Ein Besuch bei Johannes Hartl im "Gebetshaus" Augsburg

Beten am Rande der Stadt

Veröffentlicht am 01.08.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Kirche

Augsburg ‐ Johannes Hartl setzt in seinem "Gebetshaus" am Augsburger Stadtrand die Idee um, dass 24 Stunden am Tag gebetet wird. Das Zentrum steht für Wachstum in der Kirche. Katholisch.de hat den charismatischen Prediger besucht.

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"Seinen eigenen Erfolg zu evaluieren ist immer töricht." Johannes Hartl übt sich in Understatement. Denn sein "Gebetshaus" in Augsburg hat in den vergangenen zehn Jahren einen Aufstieg hingelegt, den man im Vergleich zu der oft mühsamen Arbeit der institutionellen Kirche in Deutschland als kometenhaft bezeichnen kann. Davon ist sogar der Niederbayer selbst überrascht: "Wenn man mit dem Anspruch antritt, eigentlich nur zu beten, ist Popularität nicht das, was man erwarten würde."

Doch populär ist der 38-Jährige. Und wie: 4 Millionen Videoabrufe auf YouTube, 24.000 Abonnenten auf Facebook, 3.800 Instagram-Follower, 2.500 auf Twitter – und über 10.000 Teilnehmer bei seiner "Mehr"-Konferenz in Augsburg. Hartl ist ein Charismatiker, wie es in der deutschen Kirche nur wenige gibt. Und das zieht die Menschen an. Dennoch überrascht die Geschäftigkeit rund um das "Gebetshaus" an einem sonst ruhigen Dienstagmittag. Die Fahrradständer stehen voll, gleiches gilt für den Parkplatz; die Autos tragen Kennzeichen aus ganz Deutschland, auch ein Tscheche steht dort. Fahrer sind nicht nur die gut 30 Mitarbeiter der Einrichtung, sondern auch etliche Gäste, die zu Gebet und Getränken hier sind. Einige sitzen am Tresen des Cafés im Erdgeschoss, das gut auch in einen durchgentrifizierten Großstadtkiez passen würde.

Der promovierte Theologe Johannes Hartl ist Gründer und Leiter des "Gebetshauses" in Augsburg.
Bild: ©katholisch.de

Der promovierte Theologe Johannes Hartl ist Gründer und Leiter des "Gebetshauses" in Augsburg.

Im Café empfängt auch der Hausherr den Gast, bittet zum Gespräch aber ins Obergeschoss. Dort findet sich das Herzstück des Hauses, das nicht zu überhören ist. Im Gebetsraum wird ständig gebetet, neben der Tür hängt ein Plan für alle 168 Stunden der Woche. Gerade findet ein sogenannter Lobpreis statt, ein von Bandmusik untermaltes Gebet. Geht oben die Tür auf, kommt einem auf der Treppe ein kurzer Schwall moderner Worshipmusik entgegen. Sie klingt wie chartfähiger Vocal-Pop, erfrischend anders als so manches "Neue Geistliche Lied".

In der hochprofessionell ausgestatteten Regie des Gebetsraumes gehen zwei Mitarbeiter ihrer Arbeit an den Mischpulten nach, während etwa 15 Beter das eigentliche Werk des Hauses verrichten. Auf dem gleichen Flur liegen ein Seminarraum mit gut 50 Plätzen sowie mehrere kleinere Besprechungsräume. Ein ungestörtes Gespräch kann man in einem der winzigen Zimmer führen. Auch dieses ist eingerichtet, wie man es dem hippen Chic der Gebetshausgänger entspricht: Polstersessel im Vintage-Stil, ein scheußlich-hübscher Nierentisch, die Wände in knalligem Orange gestrichen, eine Christus-Ikone neben dem Fenster. Aus diesem überblickt man die profane Umgebung. Das "Gebetshaus" wurde 2012 in einem Augsburger Industriegebiet eingerichtet. Das ehemalige Fitnessstudio liegt zwischen Bahnstrecke, Autohaus und Lackiererei. In der Werkstatthalle gegenüber haben die Mechaniker einen dem Klischee entsprechenden Wandkalender mit nackten Schönheiten aufgehängt.

