Die Kirche im Fokus von Verschwörungstheoretikern

Dunkle Machenschaften im Vatikan?

Veröffentlicht am 08.11.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Geschichte

Bonn ‐ Morde, Entführungen, Attentate: Auch der Vatikan steht immer wieder im Zentrum sogenannter Verschwörungstheorien. Katholisch.de stellt die spannendsten Fälle der vergangenen Jahrzehnte vor.

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Hätten Sie's gewusst? Adolf Hitler hat das Kriegsende 1945 überlebt und verbrachte seinen Lebensabend in Argentinien. Die Mondlandung im Jahr 1969 hat nicht stattgefunden, sondern wurde von der NASA in einem Filmstudio inszeniert. Und die Anschläge vom 11. September 2001 hatten nichts mit Terroristen zu tun, sondern waren das Werk der damaligen US-Regierung. Alles Quatsch? Nun, nicht wenige Menschen glauben an diese und ähnliche Geschichten. "Verschwörungstheorien" lautet das Stichwort – und die erfreuen sich außerordentlicher Beliebtheit. Da verwundert es kaum, dass auch die Kirche und vor allem der geheimnisumwitterte Vatikan schon öfter die Fantasie der Verschwörungstheoretiker beflügelt haben. Das gilt gerade auch für die jüngere Vergangenheit.

Mord am Papst?

Der erste Fall liegt beinahe 40 Jahre zurück, kam jedoch erst vor wenigen Tagen zu seinem (vorläufigen?) Abschluss. Die Rede ist vom plötzlichen Tod Johannes Pauls I. Nach nur 33 Tagen im Amt wurde der "lächelnde Papst" am Morgen des 29. September 1978 tot in seinen Gemächern im Apostolischen Palast aufgefunden. Die offizielle Version, die jetzt durch Notizen des damaligen päpstlichen Leibarztes untermauert wurde, lautete Herzinfarkt. Allerdings verstrickte sich der Vatikan bei den genauen Todesumständen in Widersprüche und verzichtete überdies auf eine Obduktion. So machten schnell Gerüchte die Runde: tot nach gerade einmal einem Monat? Das konnte nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Der Papst wurde ermordet, lautete eine verbreitete These.

Die Verschwörungstheorie um den Tod des Papstes erhielt neuen Nährboden, als der britische Autor David Yallop im Jahr 1984 sein Buch "Im Namen Gottes?" veröffentlichte. Darin stellte er die Behauptung auf, Johannes Paul I. sei vergiftet worden. Denn der Papst, so Yallop, sei im Begriff gewesen, einen Korruptionsskandal rund um die Vatikanbank IOR aufzudecken. Zudem habe er hohe Kurienmitarbeiter entlassen und kirchliche Reformen – darunter die Erlaubnis der künstlichen Empfängnisverhütung – anstoßen wollen. Yallop stellte seine Ausführungen, denen laut Vorwort des Buches eine dreijährige Recherche und Gespräche mit Zeugen auch aus dem engsten Umfeld des Papstes zugrunde lagen, als Tatsachenbericht dar. Späteren Untersuchungen zufolge hielt seine Mordtheorie hingegen einem Faktencheck nicht stand.

Bild: ©KNA

Der damalige Kardinal und Patriarch von Venedig, Albino Luciani, war am 26. August 1978 zum Papst gewählt worden und gab sich den Namen Johannes Paul I. Am 28. September starb er im Alter von 65 Jahren nach nur 33 Tagen im Amt. Er ging als der "lächelnde Papst" in die Kirchengeschichte ein.

Die Gerüchte indes halten sich bis heute. Doch der Tod Albino Lucianis – so der bürgerliche Name des Papstes – war allen gesicherten Anhaltspunkten nach ein natürlicher. Wäre er fünf Jahre im Amt gewesen, hätte wohl niemand eine Mordtheorie aufgestellt. Somit war es wohl nicht mehr als der tragische Tod eines kranken Mannes, der an der Last seines Amtes zerbrach.

