Kirche-in Not-Geschäftsführerin Fenbert besorgt über Situation in Kurdistan

Hilfswerk: Im Irak droht ein neuer Konflikt

Veröffentlicht am 16.08.2017 um 09:00 Uhr – Lesedauer: 
Hilfswerke

Bonn ‐ Straßen werden geteert, Häuser wieder bewohnbar gemacht: Im Nordirak kehrt das Leben zurück, berichtet Karin Maria Fenbert. Doch die Leiterin von "Kirche in Not" warnt: die Christen sind noch immer in Bedrängnis.

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Frage: Frau Fenbert, Sie haben vergangene Woche den Nordirak und Aleppo besucht. In der syrischen Metropole ruhen die Waffen weitestgehend, die Zerstörung ist aber noch da. Wie war ihr Eindruck?

Fenbert: Dass die Waffen ruhen, kann ich so nicht bestätigen. Rund einen Kilometer vor Aleppo gibt es Bombardements. Aber in Aleppo selbst ist es relativ friedlich. Ich war bereits im Januar, kurz nach der Waffenruhe, einmal da. Seither ist das Leben auf den Straßen noch einmal deutlich aufgeblüht. Als Außenstehende hatte ich den Eindruck, die Menschen lebten weiter, als wäre nichts gewesen.

Auf der Fahrt nach Aleppo konnte man sehen, dass mit Hochdruck am Wiederaufbau der Stromnetze gearbeitet wird. Denn in Aleppo hat man bestenfalls eine Stunde Strom pro Tag über das öffentliche Netz. Auffallend war auch, dass einige wichtige Straßen in der Stadt einen neuen Belag bekommen haben. Man sieht auch an verschiedenen Stellen, wie die Menschen versuchen, ihre Häuser wieder bewohnbar zu machen, sofern es die Statik erlaubt. Im Osten der Stadt wiederum sind die Häuser so zerstört, dass sie wohl größtenteils abgerissen werden müssen.

Frage: Wie versuchen Sie mit Kirche in Not den Menschen zu helfen?

Fenbert: Wir helfen nach wie vor mit Lebensmitteln, Mietzahlungen, Unterstützung für Medikamente und Stipendien. Zudem haben wir ein Projekt laufen, das den Menschen eine Grundversorgung mit Strom sichert, sodass sie wenigstens zwei Ampere am Tag über Generatoren erhalten. Auch einige Christen kehren bereits nach Aleppo zurück. Uns wurde berichtet, dass es in der ersten Hälfte 2016 nur noch 19.000 Christen in der Stadt gegeben haben soll. Inzwischen seien es wieder 35.000. Das ist ein sehr schönes Zeichen. Aber wenn die Christen langfristig nicht das Nötigste für ihre Existenz haben, werden sie wieder gehen.

Deshalb arbeiten wir an einem "Welcome back"- Programm. Wir hatten dazu Gespräche mit fünf Bischöfen und Ordensleuten. Wir wollen versuchen, einheitliche Stipendien zu schaffen, damit die Menschen wieder Schulen und Universitäten besuchen können. Die Universität in Aleppo ist ja noch in Betrieb. Das Problem für junge Männer ist aber, dass sie an der Uni gleich eingezogen werden können für den Militärdienst. Deshalb bleiben einige ihr nun fern. Aber jenen, die an die Uni gehen können, müssen die Mittel zur Verfügung gestellt werden. Daran arbeiten wir.

Schweißarbeiten bei Renovierung in einer Kirche
Bild: ©Karin Maria Fenbert/Kirche in Not

Wird gerade renoviert: Die Sankt Georg-Kirche in Telskuf im Nordirak.

Frage: Wie war die Stimmung unter den verschiedenen Bischöfen des Landes?

