Fünf Thesen für ein echtes Comeback der Kirche

Kirchenschließung: Gott sei Dank!

Veröffentlicht am 13.01.2018 um 13:00 Uhr – Lesedauer: 
Zukunft

Köln ‐ Das gerade veröffentlichte "Mission Manifest" hat eine Debatte über die Zukunft der Kirche ausgelöst. Strategieberater und Buchautor Erik Flügge stellt den zehn Thesen seine eigenen entgegen.

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In den deutschen Diözesen geht die Angst vor Kirchenschließungen um. Ich freue mich auf jedes einzelne geschlossene Kirchenportal. Jeder Schlag der Abrissglocke gegen einen Glockenturm ist ein Geläut, das mir Hoffnung macht.

Wenn Kirchen geschlossen werden, dann verabschiedet man sich von einem letzten Rest. Wo kirchliches Leben noch floriert, da gibt es keinen Grund zu einem solch drastischen Schritt. Es gibt sie noch, die Kirchen, in denen ein lebendiges Leben herrscht.

Erik Flügge
Bild: ©David Sievers

Der Autor Erik Flügge ist Geschäftsführer einer Agentur für politische Strategieberatung. Er war jahrelang Ministrant und in der kirchlichen Jugendarbeit aktiv. Nach einigen Semestern Theologie studierte er schließlich Politik und Germanistik. 2016 veröffentlichte er das Buch "Der Jargon der Betroffenheit: Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt".

Es gibt aber auch die realexistierende, Beton gewordene Depression: Kirchengemeinden, in denen gar nichts geht außer Gejammer. Vergiftet hat den Geist dieser Gemeinden ein fortwährender Niedergangdiskurs. Das seit Jahrzehnten anhaltende Gefühl, dass eben gar nichts geht in der Kirche, außer einem ganz langsamen Sterbegebet. Es ist der Kater nach dem Rausch der übervollen Kirchen nach dem Krieg, der bis in die 1960er hinein anhielt. Man baute riesige Gotteshäuser für die vielen, die Gottes Beistand suchten.

Zurück zum Normalzustand

Heute gibt es in Deutschland wieder mehr als nur die Kirche. Mit jedem neuen Zuhause im Wiederaufbau gab es weniger Gründe, unter das Dach der Kirche zu schlüpfen. Bis hin zum Normalzustand. Denn wann waren Kirchen jemals voll? Wann außer nach dem Krieg kam ein nennenswerter Anteil der Mitglieder am Sonntag in die Kirche? Es ist Jahrhunderte her oder fand niemals statt. Aber das ungewisse Gefühl, zu verlieren, blieb.

Immerather Dom
Bild: ©KNA/Harald Oppitz

Menschen beobachten am 8. Januar 2018 den Abriss von Sankt Lambertus, dem Immerather Dom. Das Gotteshaus soll dem Braunkohletagebau Garzweiler II. weichen.

Es gibt zu viele Gemeinden, in denen die Normalisierung zum Drama verklärt wurde. Gemeinden, die glauben, sie hätten versagt, weil nach den 1960ern immer weniger Menschen kamen. Das Ergebnis ist eine pastorale Depression, die von Generation zu Generation vererbt wird. Man kann eh nichts machen, die Leute bleiben sowieso fort. Wenn man so denkt, dann stimmt das sogar. Die Leute bleiben fort. Nicht automatisch, sondern weil der innerkirchliche Dauerfrust sie treibt.

Von dieser Depression ist ein Christentum übrig, das keine Zukunft hat, aber noch zu viele Kirchengebäude. Reißt sie ab, ist besser so.

Mission Manifest: Die 10 Thesen für das Comeback

Aktuell machen in der katholischen Kirche "zehn Thesen für das Comeback der Kirche" die Runde. Ein deutliches Manifest für mehr Missionstätigkeit, getragen von jüngeren konservativen Kreisen in der Kirche. Leute mit Lust an einer Kirche, in der was geht. Zu den Erstunterzeichnern zählen unter anderem der Kölner Kardinal Woelki und der Passauer Bischof Oster.

"Mehr"-Konferenz des katholisch-charismatischen Gebetshauses in Augsburg.
Bild: ©KNA

"Mehr"-Konferenz des katholisch-charismatischen Gebetshauses in Augsburg.

