Helmut Kohl und "seine Hauskirche"
Es war kurz vor Weihnachten, als Helmut Kohl "seinem" Speyerer Dom noch einmal einen Besuch abstattete. Mit seiner Ehefrau Maike und Bischof Karl-Heinz Wiesemann sprach er ein kurzes Gebet, zündete eine Kerze an und lauschte den Klängen von Bachs Toccata in d-Moll. Für den ehemaligen Bundeskanzler symbolisierte der Dom gleichzeitig seine Heimat und die Weite europäischen Geistes.
Kohls Gäste waren "geradezu verpflichtet", den Dom zu besuchen
Im Kaiserdom demonstrierte der Historiker Kohl vor internationalen Staatsgästen stets seine Geschichtsverbundenheit und ließ sie dabei in den heiligen Hallen etwas vom Atem der Ewigkeit spüren. Kohl fühlte sich zeitlebens der Pfalz, dem katholischen Glauben und der europäischen Idee verbunden. Ohne seinen Einsatz für das Gotteshaus, hätten so weltbekannte Politiker wie Margaret Thatcher, Michael Gorbatschow, George Bush, Vaclav Havel und Boris Jelzin den Speyerer Dom wohl nicht besucht.
Altbischof Anton Schlembach sagt über Kohl, dieser habe immer behauptet, "wer den Speyerer Dom nicht kenne, der kenne auch seine Heimat, Deutschland und Europa nicht". Seine internationalen Gäste wären "geradezu verpflichtet" gewesen, den Kaiserdom mit ihm zu besichtigen. Doch auch das Essen von Saumagen, einer Spezialität der Pfälzer Küche, sei stets ein fester Programmpunkt gewesen, erinnert sich Schlembach.
Kohl selbst hatte über den Kaiserdom einst in seinem Tagebuch geschrieben, dass er seit Kindertagen "seine Hauskirche" gewesen sei. Damals wanderte er regelmäßig mit seinen Eltern zum Speyerer Dom. Später legte er die rund 20 Kilometer aus dem Ludwigshafener Stadtteil Friesenheim meist mit dem Fahrrad zurück. Unbestätigt sind dagegen Berichte, dass er 1943 im schwersten Kriegstreiben aus seiner zerbombten Heimatstadt zum Dom gebracht worden sei, um hier Schutz zu suchen. Kohl war damals 13 Jahre alt. Kurz danach ging es für ihn per Kinderlandverschickung nach Süddeutschland.
Lehmann: Kohl liebte den Speyerer Dom
Doch Kohl kam zurück nach Speyer - und zurück zum Dom. Dabei war er nicht nur von der Architektur des fast 1000 Jahre alten Baus beeindruckt, dessen Schlichtheit er stets bewunderte und den er deshalb auch als "Kunstwerk" bezeichnete. Den Grundstein für das Gotteshaus legte der salische Herrscher Konrad II. nach seiner Wahl zum König des Ostfrankenreichs 1024. Er wollte die größte Kirche des Abendlandes erbauen und sie unter das Patronat der Jungfrau Maria, der Schutzheiligen der Dynastie der Salier, stellen. Zu Zeiten Kaiser Heinrichs IV., Konrads Enkel, wurde die Kathedrale 1061 geweiht. Nach ersten Umbauten war der Dom im Jahr 1106 mit 134 Metern Länge und 33 Meter Höhe ein Bauwerk von ungekannter Größe in Europa.
Kohl liebte den Speyerer Dom, sagt der Mainzer Kardinal Karl Lehmann über den verstorbenen Bundeskanzler. Die beiden Männer waren sich auf zahlreichen Treffen begegnet. Während der gemeinsamen Gespräche auf Wanderungen erlebte er den Christdemokraten als jemanden, der sehr an kirchlichen Fragen interessiert gewesen sei, erinnert sich Lehmann. Kohl wollte mehr "erfahren über das Leben des Geistes, die Situation der Kirche und über einzelne Persönlichkeiten, angefangen von den Päpsten über Bischöfe und Theologen". Er sei "herzhaft und nüchtern fromm" gewesen: ein undogmatischer Katholik.
Nach dem Ende seiner Kanzlerschaft wurde Kohl mit einem Großen Zapfenstreich geehrt – natürlich vor seinem geliebten Speyerer Dom. Er blieb dem Gotteshaus auch im Ruhestand treu: Seit 1999 engagierte er sich als Kuratoriums-Vorsitzender der Stiftung Kaiserdom, zu deren Gründung er wesentlich beigetragen hatte. "Es gibt kaum einen Ort, an dem der Atem der Geschichte so spürbar ist wie im Speyerer Dom", sagte der Altkanzler bei der Gründungsfeier zur Errichtung der Stiftung. Auch viele seiner Staatsgäste hätten das so gesehen. Selbst nach seinem 2008 erlittenen Schädel-Hirn-Trauma, das ihn an den Rollstuhl fesselte und zum Schweigen zwang, besuchte er jedes Jahr in der Adventszeit das Gotteshaus.
Begräbnis im Schatten des Doms
Bei dieser großen Verbundenheit mit dem Kaiserdom scheint es nur folgerichtig, dass auch das Requiem für den verstorbenen Altkanzler in eben dieser Kirche stattfindet. Es war Kohls eigener Wunsch, auf dem Areal des Friedhofs des Domkapitels bestattet zu werden – nur einige Kilometer entfernt und damit gleichsam im Schatten des Doms. Kohls letzte Ruhestätte liegt neben der Friedenskirche St. Bernhard in Speyer. Das Gotteshaus wurde in den 1950er Jahren als Symbol der Deutsch-Französischen Aussöhnung erbaut und wird heute von der Speyerer Dompfarrei genutzt.
Bei Kohls zahlreichen Besuchen im Dom konnte Bischof Wiesemann den Politiker gut kennenlernen. Natürlich wird er die Totenmesse des Altkanzlers zelebrieren. Mit Kohls Ehefrau hat Wiesemann die Gesänge der Trauerfeier ausgesucht. Die Lieder, die im Gottesdienst mit zahlreichen deutschen und internationalen Gästen zu hören sein werden, stammen von Komponisten aus Frankreich, England, Russland, Österreich und Deutschland – ganz im Sinn des großen Staatsmanns Kohl: Sie sollen "symbolhaft für den europäischen Gedanken" stehen, dem er sein Leben gewidmet hatte, wie es im Gottesdienstheft für das Requiem heißt. Auch die Toccata in d-Moll von Bach wird bei der Trauerfeier für Kohl in "seiner Hauskirche" erklingen – ein letztes Mal.