Für Priester Florian Mroß spielt seine Herkunft eine große Rolle

Glaube auf Sorbisch

Veröffentlicht am 03.10.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Glaube auf Sorbisch
Bild: © privat
Serie: Mein Glaube

Bonn ‐ Florian Mroß ist nicht nur frisch geweihter Priester, sondern gehört auch der ethnischen Minderheit der Sorben in Deutschland an. Glaube und Herkunft sind für ihn untrennbar. Ein Porträt.

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Florian Mroß fällt auf. Schon von weitem ist er vor dem Lutherdenkmal im Schatten der Dresdner Frauenkirche zu erkennen: ein großer, schlaksiger, junger Mann – ganz in schwarz gekleidet. Ruhig, fast andächtig sitzt er zu Füßen des übergroßen Reformators. Um ihn herum ein Schwarm Touristen, wie man ihn überall in der Dresdner Altstadt antrifft. Im lauten Trubel der Reisenden erscheint Mroß wie ein Fremdkörper. Auch aus anderen Gründen ist der 27-Jährige in Dresden eine eher ungewöhnliche Person: Er ist Priester und Sorbe und gehört in Sachsen somit zwei Minderheiten an.

Sorben tragen "eine große Liebe zur Religion im Herzen"

Sein sorbischer Nachname "Mroß" bedeute auf Deutsch "der Frostige", erläutert er augenzwinkernd. Doch wenn er anfängt über das Sorbische zu reden, taut der bedächtig wirkende Mroß auf. Lebendig erzählt er von seiner Kindheit in der Oberlausitz: Dort lernte er auf Sorbisch – seiner Muttersprache – zu beten. Mit seinen Eltern und zahlreichen Geschwistern besuchte er die Messe, ebenfalls in sorbischer Sprache. Er engagierte sich in seiner Heimatpfarrei als Oberministrant und nahm darüber hinaus an den Veranstaltungen für die Jugendlichen des Dekanats teil. Schon früh, in der Grundschule kam Mroß erstmals der Gedanke, Geistlicher zu werden. "Das gute Beispiel sorbischer Priester hat mich beeindruckt", erinnert er sich. Doch das Priestertum war nicht die einzige Option für Mroß: Als Jugendlicher habe er über die Möglichkeit zu heiraten und eine Familie zu gründen nachgedacht. Sicher auch, weil die Familie eine große Bedeutung in der sorbischen Kultur hat.

Mroß stammt aus Wittichenau im Landkreis Bautzen, der Kernregion der ethnischen Minderheit der Sorben. Diese slawische Volksgruppe von etwa 60.000 Menschen ist in Sachsen und im südlichen Brandenburg an der polnischen Grenze heimisch. Die Sorben haben eine eigene Sprache und Kultur. Dabei unterscheiden sich die mehrheitlich katholischen Obersorben, deren Sprache nahe am Tschechischen ist, von den Niedersorben, die meist evangelisch sind und deren Sprache ans Polnische erinnert. Allen Sorben ist jedoch gemeinsam, dass sie "eine große Liebe zur Religion im Herzen tragen", wie es Mroß ausdrückt. Diese Zuneigung zum Glauben zeige sich auch in den zahlreichen Bräuchen der Sorben, wie dem bekannten Osterreiten: Jedes Jahr an Ostern satteln sorbische Männer ihre Pferde und reiten in die Städte und Dörfer der Lausitz, um die Botschaft der Auferstehung zu verkünden. Aber es gibt auch eine eigene sorbische Fastnacht oder die Tradition des Hochzeitsbittens, bei der ein Zeremonienmeister, der braška, persönlich die Einladungen zu einer Trauung überbringt.

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Florian Mroß feierte am Pfingstsonntag 2017 seine Primiz in Wittichenau.

Doch es sind nicht nur die sorbischen Sitten und fröhlichen Feste, die zu Mroß‘ Glaubensgeschichte gehören. Ein einschneidendes Erlebnis war der plötzliche Tod seines älteren Bruders. Mroß war zu diesem Zeitpunkt gerade 13, sein Bruder 20 Jahre alt. Der Tod seines Bruders traf ihn schwer und er begann mit Gott zu hadern. Er fragte sich, welchen Sinn das Sterben hat und wie Gott Tod und Leiden zulassen kann. Es waren keine einfachen Jahre, doch letztendlich machte er die Erfahrung, dass nur Gott einen festen Halt bieten kann. "Der Glaube ist da, wenn alles andere zerbricht", sagt Mroß. Jesus wurde für ihn zu einem wichtigen Gesprächspartner. Dabei unterhielten sie sich selbstverständlich auf Sorbisch. "In der Muttersprache kann man am besten vom Glauben reden", zeigt er sich überzeugt. Um die Frage seiner Berufung zu klären, machte er nach dem Abitur den Zivildienst in seiner Heimatpfarrei St. Mariä Himmelfahrt in Wittichenau.