Die Thesen haben es in sich. Die Mission soll die Priorität Nummer 1 in der Kirche werden. Im Bekehrungseifer sollen auch Gläubige anderer Religionen bekehrt werden. Kooperiert werden soll mit den evangelikalen Freikirchen, um von ihnen zu lernen, und überhaupt sei ohne Fasten und Gebet eben alles nichts. Da wundert es kaum, dass diese Thesen die üblichen Reflexe hervorbringen: Die Liberalen in der Kirche regen sich auf. Die Konservativen jubeln. Kindergarten.

In den Thesen steckt Potential

Aber in diesen zehn Thesen steckt Potential. Das Potential einer ehrlichen Analyse, wie einige Zitate zeigen. Die Kirche hat keinen Bock mehr: "Die Kirche muss wieder wollen, dass Menschen ihr Leben durch eine klare Entscheidung Jesus Christus übergeben. Sie ist ja weniger eine Institution oder Kulturform als eine Gemeinschaft mit Jesus in der Mitte." "Eine Kirche die nicht freudig und überzeugend auf alle zugeht, hat keine Mission; sie verliert ihr Warum und Wozu."

Mit den Unterzeichnern sammelt sich das gesamte evangelikale Potential der Kirche. Menschen, die ernsthaft glauben, man könne mit dem Youcat in der Hand die Jugend bekehren. Was man ihnen allen lassen muss: Sie glauben allesamt noch daran. Sie glauben noch daran, dass aus dem Katholizismus etwas werden kann. Sie glauben, dass diese Kirche in Deutschland nicht vor die Hunde geht, wenn wir die gewaltigen finanziellen und personellen Ressourcen nur richtig ausrichten. Sie schreiben: "Wir glauben, dass die Chancen nie größer waren als jetzt" und vielleicht haben sie mit dieser Aussage Recht. Aber sie stehen sich selbst im Weg – genau wie liberale Katholiken auch.

Exklusiver Anspruch

Denn die zehn Thesen formulieren einen alleinigen Wahrheitsanspruch und ihre Vertreter sprechen zu oft einem aktiven Katholizismus anderer Couleur die Existenzberechtigung ab. Die aktiven, aufbruchsorientierten Kräfte in der Kirche links und rechts greifen sich lieber gegenseitig an, als anzuerkennen, dass sie beide Teil einer zukünftigen Kirche sind, wenn sie nur den depressiven Klotz am Bein loswerden.

Auftakt zur 72-Stunden-Aktion am 13.04.2013 in München
Bild: ©KNA

Hunderttausende von Jugendlichen engagieren sich in den katholischen Jugendverbänden – nicht nur bei der 72-Stunden-Aktion.

Wenn man schon Thesen für eine lebendige Kirche formulieren will, so doch inklusive statt exkludierende. Ja, 11.000 betende Jugendliche in Augsburg bei einem Glaubensevent sind ein echter Erfolg konservativer Katholiken. 100.000 sozial engagierte Jugendliche bei der 72-Stunden-Aktion des BDKJ aber auch. Auch wenn dabei nicht gefastet und relativ viel weniger gebetet wird.

5 neue Thesen für ein echtes Comeback der Kirche

Thesen für die Kirche sollten darauf zielen, die lebendige Kirche zu stärken und die dahinsiechende Kirche endlich hinter sich zu lassen. Lebendig ist die Kirche allerdings auf beiden Flügeln. Links wie rechts. Sie ist lebendig in den geistigen Gemeinschaften mit ihren Gebetevents, aber sie ist eben auch lebendig in der Gemeinde eines befreundeten liberalen Pfarrers, der gerade mit den Mitgliedern eine soziale Kaffeerösterei gegründet hat.

These 1: Die Kirche muss die Kräfte stärken, die wollen, dass die Kirche Wirkung erzielt

Alle Kräfte in der Kirche, die aktiv daran mitwirken, dass die Kirche eine Wirkung erzielt, müssen gestärkt werden. Sei dies in der Evangelisierung, in der caritativen Arbeit, in Verbänden oder in der Bildung. Katholische Ausgaben müssen sich streng an ihrer Wirkung messen lassen. Dafür müssen transparente und messbare Kriterien aufgestellt werden. Kosten, denen keine akzeptable Nutzerzahl gegenübersteht, müssen gestrichen und neu verteilt werden. Dabei darf und muss es eine Vielfalt an Formen und Positionen nebeneinander geben. Diejenigen Formen und Positionen, welche die meisten Anhänger mobilisieren, werden mit den meisten Ressourcen gestärkt. Wir wollen mehr von dem, was funktioniert, und weniger von dem, was man verzweifelt versucht am Leben zu erhalten.