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Im "Gebetshaus" geht es züchtiger zu, aus Prinzip. Obwohl Hartl oft und oft peinlich direkt über Sex spricht. "Hat Gott eine Meinung über Sexpraktiken?", heißt einer der Clips, in denen er praktische Lebenshilfe bietet. Hartls Erfolg hängt zu einem guten Teil auch an seiner Themenauswahl. Ob einstündige Bibelauslegungen oder 90-Sekunden-Videos zu Alltagsfragen: "Ich möchte keinen einzigen Vortrag halten, der nicht am Schluss Auswirkungen für die Lebensführung aufzeigt", sagt der Theologe. Und diese entsprechen bei ihm grundsätzlich den Vorgaben des Katechismus. Für Hartl ist ein offenes Einstehen für die kirchliche Lehre selbstverständlich. "Wir versuchen viel zu oft, die Inhalte so zu verwässern, dass sie nirgends mehr anecken", kritisiert er und fügt polemisch hinzu: "Wenn unsere Slogans alle so klingen, als könnten sie auch auf einem SPD-Wahlplakat stehen, müssen wir uns nicht wundern, wenn die Leute weg bleiben."

Zehn Monate in der "Jüngerschaftsschule"

Zum "Gebetshaus" kommen sie. Und bleiben. Manche sogar gleich für zehn Monate in der hauseigenen "Jüngerschaftsschule". Derzeit zählt diese über 30, im neuen Jahrgang ab Herbst sogar 50 "Studenten". Für 150 Euro Schulgeld im Monat verbringen sie ihre Tage mit Musikunterricht, Vorträgen und Seminaren zu Glaubensfragen – und vor allem sehr viel Gebet, Tag und Nacht. Etliche Gebetsstunden gestalten die Schüler selbst.

Sie stehen zudem für ein weiteres Markenzeichen des Hauses: die Ökumene. Etwa die Hälfte sind Katholiken, die andere Hälfte Protestanten, sowohl aus den Landeskirchen, wie auch freikirchlich beheimatete. "Wir behaupten, dass wir das betreiben, was Papst Johannes Paul II. in 'Ut unum sint' gefordert hat: eine spiritualitätsbasierte Ökumene", sagt Hartl. Dazu brauche es "authentische Liebe füreinander" und eine Besinnung auf die Gemeinsamkeiten. Im Haus am Augsburger Stadtrand gelingt die Ökumene aber auch deshalb, weil gewisse dogmatische Stolpersteine dort gar nicht erst auftauchen. Sakramentale Feiern und damit potenzielle Konflikte um den Abendmahlsempfang gibt es im "Gebetshaus" nicht, bislang jedenfalls. Das überlasse man den Ortsgemeinden, sagt Hartl: "Es ist nicht unser Anspruch, alles zu sein."

In einem ehemaligen Fitnessstudio mitten im Industriegebiet ist das "Gebetshaus" Augsburg untergebracht.
Im Eingangsbereich des "Gebetshauses" empfängt die Besucher ein offen gestalteter Barbereich.
Das Café im Erdgeschoss des "Gebetshauses" in Augsburg würde auch gut in einen hippen Großstadtkiez passen.
Im Gebetsraum des "Gebetshauses" wird 24 Stunden am Tag gebetet.
Galerie: 7 Bilder

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Zu diesem Befund kam auch das Bistum Augsburg nach eingängiger Prüfung der Einrichtung. Vor dem Diözesanrat erklärte Generalvikar Harald Heinrich im März, "dass das Gebetshaus keine kirchliche Gemeinde (…) ist und eine solche auch nicht ersetzen kann und will". Gleichwohl würden dort reale Bedürfnisse von Gläubigen erfüllt, etwa nach Gemeinschaft, aber auch nach "klarer Lehre". Bereits im April vergangenen Jahres mahnte Heinrich an gleicher Stelle: "Dies soll und muss auch eine Anfrage an die Angebote in unseren Pfarrgemeinden, Verbänden und Gemeinschaften sein." Trotz dieser Herausforderung arbeitet die Diözese schon jetzt eng mit dem "Gebetshaus" zusammen. Das geschieht einerseits über einen eigens beauftragten Priester, der regelmäßig an Teamsitzungen teilnimmt. Aber auch Hartl ist häufiger Gast bei diözesanen Veranstaltungen, vor allem wenn es um Jugend oder Neuevangelisierung geht. Das sind zugleich die Kerngebiete von Weihbischof Florian Wörner, mit dem Hartl im November 2016 gemeinsam Priesterexerzitien hielt.

