Vom Versuch Benedikts XV., den Weltkrieg zu beenden

Friedenspapst oder Fiasko?

Veröffentlicht am 01.08.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Geschichte

Rom ‐ Es war ein verzweifelter Anlauf, die "Schlächterei" des Ersten Weltkriegs zu stoppen: Vor 100 Jahren sandte Benedikt XV. seinen Friedensappell an die verfeindeten Staaten. Doch die ließen ihn abblitzen.

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Drei Jahre dauerte das große Morden nun schon. Soeben hatten englische Divisionen die dritte Flandernschlacht eröffnet. Ihre deutschen Gegner in der Trichterwüste östlich von Ypern setzten dabei erstmals Senfgas ein. Es drang durch die Uniformen und hinterließ schreckliche Verätzungen auf Haut und Augen. Die Opfer erblindeten, viele erstickten. Es war der 1. August 1917, der Tag, an dem Papst Benedikt XV. (1914-1922) einen glühenden Friedensappell an die kriegführenden Mächte richtete.

"Soll denn die zivilisierte Welt nur noch ein Leichenfeld sein?", fragte der Papst in seiner Friedensnote. "Soll das ruhmreiche und blühende Europa, wie von einem allgemeinen Wahnsinn fortgerissen, in den Abgrund rennen und Hand an sich selbst anlegen zum Selbstmord?" Er rufe in vollkommener Unparteilichkeit zum Frieden auf, "wie es jenem ziemt, der als der gemeinsame Vater alle seine Kinder mit der gleichen Liebe umgibt".

Papst unterbreitet Vorschläge

Es war nicht die erste Friedensinitiative des Italieners Giacomo della Chiesa, der den größten Teil seiner kirchlichen Laufbahn im Vatikan verbracht, dann das Erzbistum Bologna übernommen und im September 1914, einen Monat nach Kriegsausbruch, den Stuhl Petri bestiegen hatte. Doch alle vorherigen Aufrufe waren auf taube Ohren gestoßen. Nur einige humanitäre Appelle, etwa zugunsten der Behandlung von Kriegsgefangenen, hatten gefruchtet. Nun wählte der 62-Jährige den großen diplomatischen Bahnhof einer offiziellen Note an die Regierungen.

Bild: ©picture alliance / Photoshot

Soldaten im Schützengraben bei Verdun. Die Schlacht um die nordostfranzösische Stadt war eine der grausamsten und verlustreichsten Schlachten des Ersten Weltkrieges an der Westfront.

Die darin unterbreiteten Vorschläge liefen letztlich auf eine Wiederherstellung der Vorkriegswelt hinaus: Rückgabe aller besetzten Gebiete, insbesondere die Räumung Belgiens durch die Deutschen; Verzicht auf Reparationen, Rückgabe der deutschen Kolonien. Alle strittigen Territorialfragen wie zwischen Deutschland und Frankreich um Elsass-Lothringen sollte ein internationales Schiedsgericht entscheiden.

Doch welche Erfolgsaussichten konnte ein solcher Vorstoß bieten - nach dreijährigem Weltenbrand, Millionen Toten und verwüsteten Landstrichen? Welche Regierung hätte ihren Bürgern vermitteln wollen, dass alle Opfer nur einem schnöden Verständigungsfrieden gedient hätten?

Für jede Mächtegruppe wurde er zum "Papst der Gegner"

"Keine Macht wollte Abstriche bei ihren hochgesteckten Kriegszielen riskieren. Letztlich endete die Note in einem diplomatischen Fiasko", urteilt der österreichische Historiker Andreas Gottsmann. Entweder gingen im Vatikan erst gar keine Antwortschreiben ein, oder sie beschränkten sich wie im deutschen Fall auf allgemeine Friedensbeteuerungen ohne konkrete Verhandlungsbereitschaft. Nur das untergehende Österreich-Ungarn hatte vergeblich auf eine Annahme des päpstlichen Vermittlungsvorschlags gedrängt.

Doch für das Papsttum kam es noch schlimmer. Jede Mächtegruppe wähnte in der Note ein Komplott und diffamierte Benedikt XV. als "Papst der Gegner". Für die Franzosen wurde er zum "pape boche"; der deutsche Heerführer Erich Ludendorff sprach nur noch vom "Franzosenpapst". Zu den Friedensverhandlungen in Versailles 1919 luden die Sieger den Vatikan erst gar nicht ein.

Linktipp: Der Friedenspapst

Zum 100. Jahrestag der Wahl von Giacomo della Chiesa zum Papst stellt katholisch.de Benedikt XV. und sein Pontifikat vor. (Artikel vom 3.09.2014)

Am enttäuschendsten dürfte für Benedikt XV. die Reaktion der Bischöfe in den kriegführenden Ländern gewesen sein. Die meisten hatten sich schon 1914 dem allgemeinen Hurra-Patriotismus angeschlossen. Statt sich nun hinter ihren Chef zu stellen, bliesen sie erst recht ins nationalistische Horn. So warnte der deutsche Episkopat in einem Hirtenbrief vom 1. November 1917 vor einem Frieden "als Judaslohn für Treubruch und Verrat am Kaiser". So wurde der stets auf strikte Neutralität bedachte Pontifex, der den Versailler Vertrag als Unrecht verurteilte und 1922 starb, zur tragischen Figur.

Oder doch nicht? Auch wenn der Vatikan sich auf politischer Ebene nicht als moralische Autorität durchsetzen konnte, legte Benedikt XV. den geistigen Grundstein für einen strikten Pazifismus der Päpste. Seine Friedensdoktrin wurde Bestandteil des kirchlichen Lehramts aller seiner Nachfolger. Benedikt XVI. (2005-2013) berief sich bei seiner Namenswahl ganz explizit auf den Weltkriegspapst.

Heute sind die Forderungen nach Schiedsgerichtsbarkeit, Abrüstung und letztlich der Ächtung des Krieges als Mittel der Politik, wie vom Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) formuliert, sind aus dem katholischen Weltbild nicht mehr wegzudenken. Inzwischen genießt die Kirche zumindest in Fragen des Weltfriedens jene moralische Autorität, die Benedikt XV. versagt blieb. So wurde ein Gescheiterter doch noch zum "Friedenspapst".

Von Christoph Schmidt (KNA)