Seinen Eltern erzählte Mroß zunächst nichts von den Gedanken rund ums Priesterwerden. "Es war eine große Hürde, mit ihnen darüber zu reden", sagt er. Auch weil bereits einige Zeit vorher einer seiner Brüder seinen Wunsch, Priester zu werden, öffentlich gemacht hatte. Doch die Sorgen waren unbegründet: Seine Eltern reagierten erfreut auf seine Entscheidung, ins Priesterseminar zu gehen. Sie machten ihm klar, dass sie seinen Weg respektierten; warnten ihn aber auch, dass das Priestertum keine leichte Aufgabe sei.

"Zeugnis zu geben ist etwas Wunderbares"

Schließlich begann Mroß 2009 als Priesteramtskandidat des Bistums Dresden-Meißen das Propädeutikum in Bamberg. Nach dieser Vorbereitungszeit ging er im darauf folgenden Jahr zum Theologiestudium nach Erfurt, wo er 2015 seinen Abschluss machte. Unterbrochen wurde die Zeit im ostdeutschen Priesterseminar von zwei Freisemestern in Brixen in Südtirol. Wenn es nicht für den Priesterberuf gewesen wäre, hätte er nicht Theologie studiert, sagt Mroß. Ein praktisches Fach wäre eher seine Wahl gewesen. Auch während des Studiums in Erfurt beließ er seinen Glauben nicht in der Theorie. Er traf sich mit anderen Sorben, um gemeinsam mit ihnen in der Muttersprache zu reden und in der Bibel zu lesen. Maiandachten und andere Gottesdienste standen ebenso auf dem Programm. "Man konnte eine große Verbundenheit unter uns Sorben spüren", erinnert sich Mroß an diese Zeit.

Die Jahre im Priesterseminar hätten ihm gut getan, sagt er. Denn dort lernte er über seinen Glauben und seine Berufung zu sprechen – etwas, das ihm vorher eher schwer gefallen war. Die Erfahrungen im Studium waren zudem eine Bestätigung für seinen Berufungsweg und machten ihm Mut, ihn weiterzugehen. Den Glauben bringt Mroß inzwischen sehr gerne zur Sprache: "Zeugnis zu geben ist etwas Wunderbares", schwärmt er. Das konnte er in den letzten beiden Jahren als Praktikant und Diakon unter Beweis stellen. Er war in der Bautzener Dompfarrei eingesetzt, einer größtenteils sorbisch-sprachigen Gemeinde im politischen und kulturellen Zentrum der Sorben.

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Bei der Primiz von Florian Mroß stehen ein Kranz, eine Kerze und eine Krone vor dem Altar.

Das Sorbische sei für seine Berufung sehr wichtig gewesen, betont der junge Priester immer wieder – auch in Abgrenzung zum Deutschen. Es ist für Mroß die "Sprache des Herzens". Er empfindet sie als sehr emotional. Der Glaube will auf Sorbisch gelebt werden, sagt er lebhaft. Die deutsche Sprache hingegen sei eher rational, sehr auf den Verstand ausgerichtet. Er versichert: Das Sorbische ist "das, wo ich eigentlich ich selbst bin". Es ist aber auch das, was ihn von anderen unterscheidet.

Für Sorben hat die Religion traditionell eine wichtige Stellung. Doch der Bedeutungsverlust des Glaubens in der heutigen Zeit zeigt sich auch bei den Sorben. Daher fürchten viele von ihnen, dass die Traditionen zu sehr zur Folklore werden und ihren eigentlich religiösen Inhalt verlieren könnten. Doch Mroß gibt die Hoffnung nicht auf, dass die sorbischen Familien die eigene Kultur und Sprache an ihre Kinder und die Gesellschaft weitergeben. Das möchte er letztlich auch mit seinem priesterlichen Dienst tun.

Die erste Priesterweihe eines Sorben seit 17 Jahren

Der Dresdner Bischof Heinrich Timmerevers weihte Mroß am Pfingstsamstag dieses Jahres zum Priester. Lange Zeit hatte er auf diesen Tag hingefiebert. Doch nicht nur für ihn selbst, sondern auch für die Sorben war es ein besonderer Tag: Seine Priesterweihe war die erste eines Sorben seit 17 Jahren. Zwei Tage danach nahm der Neupriester an der traditionellen Pfingstwallfahrt nach Rosenthal teil, "um der Muttergottes danke zu sagen". Der Marienwallfahrtsort Rosenthal ist sehr wichtig für die Religiosität der Sorben, versichert Mroß – auch für ihn.