Dass Hartl eine Begabung für mitreißende Verkündigung hat, merkt man schnell; auch im persönlichen Gespräch unter vier Augen. Dann legt er die youtubetypische Hektik ab, spricht bedacht und mit Denkpausen, gestikuliert wenig. Statt "Hipsterlimo" steht stilles Wasser auf dem Nierentisch. Während aus dem Gebetsraum nebenan der Lobpreis tönt, wirkt Hartl wie ein Künstler hinter der Bühne, der seine Kräfte für den nächsten Auftritt sammelt. Einnehmend und sympathisch ist er dennoch. Vor allem aber spricht Hartl auch hier, abseits der sonst omnipräsenten Kamera, in verständlichen, knappen Worten. Der Theologe hat selbst über religiöse Sprache promoviert. Er würde sich wünschen, dass noch viel mehr Seelsorger so reden würden, dass es die Menschen verstehen: "Das kann nicht immer superkomplex, muss aber intellektuell redlich sein. Ich hoffe, das gelingt mir."

„Jesus ist in vielen Punkten so handfest, dass wir Theologen uns fast bemühen müssen, ihn zu verunklaren.“

—  Zitat: Johannes Hartl über Sprache und Verkündigung

Dabei trennt Hartl die Wortwahl nicht vom Inhalt der Verkündigung. Beides wirkt bei ihm ungewohnt. Und er gibt selbst den Hinweis, woran das liegen dürfte: Für das, was im "Gebetshaus" gepredigt wird, fehle in den Ortsgemeinden schlicht der Wortschatz. Hartl kritisiert Priester, "die nicht einmal einen Begriff für die Möglichkeit einer Bekehrung" hätten. Damit fehle der Anknüpfungspunkt besonders für junge Menschen, die ein intensives Glaubenserlebnis hatten und sich aktiv für ein christliches Leben entschlossen haben – so wie Hartl. Fast beiläufig erwähnt er seine "einschlägige Glaubenserfahrung" mit 14 Jahren. Konkreter wird er nicht.

Hartl betete, während andere feiern gingen

Doch dieser Moment ist ausschlaggebend, dass der Teenager aus Niederbayern Teil der "Charismatische Erneuerung" wird, einer freikirchlich beeinflussten Geistlichen Bewegung, die auch in der katholischen Kirche aktiv ist. Während seine Altersgenossen sich die ersten betrunkenen Nächte in der Disko um die Ohren schlagen, betet Hartl das erste Mal eine ganze Nacht hindurch. Er habe sich nie von der institutionellen Kirche abgewandt, aber in den normalen Strukturen der Pfarrgemeinde habe sein Glaube eben auch nicht stattgefunden, erklärt er im Rückblick.

Im Jahr 2005 schließlich gründeten Johannes und seine Frau Jutta den Verein "Gebetshaus". Und dieser erreichte etwas, was in der Kirche in Deutschland geradezu revolutionär ist: Wachstum. Anders als die territoriale Kirche habe das "Gebetshaus" die "Kraft, expansiv tätig zu sein". Das sagt der Prediger ohne Häme. Er bespricht die Probleme der Kirche in einem nüchternen, ernsthaften Ton, der aber nicht zufrieden klingt. Einen Vorwurf macht Hartl den Ortsgemeinden: dass "seine Leute" dort keinen Anschluss finden. Am "Gebetshaus" liege das nicht: Man ermuntere Schüler und Gäste, es neben dem poppig-charismatischen Lobpreis auch mal mit der Sonntagsmesse in der Heimatgemeinde zu versuchen, betont Hartl. Oft genug bliebe diese Bemühung jedoch ohne Erfolg; "aber man kann ja nicht die ganze Kirche auf einmal ändern".

