Positioniert sich der Papst im "pro multis"-Streit?
Eigentlich sollte es um das Totengedenken gehen: Franziskus hielt am Freitag im Petersdom eine Messe für die 14 Kardinäle und 137 Bischöfe, die im vergangenen Jahr verstorben sind, ein Standardtermin. Doch einige Reaktionen in Blogs und anderen Medien erweckten einen anderen Eindruck: Hat der Papst indirekt dafür plädiert, dass Katholiken während der Wandlung der Gaben für die Eucharistie künftig wieder sagen sollten, Jesus habe sein Blut "für viele" vergossen, statt wie bislang im Deutschen und etlichen anderen Landessprachen "für alle"?
So titelte etwa die britische katholische Zeitschrift "The Catholic Herald": "Papst Franziskus stellt sich auf die Seite Benedikts und sagt, Christus hat sein Blut für viele vergossen." Anlass für solche Interpretationen war eine Passage aus Franziskus' Predigt, in der er auf den Text der vorherigen Lesung einging, eine Stelle aus dem Buch Daniel im Alten Testament. Dort heißt es im zweiten Vers des zwölften Kapitels: "Von denen, die im Land des Staubes schlafen, werden viele erwachen, die einen zum ewigen Leben, die anderen zur Schmach, zu ewigem Abscheu."
"Für alle" oder "für viele"?
Der Papst stellte in seiner Interpretation eine Verbindung zur Auferstehung Jesu her: "Die 'Vielen', die zum ewigen Leben erwachen, sind zu verstehen als die 'Vielen', für die das Blut Christi vergossen wurde", erklärte er. Dies sei "die große Zahl derer, die dank der barmherzigen Güte Gottes die Wirklichkeit des unvergänglichen Lebens erfahren dürfen, den durch die Auferstehung errungenen vollkommenen Sieg über den Tod", sagte er laut der offiziellen deutschen Übersetzung des Vatikans. Der Tod mache die Weggabelung endgültig, "vor der wir schon hier in dieser Welt stehen: vor dem Weg des Lebens, also mit Gott, oder vor dem Weg des Todes, also fern von Ihm".
Der konservative "The Catholic Herald" und andere deuteten dies als Stellungnahme zum sogenannten "pro multis"-Streit. In der maßgeblichen lateinischen Fassung des Römischen Messbuchs heißt es in den Wandlungsworten, Jesus sei 'pro multis', also 'für viele' gestorben, in der deutschen und vielen anderen Übersetzungen 'für alle'. Im Jahr 2012 forderte Benedikt XVI. die deutschen Bischöfe in einem Brief ausdrücklich zu einer Rücknahme dieser Übersetzung auf. Der damalige Papst hatte keine theologischen Bedenken gegen die Aussage, dass Jesus für alle gestorben sei, sah jedoch auch in diesem Punkt die Treue zum Originaltext als oberstes Kriterium.
Theologisch steht in der Debatte viel auf dem Spiel: Es geht um die Frage, ob aus der Auferstehung Jesu folgt, dass alle Menschen von den Toten auferstehen, oder ob es auch Verstorbene gibt, die von einem solchen Leben bei Gott nach dem Tod ausgeschlossen sind. Einige Kritiker sehen in der Übersetzung "für alle" eine unzulässige Verallgeinerung der Heilszusage Gottes. Eine Lesart, die zwischen beiden Positionen vermittelt, lautet, Jesus sei zwar für alle Menschen gestorben, doch der Mensch könne die Barmherzigkeit Gottes aus freiem Willen ablehnen und sich dadurch selbst den Weg in den Himmel verbauen.
In Deutschland setzten sich die Befürworter der Übersetzung "für alle" durch. Die deutschen Bischöfe kamen dem Wunsch Benedikt XVI. daher ebenso wie andere Bischofskonferenzen nicht nach. Das Hauptargument war, dass man die Gläubigen nur verwirren würde, wenn man die vertraute Übersetzung ändere, ihnen anschließend aber erklären müsste, dass sich theologisch nichts geändert habe. Bereits 2006 hatte die Gottesdienstkongregation die nationalen Bischofskonferenzen aufgefordert, ihre abweichenden Übersetzungen in den Landesprachen anzupassen. Franziskus hat sich bislang zu diesem Thema nicht direkt geäußert.
Für eine Deutung der päpstlichen Worte im Sinne konservativer Interpreten spräche, dass der Papst hier offensichtlich auf den Wortlaut des Eucharistischen Hochgebets anspielt: "Das ist der Kelch des neuen und ewigen Bundes, mein Blut, das für euch und für alle (oder für viele) vergossen wird zur Vergebung der Sünden."
Es gibt jedoch ein sehr starkes Gegenargument gegen solche Interpretation: Wenn Franziskus wirklich der Überzeugung sein sollte, dass die bisherige Übersetzung geändert werden müsste, hätte er das längst anordnen können. Sein jüngster Erlass zur Übersetzung liturgischer Texte vom September hätte die beste Gelegenheit dazu geboten. Warum aber sollte er dieses Anliegen nun ausgerechnet in einer Messe für die verstorbenen Kardinäle und Bischöfe vortragen?
Wer hat im Zweifelsfall das letzte Wort bei den Übersetzungen?
Auf die Kontroverse um die Übersetzung von "pro multis" geht der Papst in seinem Erlass "Magnum principium" nicht direkt ein. Er gibt den Bischofskonferenzen die Zuständigkeit für die Übersetzung liturgischer Texte, dem Vatikan obliegt weiterhin die abschließende Genehmigung. In seinem Brief an Kardinal Robert Sarah, in dem Franziskus dessen stark einschränkende Interpretation seines Erlasses zurückweist, gibt es allerdings eine Stelle, die man auf die "pro multis"-Debatte beziehen könnte. Dort heißt es, die Bestätigung für liturgische Texte werde vom Vatikan im "Geist des Dialogs und der Hilfe" erteilt. Ausgenommen hiervon seien nur "evidente Fälle", die den Bischöfen vom Vatikan zu einem "weiteren Nachdenken" vorgelegt würden. Das gelte insbesondere für die Eucharistischen Hochgebete und für die Texte zur Feier der Sakramente, die vom Papst gebilligt worden seien. Wer in solchen Zweifelsfällen künftig das letzte Wort hat, geht aus dem Schreiben von Franziskus allerdings nicht ganz eindeutig hervor.
Letztlich bleibt es somit Spekulation, ob sich aus Franziskus' Äußerung zur Auferstehung der Toten, eine Stellungnahme im "pro multis-Streit" herauslesen lässt. Kraft päpstlicher Autorität anordnen wollte Franziskus eine wortgetreue Übersetzung von "pro multis" aber offenbar nicht. Ein Indiz dafür, dass er persönlich dennoch durchaus Sympathien für eine solche Übersetzung hegt, könnte die Rückkehr der Argentinischen Bischofskonferenz zur Übersetzung "für viele" im Jahr 2010 sein. Denn der heutige Papst war zu dem Zeitpunkt Vorsitzender der Argentinischen Bischofskonferenz. Allerdings ist nicht bekannt, ob der damalige Kardinal Jorge Mario Bergoglio sich persönlich für diese Änderung eingesetzt hat und wenn ja, aus welchen Motiven.
Nicht auszuschließen ist allerdings auch, dass der Papst beim Verfassen seiner neuesten Predigt gar nicht an den "pro multis"-Streit gedacht hat. Es wäre nicht das erste Mal, das in seine Äußerungen etwas hineininterpretiert würde, was Franziskus so gar nicht sagen wollte.