Ein Kirchen-Neubau in Istanbul erweist sich als Mogelpackung

Frohe Botschaft auf Türkisch

Veröffentlicht am 06.01.2015 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Türkei

Istanbul ‐ Als Freudenbotschaft verkündete es die türkische Presse am Wochenende, und internationale Medien jubelten mit: In der Türkei werde erstmals seit Gründung der Republik eine neue Kirche gebaut, mit dem Segen der türkischen Regierung und auf städtischem Boden - das habe Ministerpräsident Ahmet Davutoglu bei seinem Treffen mit den Religionsführern der nicht-muslimischen Minderheiten angekündigt.

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So dargestellt, hört es sich tatsächlich nach einer guten Nachricht an - und es dürfte kein Zufall sein, dass sie in den ersten Tagen dieses Jahres verbreitet wurde, in dem die Welt der Massaker an den anatolischen Christen im Jahr 1915 gedenken wird. Bei genauerer Betrachtung illustriert der Fall aber vielmehr die anhaltende Misere des türkischen Umgangs mit ihren christlichen Minderheiten.

Türkische Behörden erheben Einspruch

Noch das geringste Problem an dieser Nachricht ist es, dass sie nicht neu ist. Der von der syrisch-orthodoxen Gemeinde geplante Neubau einer Kirche im Istanbuler Stadtteil Yesilköy war bereits vor drei Jahren genehmigt worden; auch das Grundstück hatte die Stadt schon damals zugewiesen. Nur konnte bis heute nicht einmal der Grundstein gelegt werden, weil die türkischen Behörden reihenweise Einsprüche erhoben - zuletzt die Naturschutzbehörde, weil dabei Bäume gefällt würden.

Der zeitgleich mit der Kirche genehmigte Bau einer riesigen Moschee auf dem höchsten Hügel von Istanbul ist inzwischen fast abgeschlossen, wie die Zeitung "Taraf" anmerkt, während das christliche Gotteshaus nicht über das Planungsstadium hinauskommt. Zuletzt verlangten die Behörden, dass sie von den geplanten 900 Quadratmetern auf die Hälfte verkleinert werden solle. Die neue Moschee ist rund 30.000 Quadratmeter groß.

Neubau soll auf früherem römisch-katholischen Friedhof entstehen

Weit schwerer wiegt, dass es sich bei dem von der Stadt zur Verfügung gestellten Grundstück für den Kirchenbau keineswegs um städtischen Boden handelt, sondern um einen römisch-katholischen Friedhof. Das Grundstück, das der Kirche im Jahr 1868 von einem Gemeindemitglied vermacht worden war, wurde 1950 vom Staat eingezogen und in städtischen Besitz überführt; der Friedhof blieb seither geschlossen.

Türkei wieder auf Rangliste des Index zur weltweiten Christenverfolgung

Heute hat das Hilfwerk "Open Doors" seinen jährlichen Index mit den 50 Ländern herausgegeben, in denen Christen weltweit am stärksten verfolgt werden.Nach dreijähriger Abwesenheit ist die Türkei auf Platz 41 der 50 Länder umfassenden Liste zurückgekehrt. Open Doors führt das auf einen "wachsenden islamischen Nationalismus" durch Präsident Recep Tayyip Erdogan s Partei AKP zurück. Christen kämpften mit Beeinträchitungen ihrer Glaubensfreiheit, etwa bei der Ausbildung eigener Geistlicher. Zudem werde die Abkehr vom Islam als Affront gegen die türkische Identität betrachtet, so der Bericht des Hilfswerks. (gho)

Im Zuge der türkischen Reformen nach der Jahrtausendwende hatte die katholische Kirche gehofft, den Friedhof zurückzubekommen. Stattdessen wurde er 2012 der syrisch-orthodoxen Gemeinde für ihre Kirche angeboten. Die katholische Gemeinde legte über ihre Anwälte Protest ein, doch der verhallte ebenso ungehört wie eine Protesterklärung syrisch-orthodoxer Intellektueller.

Staatliche Enteignungen von Kirchenbesitz

Staatliche Enteignungen sind für die christlichen Minderheiten in der Republik Türkei ein Leitmotiv: von einer vernichtenden Sondersteuer der 40er Jahre über die Enteignungen von Kirchenbesitz nach 1936 und dem Einzug des Eigentums vertriebener Griechen in den 50er und 60er Jahren bis hin zur Verstaatlichung von Ländereien des syrisch-orthodoxen Klosters Mor Gabriel und anderer Aramäer in der Südosttürkei seit den 90er Jahren.