These 2: Die Kirche muss nicht in der Fläche existieren, sondern dort, wo Katholiken sich zusammenfinden

Die personellen und finanziellen Ressourcen der katholischen Kirche müssen aus einer territorialen Logik in die Gemeinschaftslogik überführt werden. Geld muss dort investiert werden, wo sich Gemeinschaften bilden und miteinander den Glauben leben. Das kann selbstredend in einer klassischen Kirchengemeinde mit aktivem Gemeindeleben sein. Es muss aber nicht. Die Kirche muss nicht in der Fläche existieren, sondern überall dort, wo Katholiken sich zusammenfinden. Dies bedeutet eine proaktive Auflösung von Kirchengemeinden, die keine Kraft mehr haben, zu Gunsten von Verbänden, geistigen Gemeinschaften und offenen Formen, die sich immer wieder neu gründen und zusammenfinden.

These 3: Die Kirche braucht eine Gründerkultur

Die Kirche muss eine Gründerkultur innerhalb der Kirche fördern. Dafür braucht es Personal, das sich mit der Initiierung und dem Aufbau von immer neu entstehenden Formen vor Ort befasst. Dies kann ganz unterschiedliche Formen annehmen. Beispielsweise die Form von Wanderpredigern, von Events, von Gemeindegründern, Formenentwicklern oder Pilgergemeinschaften. Der Katholizismus muss immer wieder neu entstehen, damit er nicht erneut zu alt wird.

These 4: Die Kirche muss ihre Verwaltungsstruktur radikal reduzieren

Die katholische Kirche in Deutschland hat neben der religiösen Tradition auch eine bürokratische entwickelt. Erschreckenderweise ist an vielen Stellen die bürokratische Tradition zur dominanten geworden. Daher müssen Verwaltungsstrukturen radikal gekürzt, zurückgebaut und zentralisiert werden. Es braucht ein Servicecenter des Katholizismus in Deutschland, das sich um die Verwaltung kümmert und darüber hinaus nicht das geistige Leben innerhalb der Kirche dominiert. Doppelfunktionen von Seelsorge und Verwaltung müssen konsequent aufgelöst werden. Entweder man ist für die Verwaltung da oder für die Menschen. Beides zugleich sorgt nur für Frust.

These 5: Die Kirche braucht keine Untergangspropheten, sondern Verkünder der frohen Botschaft

Die katholische Kirche muss sich von Mitarbeitern trennen, die die Hoffnung auf eine Zukunft des Katholizismus aufgegeben haben. Wir brauchen keine Verkündiger der Hoffnungslosigkeit, sondern der frohen Botschaft. Ein harter Satz, aber wenn wir uns nicht trauen, die schwierigen Trennungen konsequent vorzunehmen, dann lähmen wir diejenigen, die noch Lust am Gestalten haben.

Ein echter Aufbruch für die Kirche braucht eine Versöhnung der aktiven Kräfte in der Kirche. Denn es bekämpfen sich vor allem diejenigen Teile, die mit der Kirche noch etwas wollen. Einer der Erstunterzeichner der zehn Thesen könnte tatsächlich ein echtes Signal zum Aufbruch geben. Bischof Oster, der das Amt des Jugendbischofs bekleidet. Wenn seine Forderung nach einer aktiv glaubenden und das Evangelium verkündenden Kirche eine echte ist, dann kann er positiv anerkennen, wie aktiv der Glaube in der katholisch-verbandlichen Jugendarbeit des BDKJ gelebt wird. Ihm mag die Form nicht gefallen, ihm mag die Interpretation nicht munden, aber er kann erkennen und positiv würdigen, dass sowohl die evangelikal-konservativen als auch die verbandlich-liberalen ein Ziel gemeinsam haben: Sie glauben noch daran, dass aus dieser Kirche etwas werden kann. Sie sind im besten Sinne keine depressiven Bürokraten.

Von Erik Flügge