Der Tag der Primiz in seiner Heimatgemeinde in Wittichenau wurde wie eine Hochzeit gefeiert: Traditionell errichteten Freunde eine Ehrenpforte und bei der Prozession durch den Ort zur Kirche wurden verschiedene Gegenstände mitgetragen, erklärt Mroß: die Primizkrone, die die Verbindung mit der Kirche und Jesus Christus symbolisiert; die Primizkerze, die mit ihrem Licht für den Wunsch steht, immer im Licht des Glaubens zu gehen; und der Primizkranz, der die Unendlichkeit versinnbildlicht. Viele Menschen aus der Gemeinde begleiteten ihn an seinem großen Tag, oft in den traditionellen Trachten der Sorben gekleidet. Besonders für die Mädchen bedeutet das neben einem zeitlichen auch einen finanziellen Aufwand. Denn beim Anlegen der Jungfern-Tracht, der družka, braucht man Hilfe, da sie aus vielen Einzelteilen besteht. Ältere Frauen helfen beim Ankleiden, das mehrere Stunden dauern kann, und bekommen dafür ein Honorar. Doch um zu feiern, dass es einen neuen sorbischen Priester gibt, geben die Familien dieses Geld gerne aus.

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Bei der ersten Messe von Florian Mroß sitzen auch viele Frauen in sorbischer Tracht in der Pfarrkirche St. Mariä Himmelfahrt in Wittichenau.

Als sorbischer Priester wird Mroß gebraucht. Es gibt momentan nur etwa ein Dutzend Geistliche sorbischer Abstammung in Deutschland – die meisten von ihnen im Bistum Dresden-Meißen, andere im Bistum Görlitz. Eine geringe Zahl, wenn man die tiefe Verwurzelung des Christentums in der sorbischen Identität bedenkt. Ein Grund für den Rückgang des Glaubens bei den Sorben ist der Fall des Eisernen Vorhangs. Denn zu Zeiten des Nationalsozialismus und der DDR waren sich die Sorben ihrer Werte bewusst – schon allein, da sie in Abgrenzung zum jeweiligen Regime standen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen: Die Nazis grenzten sie wegen ihrer slawischen Abstammung aus. Im Sozialismus hatten sie Schwierigkeiten, ihren christlichen Glauben zu leben. Mit der Öffnung zur Demokratie hielt dann eine große Freiheit bei den Menschen in Ostdeutschland und auch bei den Sorben Einzug: Man konnte endlich Neues ausprobieren und tat das auch. Dies führte jedoch oft zu einer Überbetonung des Konsums.

"Doch heute merken die Menschen, dass das Leben mehr als Karriere und Besitz ist", so Mroß. Er möchte ihnen zeigen, dass es Größeres gibt und ihrer Angst mit Hoffnung begegnen. Dabei ist er nicht der einzige, denn in diesem Jahr gibt es in seiner Heimatpfarrei neben ihm einen weiteren Neupriester, der jedoch zum Erzbistum Bamberg gehört. Zudem befindet sich derzeit sein Bruder auf dem Weg zur Priesterweihe. "Fast kann man von einer Priesterschwemme in Wittichenau sprechen", scherzt der junge Geistliche.

"Es ist gut, Erwartungshorizonte aufzubrechen"

Auch wenn er Sorbe ist, versteht sich Mroß nicht als sorbischer Priester. Er sieht sich vielmehr als Priester mit sorbischen Wurzeln, der für alle Gläubigen da ist. Das kann er nun unter Beweis stellen, denn der Dresdner Bischof hat ihn nach seiner Priesterweihe nicht in eine sorbische Gemeinde gesandt. Mroß ist derzeit Kaplan zur Vertretung in der Verantwortungsgemeinschaft der Pfarreien Dresden-Neustadt, -Pieschen und –Weißer Hirsch in der sächsischen Landeshauptstadt. Anschließend soll er in Leipzig eingesetzt werden. Der junge Sorbe freut sich gerade deshalb auf diese Zeit unter sächsischen Katholiken: "Es ist gut, um etwas anderes als die Oberlausitz kennenzulernen." Aber es ist sein Wunsch, danach doch als Priester in einer sorbischen Gemeinde zu wirken. Das hätte für ihn auch den Vorteil, näher bei seiner Familie zu sein: "Es ist etwas typisch Sorbisches, nach Hause zurück zu kommen."

Im Kern versteht Mroß seine Berufung zum Priestertum als Dienst an allen Menschen. Dies drücke sich besonders in den priesterlichen Handlungen aus: "Es gibt nichts Schöneres, als zu segnen." Auch in seine Rolle als Zelebrant in Eucharistiefeiern hat er sich schnell eingefunden: "Es wird auch immer schöner, Messe zu feiern." Manchmal fragen ihn Menschen, warum er als junger Mann Geistlicher werden wollte. "Es ist gut, Erwartungshorizonte aufzubrechen", freut sich Mroß auch über diese Anfragen. Zudem ist er davon überzeugt, dass das Priestertum lebendig ist und "nicht nur etwas für alte Herren".

Als Florian Mroß den Platz vor der Frauenkirche in Dresden wieder verlässt, muss er sich etwas beeilen. Ein Treffen für geistliche Begleitung steht an. So entfernt sich seine hagere Gestalt mit schnellen Schritten Richtung Hauptbahnhof, vorbei an den immer neu hinzu- und wegströmenden Gruppen von Touristen.

Von Roland Müller