Das verschwundene Mädchen

Auch der nächste Fall machte jüngst noch einmal Schlagzeilen. Am Nachmittag des 22. Juni 1983 kehrte die damals 15-jährige Emanuela Orlandi, Tochter eines Vatikan-Mitarbeiters, vom Musikunterricht nicht nach Hause zurück. Nachdem das Mädchen tagelang nicht auffindbar war und die Polizei im Dunkeln tappte, meldete sich Papst Johannes Paul II. zu Wort. In einer Ansprache appellierte er an diejenigen, die für Orlandis Verschwinden verantwortlich seien, sie freizulassen. Damit wurde der Fall offiziell zur Entführung erklärt. Eine Reihe anonymer Anrufe ging daraufhin bei der Familie ein. Unter anderem meldete sich ein angeblicher Entführer, der erklärte, die Freilassung des türkischen Papstattentäters Ali Agca erwirken zu wollen. Zudem kamen Gerüchte auf, dass die kriminelle Magliana-Bande Orlandi entführt habe, um Geld zurückzufordern, das die Gruppe dem Heiligen Stuhl geborgt haben soll.

Bild: ©KNA/Alexander Brüggemann

Ein Plakat in Rom zeigt die 1983 verschwundene vatikanische Staatsbürgerin Emanuela Orlandi.

Die Ermittlungen liefen letztlich ins Leere, das Mädchen blieb verschwunden – bis heute. In den Fall kam jedoch wieder Bewegung. So wurde im Jahr 2012 das Grab des ehemaligen Magliana-Bosses Enrico De Pedis in der Basilika Sant'Apollinare in Rom geöffnet. Darin vermutete man die Gebeine Orlandis. Zwar wurden tatsächlich fremde Knochen gefunden, doch ergaben DNA-Tests, dass sie nicht dem verschwundenen Mädchen zuzuordnen waren. Erst im vergangenen September tauchte angeblich ein neues Dokument in dem Fall auf. Nach den vermeintlichen neuen Erkenntnissen, die der Enthüllungsjournalist Emiliano Fittipaldi veröffentlichte, habe der Vatikan selbst Orlandi entführt und Jahre lang gefangen gehalten. Aufgrund zahlreicher Ungereimtheiten im Zusammenhang mit dem Dokument muss die Glaubwürdigkeit jedoch stark angezweifelt werden.

Das Schicksal der Verschwundenen bleibt daher weiterhin ungeklärt – und Verschwörungstheorien machen nach wie vor die Runde. 2015 schloss die Staatsanwaltschaft die Akten. Die Familie hofft bis heute, dass Emanuela noch am Leben ist, und unterhält unter anderem eine eigene Facebook-Seite, auf der sie die Aufklärung des Falls fordert.

Der Tod des Kommandanten

Am Abend des 4. Mai 1998 werden in der Wohnung des Kommandanten der Päpstlichen Schweizergarde drei Leichen aufgefunden. Neben dem erst kurz zuvor ernannten Kommandanten Alois Estermann und seiner Frau Gladys befindet sich auch der damals 23-jährige Schweizergardist Cedric Tornay unter den Toten. Was war hier passiert? Nach dem offiziellen Untersuchungsbericht des Vatikans soll Tornay Rache genommen haben, weil er von Estermann im Dienst schlecht behandelt wurde und zudem unter Depressionen litt. Den Kommandanten und seine Frau habe Tornay daher erschossen und sich anschließend per Kopfschuss selbst gerichtet.

An dieser Darstellung kamen jedoch schnell Zweifel auf. In der Wohnung sollen angeblich vier statt drei benutzte Gläser gefunden worden sein, hieß es vonseiten der Zweifler. Das Projektil, mit dem sich Tornay erschossen haben soll, habe zudem keinerlei entsprechende Gebrauchsspuren aufgewiesen. Hatte der Vatikan die Wahrheit vertuscht und den wirklichen Mörder auf diese Weise geschützt? Das behaupteten zumindest zwei französische Juristen, die den Fall im Auftrag der Mutter Tornays, Muguette Baudat, untersuchten. Demnach soll eine weitere Obduktion des Leichnams ergeben haben, dass Tornay selbst durch Fremdeinwirkung ums Leben kam. Zudem sei sein Abschiedsbrief eine Fälschung gewesen.

