"Es geht bei Adam und Eva los"
Frage: Frau Nutt, was hat es mit "die Gott" und dem "Mutter Unser" auf sich?
Aurica Nutt: Bezeichnungen für Gott, die nicht männlich sind, weisen erstmal daraufhin, dass Gott unserer Erkenntnis vollständig entzogen ist. Wenn wir uns Gott aber als Menschen vorstellen, was wir wider besseres Wissen tun, sind wir ganz schnell bei einem männlichen Gott. Und wenn dieses Gottesbild angefragt wird, gibt es einen Aufschrei. Aber ich sehe das umgekehrt und sage: Es verstößt gegen das Bilderverbot, wenn ein männlicher Gott verteidigt wird. Gott ist nämlich ebenso wenig oder ebenso sehr männlich, wie "er" auch ebenso wenig oder ebenso sehr weiblich ist. Die Frage ist ja: Was wird eigentlich verteidigt, wenn ein männliches Gottesbild verteidigt wird?
Frage: Diese Ausdrucksweise ist also eine Art Prüfstein?
Nutt: Daran, wie sehr uns das irritiert, wie fremd uns diese Bilder sind, wenn wir zum Beispiel von "Mutter" statt "Vater" sprechen, merken wir, wie vertraut uns das Vaterbild ist. Aber wir machen uns auch etwas vor, wenn wir glauben, Gott dadurch besser verstehen zu können. Ich finde es wichtig, dass die Selbstverständlichkeit von "dem Gott" und von einem "er" hinterfragt werden kann. Aber es geht nicht darum, aus Gott eine Frau zu machen, sondern um eine Erweiterung des Spektrums. Es ist also wichtig, die weiblichen Seiten Gottes – was auch immer wir darunter verstehen – zu betonen und uns daran zu erinnern, dass Gott diese Seiten auch hat. Ich selbst habe schon bei Vorträgen erlebt, dass es gerade ältere Leute als sehr befreiend empfinden können, wenn das Gottesbild vom Vaterbild gelöst wird.
Frage: Darauf lässt sich die feministische Theologie aber nicht reduzieren. Was will denn die feministische Theologie?
Nutt: Von Ursprung her war das Anliegen, Erfahrungen von Frauen in die Theologie einzubringen und von diesen aus die Theologie kritisch zu betrachten. Das ist wichtig geworden durch eine Jahrtausende lange Tradition, in der Frauen so gut wie gar nicht an der Formulierung von Theologie beteiligt waren. Theologie reflektiert und interpretiert ja den Glauben, und wenn sozusagen die eine Hälfte der Menschheit dabei überhaupt nicht mitredet, führt das notwendigerweise zu Leerstellen und Verzerrungen. Feministische Theologinnen wollten also herausfinden, wie zum Beispiel Bibeltexte oder die Geschichtsanalyse aussehen können, wenn sie aus weiblicher Sicht betrachtet werden. Feministische Theologie ist deswegen mit einer klaren Parteilichkeit für Frauen verbunden, weil sie davon ausgeht, dass es noch keine vollständige Gleichheit der Geschlechter gibt und dass gerade in der Theologie in Bezug auf die Frauen noch einiges zu tun ist. Idealerweise würde sich die feministische Theologie irgendwann selbst abschaffen, weil ihr Ziel erreicht wäre.
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Der Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB) beschäftigt sich in einer Broschüre mit Genderfragen. Katholisch.de hat mit der Vorsitzenden der Theologischen Kommission des KDFB, Regina Heyder, über das brisante Thema gesprochen. (Interview aus dem Juli 2015)Frage: Wie und wann ist die feministische Theologie entstanden?
Nutt: Da gibt es mehrere Faktoren. Ein ganz wichtiger war die Zulassung von Frauen zum Theologiestudium, im zunehmenden Maß nach dem Zweiten Weltkrieg. Dadurch wurden Frauen kompetenter in theologischen Fragen und konnten angemessen formulieren, was sie störte. Eine zweite Ursache sehe ich in der sogenannten zweiten Welle der Frauenbewegung, die ab den 1970er Jahren auch in Deutschland viele Anhängerinnen hatte. Diese Bewegung stand dem Christentum eher skeptisch gegenüber und nahm vor allem die katholische Kirche als Hindernis für Frauenemanzipation wahr. Demgegenüber mussten sich Christinnen und besonders die Katholikinnen unter ihnen positionieren. Ein dritter Faktor war die lateinamerikanische Befreiungstheologie. Die hat, wie die feministische Theologie, ihren Ursprung im Zweiten Vatikanischen Konzil. Von Vertretern beider Ansätze wurde gerade die Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" als Ermutigung verstanden, kontextuelle Theologien zu entwickeln, also von konkreten Erfahrungen auszugehen und mit ihnen die Theologie zu befragen und neu zu formulieren. Beide teilten gerade in den Anfangsjahren das Pathos der Befreiung, wobei Feministinnen darunter vor allem die Befreiung aus dem Patriarchat verstanden haben.
