Was die feministische Theologie zur Gottesmutter sagt

Maria, die selbstbewusste Dienerin

Veröffentlicht am 26.10.2017 um 14:00 Uhr – Lesedauer: 
Theologie

Bonn ‐ Die fromme Gottesmutter, die ihr Schicksal demütig akzeptiert - so wurde Maria traditionell gesehen. Die feministische Theologie wirft jedoch einen anderen Blick auf diese herausragende Frauengestalt.

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Frage: Frau Adamiak, wie fasst die feministische Theologie Maria auf?

Elzbieta Adamiak: Die Beziehung zwischen der feministischen Theologie und Maria würde ich als ambivalent bezeichnen. Maria ist vor allem in der katholischen Tradition eine herausragende Frauengestalt, ja die Frau schlechthin. Das weckt natürlich das Interesse der feministischen Theologen. Aber das, was traditionell mit Maria verbunden wird, können sie so nicht hinnehmen.

Frage: Warum?

Adamiak: Das Marienbild in der katholischen Theologe war mit einem bestimmten Frauenbild verbunden. Die Frau war für die private Sphäre bestimmt, für das Haus und die Kinder. Mutterschaft wurde als die Berufung von Frauen verstanden, es war weibliche Bestimmung, Kinder zu bekommen. Das war einerseits wörtlich zu verstehen: Frauen waren für das Gebären und dann die Erziehung zuständig. Aber andererseits gab es das auch im übertragenen Sinne, nämlich in der Lebensform der Jungfräulichkeit als Mitglied einer Ordensgemeinschaft. Im spirituellen Sinne wurde das auch als eine mütterliche Rolle verstanden, weil eine Ordensfrau ganz für andere da sein soll. Mit diesem Verständnis wurde Maria als das Vorbild schlechthin für Frauen gepriesen. Nicht ohne Grund war und ist der Vorname "Maria" für Mädchen in katholischen Familien sehr beliebt.

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Frage: Und damit wollte sich die feministische Theologie nicht beschäftigen?

Adamiak: Die feministische Theologie wollte aus den traditionellen Frauenrollen ausbrechen. Daher war Maria zunächst kein Thema. Ende der 60er Jahre hat man angefangen, sich der Frauen zu erinnern, die es neben Maria noch gibt. Das kam damals zusammen mit der Strömung der neuen Bibellektüre. In dem Zusammenhang entdeckte man die herausragende Bedeutung von Maria von Magdala im Neuen Testament. Sie ist die erste Zeugin der Auferstehung Jesu und diejenige, die den zwölf Aposteln als "Apostelin der Apostel" die frohe Botschaft verkündet. Außerdem ist sie eine selbstbestimmte Frau: In den Evangelien bekommen die Frauen oft den Namen ihres Mannes oder den eines männlichen Familienmitglieds als Zusatzbezeichnung. Aber Maria von Magdala fügte man den Ort an, aus dem sie kommt. Eine andere Frauengestalt ist Junia, die in Paulus' Römerbrief erwähnt und als "hervorragend unter Aposteln" bezeichnet wird. Lange wurde ihr Name allerdings als männlicher Name "Junias" übersetzt. Erst Forschungen feministischer Theologen haben dies widerlegt und als eine Zuschreibung aus der Antike entlarvt. Sie und Maria von Magdala sind Beispiele von Frauen, die auf der gleichen Ebene mit Männern stehen. Sie haben in der Entstehung des Christentums allgemein eine große Rolle gespielt.

Frage: Wann rückte Maria in den Blick der feministischen Theologen?

Adamiak: Vor allem in den 1980er Jahren: Zuerst ging es da um die Einflüsse heidnischer Göttinnenkulte auf die Marienverehrung. Schon zuvor war erforscht worden, wie bestimmte Vorstellungen von Göttinnen, etwa der Artemis in Ephesos, auf Maria übertragen wurden. Das Bild von Maria mit dem Jesuskind im Arm findet sich auch in den antiken griechischen oder römischen Kulten. In der frühen Theologie wurde das kritisiert, denn Maria ist ein Mensch, die Jesus als einen Menschen geboren hat, keine Göttin. Aber die feministische Theologie bewertet es positiver, denn es lenkt die Aufmerksamkeit auf das Thema der Gottesbilder. Maria ist in dieser Sicht eine Art Projektionsfläche. Die Zuschreibungen der Attribute von Göttinnen auf sie kann man dann hermeneutisch bearbeiten. Sie wird wieder zu einer Frau, die Zuschreibungen zu einer Quelle für weibliche Gotteszüge, eine Art Kontrapunkt zum männlichen Gottesbild.

