Weihbischof gegen jede Form der Beihilfe zur Selbsttötung

"Sterben ist mehr als nur Verfall"

Veröffentlicht am 17.08.2014 um 00:00 Uhr – Von Christoph Scholz – Lesedauer: 
Bild: © KNA
Sterbehilfe

Augsburg ‐ Der Augsburger Weihbischof Anton Losinger hat sich gegen jede Form der organisierten Beihilfe zur Selbsttötung gewandt. Losinger ist Mitglied des Deutschen Ethikrates und in der Deutschen Bischofskonferenz für ethische Grundfragen zuständig. In der Debatte um eine gesetzliche Regelung des assistierten Suizids warnte er in einem Interview davor, aus der Betroffenheit über dramatische Einzelfälle Grundprinzipien infrage zu stellen.

  • Teilen:

Frage: Herr Weihbischof Losinger, wie steht die katholische Kirche zur Debatte um die Beihilfe zum Suizid?

Losinger: Für uns stehen die Unantastbarkeit der Würde der Person und das Lebensrecht jedes Menschen im Mittelpunkt. Deshalb wenden wir uns nicht nur gegen jedes Geschäft mit Sterben und Tod - wie bei den Organisationen Dignitas und Exit -, sondern auch gegen jede Form organisierter Beihilfe zur Selbsttötung und natürlich auch gegen aktive Sterbehilfe.

Frage: Laut Umfragen wünschen sich aber viele Menschen die Möglichkeit der Beihilfe zur Selbsttötung.

Losinger: Bei einer Befragung im Auftrag des Ethikrates zu den Gründen für einen solchen Wunsch gab es zwei Antworten: die Angst vor großen Schmerzen und die Angst, zum Pflegefall zu werden. Wir können solchen Ängsten durch gute Pflege, eine umfassende Sterbebegleitung, durch Palliativmedizin und Hospize heute gut begegnen. Die Erfahrung zeigt, dass die allermeisten Patienten ihren Sterbewunsch aufgeben, wenn sie von den Möglichkeiten der Schmerzmedizin und der Sterbebegleitung erfahren.

Frage: Wie steht es um die Schmerzstillung oder die Sorge vor der Apparatemedizin?

Losinger: Angemessene Sterbehilfe kann bedeuten, auf Therapien zu verzichten oder Menschen palliativ zu sedieren, das umfasst Schmerzmittel und Beruhigungsmittel. Das gilt auch, wenn die Verabreichung die verbleibende Lebenszeit verkürzt.

Frage: Und wie antworten Sie auf die Angst vor dem Pflegefall?

Player wird geladen ...
Video: ©

Losinger: Der eigentliche Grund der Angst liegt hier meines Achtens in der Sorge, ausgeliefert zu sein, der Furcht vor Abhängigkeit oder existenzieller Einsamkeit. Auf diese Sorge antwortet die Hospizbewegung. Wir müssen gerade in der Endphase des Lebens den Menschen Raum geben, in Liebe und betreut von anderen Menschen dem eigenen Tod entgegenzugehen.

Frage: Wie beurteilen Sie das Verständnis von Sterben und Tod in der Suizid-Debatte?

Losinger: In einer Lifestyle- und Leistungsgesellschaft erscheint das Sterben oft nur noch als körperlicher Verfall. Es ist aber ein entscheidender Teil des Lebens - und für viele Menschen der Schritt zu einer letzten Reife. Deshalb umfasst das Angebot der Hospize neben Medizin und Pflege die Sorge um die Psyche und die Seele. Der Mensch kommt als ganzer in den Blick. Dieser Aspekt kommt mir zu kurz.

Frage: Was bedeutet Sterben aus christlicher Sicht?

Losinger: Für den Christen ist das Leben ein Geschenk. Das gibt ein letztes Vertrauen auch in schweren Stunden. Wir wissen uns in der Hand eines gütigen Gottes und haben die Hoffnung, dass der Tod nicht das Ende, sondern Durchgang zum ewigen Leben ist. Auch der Umgang mit dem Leiden erhält eine ganz neue Dimension. Als Seelsorger weiß ich, dass diese Hoffnung selbst scheinbar unreligiösen Menschen gerade an diesem existenziell fordernden Punkt tiefen Trost schenkt. Im Leidenden und Sterbenden ist uns Christus besonders nah.

Frage: In der Medizinethik beruft man sich oft auf die Autonomie des Menschen. Steht es dem Einzelnen nicht zu, sich für einen Suizid zu entscheiden?