Frage: Woran arbeiten feministische Theologinnen?
Nutt: Sie sehen sich zum Beispiel übliche Bibelinterpretationen kritisch an und schauen, was aus diesen Interpretationen gemacht worden ist. Ein gutes Beispiel dafür ist die Auffassung von Eva. Früher galt sie als die Verführerin, die Schuldige an der Erbsünde. Wir sehen Eva inzwischen differenzierter. So ist in der Erzählung von Adam und Eva überhaupt nicht von Sünde die Rede, sondern von der Erkenntnis von Gut und Böse, außerdem tragen beide Menschen gleich viel Verantwortung für den Verlust des Paradieses. "Eva" ist übrigens kein Eigenname, sondern das ursprüngliche "chawah" stellt sogar einen Ehrentitel dar: Mutter alles Lebendigen.
Außerdem legen feministische Theologinnen Bibeltexte unter Berücksichtigung von Frauenerfahrungen aus. Und sie forschen nach bedeutenden Frauen in der Kirchengeschichte. Aber die Arbeit ist nicht nur auf das Thema "Frau" beschränkt, sondern es geht inzwischen oft um beide Geschlechter. Zum Beispiel beschäftigen sich einige Forscherinnen und Forscher damit, welche Konzepte von Männlichkeit es in der Bibel gibt. Ein ganz aktueller Strom der Forschung konzentriert sich zudem auf das Thema Körper: Da geht es etwa um die Fragen, wie der Körper vorkommt, wie er behandelt wird und welche Konzepte von Gesundheit und Krankheit es gibt.
Frage: Gibt es eine spezifisch katholische feministische Theologie?
Nutt: Ich würde sagen nein. Die feministische Theologie war von Anfang an ökumenisch aufgestellt, Theologinnen beider Konfessionen vernetzten sich sehr stark. Es gibt natürlich innerhalb der feministischen Theologie spezifisch katholische Themen, allen voran die Ämterfrage, also die Frage, warum Frauen die Weihe verweigert wird.
Frage: Was hat die feministische Theologie bisher erreicht?
Nutt: Vieles, was heute in der Kirche selbstverständlich ist, geht auf das Konto der feministischen Theologie – in der Exegese zum Beispiel, wie eben erklärt, die Neuinterpretation von Eva. Auch für die anderen Frauen in der Bibel gibt es nun mehr Aufmerksamkeit, zum Beispiel für Maria Magdalena, von der man heute zu Recht sagt, sie gehöre zu den ersten Zeugen der Auferstehung Jesu. Früher wurden drei Frauen – Maria Magdalena, die namenlose Ehebrecherin und die ebenfalls namenlose Frau, die Jesus die Füße salbte – zu einer einzigen Figur verschmolzen, die alle möglichen Fantasien hervorrief. Ähnlich in der Kirchengeschichte: Die Wiederentdeckung von so bedeutenden Frauen wie Hildegard von Bingen oder Teresa von Avila ist mit Sicherheit auch der Arbeit von feministischen Theologinnen zu verdanken. Ergänzen möchte ich noch den Einfluss der feministischen Theologie auf das Lehramt des Vatikan: Das geht von einem Differenzfeminismus aus, also davon, dass Männer und Frauen grundsätzlich verschieden sind und einander komplementär ergänzen. Das ist eine Mindermeinung in der feministischen Theologie, aber die vorigen beiden Päpste wurden immerhin nicht müde zu betonen, dass diese Sichtweise ganz bestimmt keinerlei Abwertung der Frauen bedeutet. Ich würde das als ein Gewinn verbuchen, auch wenn ich diese Ansicht nicht teile.
Frage: Gibt es in der Geschichte der feministischen Theologie eine Verschiebung der Anliegen?