Fenbert: Die Konfessionen waren jahrhundertelang getrennt. Es ist deshalb schon mal ein großer Erfolg, dass die Bischöfe sich überhaupt an einen Tisch setzen. Die Notlage macht dies notwendig. Unter ihnen ist die Stimmung positiv, vorwärtsgewandt, auch wenn man weiß, dass die Probleme in Syrien noch lange nicht gelöst sind. Die Situation ist weiter angespannt: Auf den letzten 40, 50 Kilometern vor Aleppo sahen wir Helikopter der Regierung. Das bedeutete, dass die Rebellen nicht weit weg waren. Bei manchen Kontrollpunkten konnte man Panzer stehen sehen. Zudem haben wir einen kleinen Zug gesehen – wiederum vom russischen Militär. Die Panzer an den Checkpoints und die kleinen russischen Einheiten habe ich bei meinem ersten Besuch im Januar nicht gesehen.

Frage: Sie haben auch mehrere Orte im Nordirak besucht. Dort unterstützt Kirche in Not unter anderem ein Wiederaufbauprogramm für christliche Dörfer. Wie war ihr Eindruck von den Arbeiten?

Fenbert: In Karakosch werden zurzeit rund 300 Häuser mit der Unterstützung von Kirche in Not wiederaufgebaut. 244 sind schon fertig, weitere 84 Häuser werden in den nächsten zehn Tagen fertig. In einem der frisch renovierten Häuser wohnt jetzt eine siebenköpfige Familie, deren Mitglieder vorher als Flüchtlinge mit mehreren Familien auf engstem Raum gehaust hatten. Die Familie hat nun zwei Monate zur Säuberung und Renovierung gebraucht. Sie mussten neue Fenster einsetzen, neue Schlösser, Wärmedämmung, Sanitäranlagen, den Fußboden schrubben, neue Möbel beschaffen, da alles geklaut wurde. Nach Angaben der Kirche in Karakosch kehren pro Tag im Schnitt fünf Familien zurück, bislang sind rund 1.000 Familien wieder da.

Ich war auch in Telskuf, wo die Wiederaufbauarbeiten am weitesten fortgeschritten sind. Dort hat es trotz starker Hitze mit bis zu 50 Grad Straßenarbeiten gegeben, Bürgersteige wurden gebaut, Läden renoviert, es wurde gespachtelt und gemalt. Wir waren auch in der "Sankt Georg"-Kirche vor Ort in Telskuf, wo die Menschen beim Wiederaufbau halfen. Ich habe in diesem Ort junge Leute zwischen 17 und 30 Jahren getroffen, die bis zu zwölf Stunden am Tag ehrenamtlich arbeiten. Sie sind froh, dass sie nach Monaten, gar Jahren in Flüchtlingscamps und Notunterkünften nun wieder eine Aufgabe haben. Der Fleiß und Wille zum Wiederaufbau dieser Leute ist enorm. Allerdings zeichnet sich ein neuer Konflikt ab: Am 25. September ist das Unabhängigkeitsreferendum der Kurden.

Frage: Was ist da in Ihren Augen die Gefahr?

Fenbert: Die Christen sind uns gegenüber bei diesem Thema sehr zurückhaltend, denn sie stehen zwischen allen Fronten. Wenn das Referendum mit "Nein" zur Unabhängigkeit Kurdistans ausgeht, könnten die Kurden den Christen unterstellen, dass sie mit Nein gestimmt haben und ihnen Schwierigkeiten machen. Sollte das Referendum mit "Ja" ausgehen, würde die Türkei sicher nicht zuschauen, dass vor ihrer Haustür ein Unabhängigkeitsgebiet der Kurden entsteht. Das Einzige, was mich hoffnungsvoll stimmt, ist, dass der 25. September der Tag des heiligen Nikolaus von der Flüe ist, der für den Frieden steht. Auf seine Fürsprache hoffe ich, damit es eine friedliche Lösung gibt und sich dort kein neuer Konfliktherd auftut.

Von Claudia Zeisel

Hinweis: Das Interview stammt von unserem Partnerportal weltkirche.katholisch.de.

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