Die Baustelle des "Mission Campus" beim "Gebetshaus" in Augsburg.
Johannes Hartl erklärt anhand eines Modells das ambitionierte Bauvorhaben zur Erweiterung des "Gebetshauses".
Der sogenannte "Mission Campus" am "Gebetshaus" Augsburg wird per Crowdfunding finanziert.
Links Autohaus, rechts Lackierwerkstatt: Das "Gebetshaus" liegt in einem Augsburger Industriegebiet.
Galerie: 4 Bilder

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Hartl und seine Kollegen arbeiten vorerst im Augsburger Industriegebiet weiter am Umbau ihrer Kirche. Während im Gebetsraum die Gläubigen jetzt zu ruhigeren, sphärischen Klängen mit erhobenen Händen vor dem Kreuz verharren, geht es wieder nach unten zur anderen großen Geräuschquelle des Hauses. Gleich neben dem Bartresen geht es auf die Baustelle der nächsten großen Vision Hartls: "Mission Campus" nennen sich die umfangreichen Erweiterungsbauten, die gerade rund um das alte Fitnessstudio entstehen. Noch nicht abgeschlossen ist der Kauf der gegenüberliegenden Brache, auf der eine Veranstaltungshalle geplant ist – der Gebetsraum mit etwa 150 Sitzplätzen stößt schon jetzt jeden Donnerstag an seine Grenzen, wenn Hartl seinen wöchentlichen Vortrag hält. Immerhin schon als Rohbauten stehen ein Gästehaus mit über 30 Zimmern und ein "Raum der Stille".

Beim Gang durch den düsteren Rohbau erklärt Hartl seine Vorstellung: Ginge es nach ihm, würde hier bald eine echte, katholische Kapelle entstehen. Der Katholik will den Besuchern des Hauses auch klassische Gebetsformen wie die Eucharistische Anbetung oder die Eucharistiefeier ermöglichen, sagt er. Noch braucht es einige Phantasie, um zwischen nackten Gipskartonplatten und herabhängenden Kabeln einen zukünftigen Sakralraum zu sehen. Leichter fällt die Vorstellung, dass eine Kapelle das "Gebetshaus" einer kirchlichen Gemeinde ähnlicher machen würde; und womöglich genau zu der Konkurrenz führen könnte, die man bislang von sich weist. Der Antrag zum Bau einer offiziellen Kapelle liegt bereits beim Bischof.

Über drei Millionen Euro wurden schon gespendet

Finanziert wird das Bauprojekt – wie alles andere auch – über Spenden. Auch das hauseigene Crowdfunding-Konzept erklärt Hartl mit Worten, die man in weiten Teilen der Kirche nicht zu sagen wagen würde: "Wir rechnen hauptsächlich in Tausendern." Das heißt: Auf der Strichliste zu den angepeilten 5.000 Spendern landen nur solche, die mindestens 1.000 Euro gezahlt haben. Bei so viel Kühnheit zieht es einem unwillkürlich die Augenbrauen hoch. Aber Hartl hat keinen Grund, seine Erzählung mit Aufregung zu garnieren. Mehr als die Hälfte des angepeilten Gesamtbetrags wurde bereits eingenommen und verbaut. Dafür betreibt das Team intensives Fundraising, das jedoch nicht bei jedem gut ankommt. Von Teilnehmern der "Mehr"-Konferenz im Januar war Kritik ob des offensiven Einwerbens von Spenden zu hören. Hartl ist dennoch zuversichtlich, dass auch der restliche Betrag noch zusammen kommt. Die Menschen seien bereit, für Visionen Geld zu geben. Und natürlich beten er und seine Kollegen auch intensiv für den Erfolg. Drei Gebetsstunden sind jede Woche für das "Gebetshaus" Augsburg reserviert.

Von Kilian Martin