Frage: Und was ist mit der historischen Person Maria?

Adamiak: Auch zu Maria als Mensch gibt es feministisch-theologische Forschung, und das finde ich fast noch wichtiger. Dazu gehören interessanterweise auch Elemente, die traditionell mit ihrer Mutterrolle verknüpft werden, aber sie werden hier anders interpretiert. Beispielsweise in der Verkündigungsszene: Maria sagt da "fiat", also zu Deutsch "mir geschehe." In der traditionellen Auffassung war das ein Ausdruck der Demut von Maria. Aber in der feministischen Theologie wird es als freie Entscheidung von Maria gedeutet, als ein klar gesagtes "Ja" zu ihrer Berufung. Ebenso bei ihrer Aussage "Ich bin die Magd des Herrn". Eigentlich geht es hier um die Entsprechung von dem Bekenntnis "ich bin Diener des Herrn". Als "Diener des Herrn" werden viele alttestamentliche Glaubensgestalten bezeichnet, auch Jesus im Philipperbrief. Und wenn es von Maria ebenso heißt, bedeutet es, dass sie in einer Reihe mit den wichtigsten biblischen Vorbildern gehört. Dann wird klar, dass auch Frauen "Diener des Herrn" sein können.

Bild: ©katholisch.de

Elzbieta Adamiak sieht eine mögliche Neuinterpretation des Rosenkranzes darin, "dass die meditative Wiederholung von Texten, die diesen Frauenaspekt hervorbringen, auch positiv gesehen werden kann, wenn man sich von dem traditionellen Frauenbild löst."

Frage: Was ist mit dem "Magnificat", in dem Maria im Lukasevangelium Gott lobt?

Adamiak: Das ist ein gutes Beispiel! Befreiungstheologisch wird Maria hier als Vertreterin der Armen gesehen. Die Bezeichnung "die Armen" meint nicht nur die Besitzlosen, sondern sie kommt schon im Alten Testament als Kategorie vor. Damit sind Menschen gemeint, die auf keine weltliche Macht zurückgreifen können, sondern auf Gottes Eingreifen angewiesen sind. Durch das "Magnificat" bittet Maria für diese Menschen und wird so zu einer universellen Vertreterin der Menschheit. In all diesen Punkten kann man eine Maria erkennen, die selbstbewusst ist. Sie steht ein für ihren Glauben an den Auferstandenen, der zur Hilfe kommt. Wenn man die Konstruktion des Lukasevangeliums betrachtet, kann man sagen, dass sie die erste ist, die Jesus aufnimmt. Sie folgt ihn nach und überwindet damit die Zuschreibung auf die reine Mutterrolle.

Frage: Welche Bedeutung haben denn die Marienverehrung und damit der Rosenkranz für die feministische Theologie?

Adamiak: Wie ich eben schon sagte, wurde mit der Marienverehrung ja auch das traditionelle Frauenbild verknüpft. Daher wird auch der Rosenkranz in der feministischen Theologie eher kritisch gesehen. Denn obwohl in diesem Gebet nicht direkt die weiblichen Züge von Maria angesprochen werden, wurde das Bild auch in den Rosenkranz mitgenommen. Es gibt allerdings ein paar Anknüpfungspunkte, die man herausarbeiten kann.

Frage: Welche sind das?

Adamiak: Ursprünglich war der Rosenkranz eine Zusammenstellung von bestimmten Sätzen, die aus dem Lukasevangelium kommen und die um Maria kreisen: Nämlich die Verkündigung und die Heimsuchung Mariens. Das Bittgebet "Heilige Maria, bitte für uns" kam später dazu und bekam während der Gegenreformation mehr Bedeutung. Eine mögliche Neuinterpretation des Rosenkranzes sehe ich darin, dass die meditative Wiederholung von Texten, die diesen Frauenaspekt hervorbringen, auch positiv gesehen werden kann, wenn man sich von dem traditionellen Frauenbild löst. Das ist zurzeit allerdings eher weniger Thema für die feministische Theologie. Aber vielleicht kommt es noch: Die Rosenkranzform, wie sie jetzt gebetet wird, ist geschichtlich gewachsen. Daher ist es weiterhin offen für potentielle Änderungen. Eine schon praktizierte Form ist nach den biblischen Zitaten einen freien Zusatz zu formulieren, eine Art der Erinnerungspraxis. Da sehe ich die Möglichkeit, Maria tiefer als eine selbstbewusste Frau ins Gedächtnis der Kirche einzuprägen.

Von Johanna Heckeley

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