Losinger: Wir haben in Deutschland kein strafrechtliches Verbot des Suizids und damit auch kein Verbot der Beihilfe. Es geht aber über das Recht hinaus um eine existenzielle Situation. Ich warne davor, Suizid als Lösung von Lebensproblemen zu propagieren. Eine Gesellschaft, die meint, aus Menschlichkeit gleichsam den "Schubs von einer schiefen Ebene des Lebens" schenken zu sollen anstelle von Hilfe, geht völlig in die Irre.

Frage: Wie bewerten Sie die Äußerung des Ratsvorsitzenden der EKD, Nikolaus Schneider? Er hatte jüngst erklärt, er werde aus Liebe notfalls seine krebskranke Frau Anne in die Schweiz begleiten, wenn diese dort Suizidbeihilfe in Anspruch nehmen wolle, auch wenn dies gegen seine eigene Überzeugung sei.

Losinger: Ich hatte im Rat der EKD stets eine klare Positionierung gegen kommerzielle Suizidbeihilfe vernommen. Dasselbe galt für die Ablehnung der organisierten Suizidbeihilfe. In dieser so ernsten Frage für eine ganze Gesellschaft würde ich mir mehr innere Stringenz wünschen.

Frage: Auf der einen Seite steht die grundsätzliche Position, auf der anderen Seite die persönliche Betroffenheit. Kann man nicht beides verstehen?

Losinger befürchtet, dass es "zu einer tiefen Zweideutigkeit im Selbstverständnis des Arztes führen" würde, wenn ihm ein Entscheidungsspielraum für Extremfälle eröffnet wird.
Bild: ©Dan Race / Fotolia.com

Losinger befürchtet, dass es "zu einer tiefen Zweideutigkeit im Selbstverständnis des Arztes führen" würde, wenn ihm ein Entscheidungsspielraum für Extremfälle eröffnet wird.

Losinger: Bei den Juristen gibt es den Satz: "Hard cases make bad law - Extremfälle führen zu schlechten Gesetzen". Wenn wir aus der Betroffenheit über Einzelfälle allgemeine rechtliche Grundsätze und Normen schöpfen, gerät die ganze Gesellschaft in eine massive Schieflage. Kant betonte deshalb: Handle jederzeit so, dass die Maxime deines Handelns zu einem allgemeinen Gesetz werden kann. Um eine Rechtsordnung zu erhalten, muss die Frage der Tauglichkeit für eine allgemeine Regelung ganz oben stehen.

Frage: Dennoch gibt es Forderungen, zumindest dem Arzt einen Entscheidungsspielraum für Extremfälle zu eröffnen.

Losinger: Das würde zu einer tiefen Zweideutigkeit im Selbstverständnis des Arztes führen und das Vertrauensverhältnis von Arzt und Patienten untergraben. Nehmen wir nur das Sedieren: Das Abwägen bei der Verabreichung der Schmerzmittel verlangt hohe Verantwortung, damit es nicht zur Tötung wird. Könnte ich mir noch sicher sein, dass jeder Arzt dies angemessen tut? Ärztepräsident Montgomery hat eindringlich davor gewarnt, aus Ärzten Sterbe-Beihelfer zu machen. Das rührt an den Grundfesten des ärztlichen Ethos.

Frage: Befürchten Sie einen Dammbruch?

Losinger: Ich spreche lieber von einer schiefen Ebene: Sie beginnt damit, dass man aufgrund der Betroffenheit über den Einzelfall wichtige Grundsätze aufgibt. Wenn der Patient im Extremfall um aktive Sterbehilfe bitten darf, wieso nicht auch der weniger schwierige Fall, der doch auch leidet. Und wenn der Einwilligungsfähige um aktive Sterbehilfe bitten darf, wieso nicht auch der Behinderte, er leidet doch ebenso? Alle Versuche einer Einschränkung haben sich als unrealistisch erwiesen, wie man in Belgien oder den Niederlanden sieht.

Frage: Das heißt, Sie befürchten einen Mentalitätswandel?

Losinger: Aus der Möglichkeit für Wenige wird schleichend eine Pflicht für Viele. Schon jetzt meinen alte, kranke und behinderte Menschen, sie müssten ihr Dasein in einer Leistungsgesellschaft rechtfertigen: "Ich möchte niemandem zur Last fallen!". Die steigenden Pflege- und Betreuungskosten in einer alternden Gesellschaft werden diesen Druck deutlich erhöhen.

Von Christoph Scholz