"Christen in der Türkei sollten freier atmen": Anlässlich eines Deutschland-Besuches von Patriarch Bartholomaios I. von Konstantinopel im Mai 2014 in Deutschland spricht Bischof Gerhard Feige über das Verhältnis der orthodoxen Christen zur römisch-katholischen Kirche. Der Vorsitzende der Ökumene-Komission der Bischofskonferenz verrät auch, was er von einem EU-Beitritt der Türkei hält.

Dass die syrisch-orthodoxen Christen - auch Aramäer oder Assyrer genannt - überhaupt eine neue Kirche in Istanbul brauchen, liegt daran, dass sie in den letzten Jahrzehnten aus ihrer angestammten Heimat in der Südosttürkei vertrieben wurden. Vom türkischen Staat nicht als eigene Minorität anerkannt, genießen sie nicht einmal die begrenzten Minderheitenrechte, die Armeniern, Griechen und Juden zugestanden werden.

Gottesdienst im Schichtbetrieb

Heute leben nur noch 2.000 bis 3.000 Aramäer in Südostanatolien, aber 200.000 bis 300.000 in Westeuropa und rund 20.000 in Istanbul, wo sie nur eine einzige Kirche mit 300 Plätzen besitzen. Ihre Gottesdienste feiern sie als Gäste der katholischen Kirchen, wo die Messen im Schichtbetrieb abwechselnd zelebriert werden.

Ob sich daran bald etwas ändern wird, bleibt auch nach den Jubelmeldungen vom Wochenende skeptisch abzuwarten. Ein konkretes Versprechen für den Kirchenbau gab Ministerpräsident Davutoglu jedenfalls auch jetzt nicht ab, wie die Zeitung "Taraf" unter Berufung auf Teilnehmer des nicht-öffentlichen Treffens mit den Religionsführern meldete. Der Ministerpräsident habe lediglich zugesagt, sich "darum zu kümmern".

Von Susanne Güsten (KNA)

Die Autorin forscht als Mercator-IPC-Fellow am Istanbul Policy Center zur Lage der aramäischen/assyrischen Christen in der Türkei und Deutschland.

Stichwort: Christen in der Türkei

Die heutige Türkei zählt zu den wichtigsten Regionen des frühen Christentums. Noch bis ins 20. Jahrhundert stellten die Christen im Kernland des damaligen Osmanischen Reiches eine bedeutende Minderheit von etwa 30 Prozent der Bevölkerung. Bis heute sank ihre Zahl auf geschätzt nur noch etwa 100.000 bis 150.000. Bei rund 75 Millionen Bürgern insgesamt, die zu über 99 Prozent Muslime sind, ist das ein Anteil von circa 0,2 Prozent. Ursachen für den drastischen Rückgang des Christentums sind unter anderem die Massenmorde an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs, der griechisch-türkische Bevölkerungsaustausch im Zuge des Vertrags von Lausanne 1923 und eine für Christen über Jahrzehnte ungünstige Religionspolitik. Die Griechisch-Orthodoxen, neben den Armeniern und den Juden die einzige offiziell anerkannte nichtmuslimische Religionsgemeinschaft der Türkei, sind in den vergangenen vier Jahrzehnten allein in Istanbul von 85.000 auf etwa 2.000 geschrumpft. Die stärkste christliche Gruppe stellen nach wie vor die Armenier mit 50.000 bis 60.000. Manche Kirchenvertreter gehen allerdings zusätzlich von Zehntausenden sogenannter Krypto-Armenier aus, die ihr Christentum nicht öffentlich leben. Das Päpstliche Jahrbuch verzeichnet für die Türkei rund 53.000 Katholiken, wobei die römisch-katholischen Christen zumeist zugereiste Ausländer sind. Das Prinzip des Laizismus in der türkischen Verfassung sieht eine strikte Trennung zwischen Religion und Staat sowie Religions- und Kultfreiheit vor. In der Praxis kontrolliert jedoch eine staatliche Behörde für Religiöse Angelegenheiten alle Aktivitäten, die mit dem Islam in Verbindung stehen. Unter der Regierung des heutigen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan hat sich die Lage der Christen in einigen Punkten verbessert; die christlichen Kirchen werden jedoch weiterhin nicht als juristische Person anerkannt. (KNA)