Nutt: Zu Beginn wurde ein ganz heftiger Streit ausgetragen darüber, ob das Christentum überhaupt reformierbar in Richtung umfassender Geschlechtergerechtigkeit sei. Eine der ersten Autorinnen, Mary Daly, ist Anfang der 70er Jahre aus der Kirche ausgetreten, weil sie glaubte, dass das Christentum so patriarchal sei, dass es nicht reformiert werden könne. Es gab aber auch Wissenschaftlerinnen, die überzeugt waren, dass das Christentum im Kern emanzipatorisch sei und es genau das herauszuarbeiten gelte. Heute sind vorwiegend Frauen mit dieser Überzeugung in der feministischen Theologie aktiv, aber es gibt nicht mehr diese Grundsatzdebatten. Stattdessen herrscht Konsens über die Hauptanliegen, und es ist eher so, dass das Themenfeld oft ziemlich unübersichtlich geworden ist, weil es so eine große Vielfalt von Disziplinen und Forschungsthemen gibt. Grundsätzlich ist diese Breite und Tiefe natürlich sehr zu begrüßen.
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Für die einen ist es ein Instrument der Gleichstellung, für die anderen Teufelswerk: das Konzept "Gender". Der Papst bezeichnete "Gender" als "dämonische Ideologie". Fest steht: "Gender" erregt die Gemüter. Was steckt hinter dem Begriff? (Artikel von März 2016)Frage: Der Begriff "Feminismus" hat inzwischen einen schlechten Beiklang, manchmal schreckt er sogar ab. Spüren Sie das auch?
Nutt: Die Bezeichnung "feministische Theologie" wird auch von ihren Vertreterinnen längst überdacht – auch, weil "Feminismus" nicht unbedingt positive Reaktionen hervorruft. Wenn man an der Uni Vorlesungen mit dem Titel "feministische Theologie" anbietet, dann kommen wenige Studentinnen und Studenten, wenn man aber die Inhalte vermittelt, dann sind durchaus viele interessiert. Das Verrückte ist, dass manche Leute bei feministischer Theologie die Augen verdrehen, aber große Fans der mittelalterlichen Frauenmystik sind. Da ist zu fragen, wer denn eigentlich der Frauenmystik die Aufmerksamkeit verschafft hat, die sie jetzt erfährt?! Sie wurde ja lange Zeit als Spinnerei abgetan.
Frage: Ist feministische Theologie eigentlich auch für Männer interessant?
Nutt: Auf jeden Fall! Denn einerseits fragt die feministische Theologie schon längst nicht mehr ausschließlich nach den Perspektiven und Erfahrungen von Frauen, sondern nach der theologischen Bedeutung von Geschlecht überhaupt. Deswegen gibt es viele Forscherinnen, die lieber von der geschlechterbewussten oder geschlechtersensiblen Theologie sprechen wollen. Andererseits ist es mit der Theologie und dem Glauben wie mit dem Leben insgesamt: Die Geschlechterperspektive spielt in allem eine große Rolle, egal, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Wer hier seine Perspektive erweitert, kann eine große Bereicherung erleben. Und gerade für das Christentum ist die geschlechterbewusste eine ganz wichtige Perspektive, um diese Religion zu verstehen – es geht ja im wahrsten Sinne des Wortes schon bei Adam und Eva los.
Frage: Sehen Sie Parallelen zwischen der feministischen Theologie und der aktuellen Gender-Diskussion?
Nutt: Ja, beide hängen auf jeden Fall eng zusammen; "Gender" will im Bereich der Theologie eigentlich gar nichts anderes als die feministische Theologie, nämlich letztlich Geschlechtergerechtigkeit. Aber aus Gründen, die ich nicht ganz verstehe, ist "Gender" zu einem regelrechten "Kampfthema" geworden. Es wird bisweilen als Bedrohung der christlichen Familie dargestellt und stößt entsprechend auf heftige Abwehrreaktionen. Dabei besagt der Begriff Gender nichts anderes, als dass unsere Vorstellungen von "Weiblichkeit" und "Männlichkeit" kulturell bedingt und darum hinterfragbar sind. Dass Geschlechtervorstellungen in den letzten Jahrzehnten zunehmend in Bewegung geraten sind, ist aber nicht durch den Gender-Begriff verursacht. Sondern er benennt diese Veränderungen nur – und diese Veränderungen und Bewegungen hat es in der Geschichte immer schon gegeben, sie haben sich nur beschleunigt. Es wäre ein großer Gewinn, wenn auch Papst Franziskus verstehen würde, dass es bei "Gender" um Gerechtigkeitsfragen geht und nicht um eine Ideologie.