weiter über die Schweiz oder Frankreich nach Spanien. Ähnlich in Norddeutschland. Über sie sind auch Skandinavien und das Baltikum an das Netz der Pilgerwege angeschlossen. Oft sind es – wie zwischen Mainz und Metz – alte Handels- oder Heerstraßen, die auch von den Pilgern genutzt wurden; in Mitteldeutschland etwa ein Abschnitt der "via regia", der seit 2003 auf 450 Kilometern als "Ökumenischer Pilgerweg" von Görlitz bis Vacha gekennzeichnet ist.
Gern erinnert sich Roland Zick an die vielen Begegnungen und Erlebnisse seiner "Pilgerfahrten". Er sei auch schon in einer Gruppe auf dem "Camino", dem Pilgerweg nach Santiago de Compostela, unterwegs gewesen, aber die tieferen Erfahrungen habe er als Einzelpilger gemacht, sagt er im Rückblick. Damit beschreibt er das Besondere an der modernen Pilgerbewegung: Die Reise zu sich selbst, die alle Pilger verbindet, ist sehr individuell.
Der Reiz des Nicht-Alltäglichen
Was Roland Zick und die vielen anderen Pilger-Begeisterten fasziniert, untersucht der Soziologe Christian Kurrat, der an der Fern-Universität in Hagen über die Soziologie des Pilgerns forscht, als Wissenschaftler. "Die Außeralltäglichkeit ist für den modernen Menschen sehr reizvoll. Wir leben in einer hochtechnisierten, digitalen, schnelllebigen, motorisierten Zeit, in der es kaum Möglichkeiten des Rückzugs, der Muße und des Nachdenkens gibt", sagt er. "Es ist für normale Menschen sehr ungewöhnlich, sich für Wochen mit einem Rucksack, der nur das Nötigste enthält, auf einen Weg zu machen, wo man Wind und Wetter ausgesetzt ist, in kargen Unterkünften nächtigt und am Morgen noch nicht weiß, wo man am Abend schläft." Das habe für viele etwas von Abenteuer. In vielen Interviews und Gesprächen hat Kurrat herausgefunden, dass es beim Pilgern Menschen darum geht, "sich selber näherzukommen, aber auch dem Heiligen. Seine eigenen Hoffnungen und Sehnsüchte in den Blick zu nehmen und das, was das eigene Leben eigentlich ausmacht. Sorgen, Freude, Nöte und Erwartungen bei sich selber benennen zu können und sie am Zielort vor Gott zu tragen." Dabei zeige sich im Unterwegssein meistens, was wirklich wichtig ist, und was einem vor dem Losgehen nur wichtig vorkam.
Roland Zick gehörte 2005 zu den Mitbegründern der Jakobusgesellschaft Rheinland- Pfalz-Saarland. Bereits in den Jahren zuvor hatten sich unterschiedliche Jakobus-Vereinigungen in ganz Deutschland gebildet, die teilweise – wie etwa in Trier, Mayen und Bamberg – aus alten mittelalterlichen Bruderschaften erwuchsen. Die Jakobusfreunde haben Pilgerwege in größerem Umfang erschlossen und ausgeschildert. Ein großes Netz von Pilgerwegen ist so in den zurück liegenden Jahren entstanden, Tausende von Kilometern lang.
Wenn Roland Zick über die Aufgabenfelder der Jakobus-Vereinigungen erzählt, bremst er sich manchmal selbst, soviel hat er zu sagen: Jakobswege ausschildern, neue erschließen und Kommunen bei Wegführungen unterstützen, Pilgerpässe ausstellen, unerfahrene Pilgerinnen und Pilger beraten, Wanderführer erstellen, Herbergsplätze organisieren, Pilgertouren, Treffen und Gottesdienste vor Ort vorbereiten. Das alles gehört zu den "Standardaufgaben" der Jakobus- Vereinigungen in Deutschland, die sich vor einigen Jahren zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen haben. Einige Jakobus-Gruppierungen aus Deutschland unterhalten auch Herbergen am Camino francés, schicken in jedem Jahr "Hospitaleros", freiwillige Helferinnen und Helfer, zum Jakobsweg nach Spanien.
Verständigung und Versöhnung
Roland Zick hat eine Vision, die sich mit dem Begriff "Weltpilgertag" verbindet. Für diese Idee wirbt er jetzt bei den Jakobusgesellschaften in Deutschland und darüber hinaus – und findet viel Interesse und Unterstützung, sogar bis in die USA, wo es allein 60 Jakobus-Vereinigungen gibt. In Europa gibt es Zusammenschlüsse von Jakobusfreundinnen und –freunden in fast zwanzig Ländern – von Spanien bis Polen und von Norwegen bis Italien.
Selbst in Australien, Südkorea, Japan und Südafrika arbeiten Jakobusgesellschaften. Wenn Roland Zick erzählt, spürt man, wie sehr ihn die Idee eines Weltpilgertages bewegt. "Wer pilgert, der arbeitet für Verständigung, Versöhnung und Frieden", sagt er.