Bild: ©KNA

Der am 4. Mai 1998 von Papst Johannes Paul II. neuernannte Befehlshaber der Schweizergarde, Alois Estermann, ist am selben Abend in seiner Wohnung ermordet worden.

Die Akten zum Mordfall hält der Vatikan unter Verschluss. Das nährte die Spekulationen um die Hintergründe der Tat. Der Schweizer Journalist Michael Meier kam nach eigenen Recherchen im Jahr 2005 zu dem Schluss, dass die ursprüngliche Version des Tathergangs der Wahrheit entspreche. Der von der Mutter in Auftrag gegebene Autopsiebericht habe in Wirklichkeit die vatikanischen Angaben über einen Selbstmord Tornays bestätigt und sei daher auch nie veröffentlicht worden. Ein Gutachten hätte zudem Jahre zuvor die Authentizität des Abschiedsbriefes belegt. Was also ist nun die Wahrheit im Mordfall Estermann? Trotz Anstrengungen der Mutter Tornays, die von dessen Unschuld überzeugt blieb, wurde der Fall nicht erneut aufgerollt. Zweifel werden folglich bleiben.

Schüsse auf dem Petersplatz

Auch weil die Geschehnisse auf Film festgehalten wurden, hat sich der letzte Fall in das Gedächtnis vieler Menschen eingebrannt: Bei seiner Generalaudienz am 13. Mai 1981 fährt Johannes Paul II. im offenen Papamobil durch die Menschenmenge auf dem Petersplatz. Plötzlich fallen Schüsse, der Papst sackt mit schmerzverzerrtem Gesicht in seinem Wagen zusammen. Die Kugeln verletzen ihn schwer, nur durch eine fünfstündige Notoperation in der römischen Gemelli-Klinik kann sein Leben gerettet werden.

Attentat auf Papst Johannes Paul II. am 13. Mai 1981 durch den türkischen Terroristen Mehmet Ali Agca. Der Papst sinkt nach den Schüssen im Papamobil zusammen.
Bild: ©KNA

Attentat auf Papst Johannes Paul II. am 13. Mai 1981 durch den türkischen Terroristen Mehmet Ali Agca. Der Papst sinkt nach den Schüssen im Papamobil zusammen.

Der Attentäter wird noch am Tatort verhaftet. Es ist der türkische Rechtsextremist Mehmet Ali Agca. Doch hat er allein gehandelt? Was war sein Tatmotiv? Und gab es Hintermänner? Die wahren Hintergründe des Attentats blieben im Dunkeln und es entstanden zahlreiche Spekulationen über mögliche Auftraggeber. Das lag nicht zuletzt daran, dass Agca sich in seinem Prozess und danach immer wieder in Widersprüche verwickelte. Demnach hatte die Tat mal einen islamistischen Hintergrund, dann wieder soll die Mafia im Spiel gewesen sein oder kommunistische Geheimdienste sollen den Mordbefehl erteilt haben, schließlich stellte sich Agca auch als fanatischer Einzeltäter dar. In seiner Autobiografie aus dem Jahr 2013 nannte er zuletzt den iranischen Revolutionsführer Ayatollah Khomeini als Auftraggeber. Verschwörungstheoretiker vermuteten die Hintermänner sogar im Vatikan selbst.

Ein Untersuchungsausschuss des italienischen Parlaments kam 2006 zu dem Schluss, dass am ehesten der kommunistische Osten hinter dem Attentat stecke. Der militärische Nachrichtendienst der Sowjetunion habe gemeinsam mit dem bulgarischen Geheimdienst auf Befehl des sowjetischen Staatschefs Leonid Breschnew gehandelt. Denn in der Tat wurde der Papst aus Polen als eine ernste Gefahr für das ganze Sowjet-System betrachtet. Doch ob diese Version tatsächlich stimmt? Der letzte Beweis fehlt auch hier. Und das lässt die Tür für weitere Verschwörungstheorien einen Spalt offen.

Von Tobias Glenz