Ein "Akt der Notwehr" feiert Jubiläum
Über den Bodensee peitscht der Herbstwind, im Konzilsgebäude im Konstanzer Hafen singt die Gregorianikschola vom Wehen des Heiligen Geistes: veni creator spiritus. Als göttliches Wunder beschrieben die zeitgenössischen Chronisten die Wahl von Papst Martin V. am 11. November 1417. Endlich war die jahrzehntelange, fatale religiöse und politische Spaltung Europas überwunden. Auf den Tag genau 600 Jahre danach erinnern Vertreter von Staat und Kirche an die einzige Papstwahl der Geschichte auf deutschem Boden.
In Vertretung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), der in Berlin weiter sondieren muss, wendet sich die baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) gegen Geschichtsvergessenheit. "Es ist Ausdruck unserer kulturellen Kompetenz, sich mit Geschichte zu befassen und daraus Lehren für die Gegenwart abzuleiten." Sie sieht ein gutes Miteinander von Staat und Kirche.
Koch: Konzil steht nicht über dem Papst
Theologisch-dogmatischer Klartext dann vom päpstlichen Gesandten und Kurienkardinal Kurt Koch: Es sei falsch, unter Bezug auf das Konstanzer Konzil, von einem grundsätzlichen Vorrecht des Konzils über den Papst zu sprechen. "Die Konzilsväter haben keineswegs die Oberhoheit des Konzils über den Papst als Dogma definiert." Vielmehr seien die damaligen Entscheidungen und die Absetzung von Papst Johannes XXIII. ein "Akt der Notwehr" gewesen, um die Einheit der Kirche wieder zu erlangen. Damit wendet sich Koch klar gegen Theologen wie etwa Hans Küng, die Konstanz als bleibenden Auftrag verstehen, heute neu über die Machtverhältnisse innerhalb der Kirche zu diskutieren.
Ein kleines Zugeständnis ist, dass sich Koch für mehr Dialog und "synodale Elemente" in der katholischen Kirche ausspricht. Dafür stehe auch Papst Franziskus, der sich gegen übertriebene Zentralisierungen in der Kirche wende. Und dies könne auch Grundlage für eine weitere ökumenische Annäherung mit den protestantischen und orthodoxen Kirchen sein, zeigt sich Koch überzeugt. "Das bringt uns nicht weiter. Da hätte ich mir von Papst Franziskus mehr erhofft", sagt dagegen spontan eine protestantische Zuhörerin nach Kochs Vortrag.
Wie die Papstwähler vor 600 Jahren zieht die Festgemeinde dann in bunter Prozession zum Münster. Ministranten bahnen sich ihren Weg durch die samstäglich volle Fußgängerzone. Die Konstanzer Fahnenschwinger haben eigens Papstflaggen entworfen. Eine Mittelaltercombo gibt den Takt vor. Ganz am Ende des Zugs folgt das "Papamobil", die für das Jubiläum gestaltete Konstanzer Fahrradrikscha.
Im Gottesdienst ruft der badische Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh zu neuem Mut für das ökumenische Miteinander der christlichen Kirchen auf. "Wir brauchen einander und müssen entschlossen in Richtung Einheit weiter gehen. Aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Vielfalt der Kirchen uns gegenseitig bereichert." Der Freiburger Erzbischof Stephan Burger bezeichnet die Erinnerung an das Konzil als Ansporn, sich auch heute für Frieden und Versöhnung in Europa zu engagieren.
Trotz stürmisch regnerischen Wetters sind mehrere Hundert Bürger gekommen. Und erleben die Uraufführung des Konzilsoratoriums von Bernd Konrad, das zu einem emotionalen Höhepunkt des Erinnerungsprogramms wird. Abschließend laden Ausstellungen im Konstanzer Hushaus, im Rosgartenmuseum und in der Dreifaltigkeitskirche ein, sich weiter mit den historischen Ereignissen von 1417 zu befassen. Bei Kostümführungen werden die historischen Ereignisse lebendig. Und am "Papstomat" kann jeder testen, ob er oder sie das Zeug zum Papst hat.