Über den Wolken ist es mit dem Papst am schönsten
Die Sternstunden im Leben eines Vatikan-Korrespondenten spielen sich hoch über den Wolken ab: Nirgendwo sonst kommen Journalisten dem Papst so nahe wie an Bord des gecharterten Flugzeugs, in dem sie gemeinsam mit dem Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche die Auslandsreisen absolvieren.
Auf Erden gibt ein Papst keine Pressekonferenzen
Nur diese vier bis sechs Mal im Jahr stellt sich Franziskus direkt der versammelten Weltpresse. Nur in den sogenannten "fliegenden Pressekonferenzen" können Medienvertreter den Heiligen Vater regelmäßig fragen, was er etwa über Zölibat, Homosexualität, Kurienreform oder Donald Trump denkt, oder warum er den Kommandanten der Schweizergarde entlassen hat. Denn auf Erden gibt ein Papst grundsätzlich keine Pressekonferenzen. Das hält Franziskus, der sich sonst wenig um das Protokoll schert, nicht anders als seine Vorgänger. In Rom müssen die Medien deshalb mit seinem Sprecher vorlieb nehmen, wenn sie nicht zu den Auserwählten zählen, denen Franziskus ein Interview gewährt.
Über den Wolken ist die Freiheit, die sich Franziskus nimmt, zwar nicht grenzenlos, aber er sagt oft Dinge, die er so in Rom wohl nicht gesagt hätte, und über die seine Vorgänger nie geredet hätten oder jedenfalls nicht in dieser saloppen Weise. Einige der spektakulärsten Äußerungen von Franziskus sind in jenen fliegenden Pressekonferenzen gefallen. Zum geflügelten Wort etwa wurde mittlerweile der Satz "Wer bin ich ihn zu verurteilen?", den er im Juli 2013 auf dem Rückflug von Brasilien mit Blick auf Homosexuelle sagte. Ebenso von Bord eines Flugzeugs stammen die Bemerkungen, auch Katholiken müssten sich nicht wie Karnickel vermehren, und, dass auch er zum Faustschlag bereit wäre, wenn jemand seine Mutter beleidige.
Auslandreisen des Papstes sind ein mediales Großereignis wie es sonst vielleicht allenfalls Reisen eines amerikanischen Präsidenten sind: Zwischen 60 und 80 Journalisten reisen in der päpstlichen Maschine mit; unter ihnen alle großen Nachrichtenagenturen wie Reuters, Afp, AP oder dpa und regelmäßig auch die renommiertesten Zeitungen vom "Wall Street Journal" über die französische "Le Monde" bis zur spanischen "El Pais" sowie die großen Fernsehsender von CNN bis zum ZDF. Die Medienvertreter sitzen im hinteren Drittel des Flugzeugs in der Economy Class, der Papst mit seinem vatikanischen Mitarbeiterstab von 20 bis 30 Personen im vorderen in der First Class, die Plätze im mittleren Drittel bleiben frei.
Die größte Gruppe stellen traditionell die Italiener, es folgen zumeist Franzosen und Amerikaner. Aus Deutschland reisen in der Regel zwei bis drei Kollegen mit, ein Korrespondent des römischen Büros der Katholischen Nachrichten-Agentur und ein Vertreter des ZDF begleiten den Papst auf jeder Reise. Hinzu kommen regelmäßig Kollegen der ARD oder der dpa. Wer mitreisen will, muss sich vorher beim vatikanischen Presseamt um einen Platz bewerben. Wer Stammgast ist, muss nicht um seinen Platz bangen, wer nur gelegentlich den Papstflieger bucht, kann bei großem Interesse auch schon mal Pech haben.
Die Pressekonferenzen mit dem Papst funktionieren anders als normale Pressekonferenzen. Für die Fragen auf dem Rückflug gibt es ein festes Verfahren: Jede der vertretenen Sprachgruppen darf je nach Größe eine bis drei Fragen stellen. Die jeweiligen Kollegen müssen sich untereinander absprechen, welche Frage sie dem Papst stellen wollen und wer diese vorträgt. Ein Rom-Korrespondent aus dem Vorstand der Vereinigung der am Vatikan akkreditierten Journalisten sammelt die Fragen, prüft, ob es keine Doppelungen gibt und reicht sie an den vatikanischen Pressesprecher Greg Burke weiter. Vor allem unter den englischsprachigen Kollegen, aber auch unter den Italienern kommt es bisweilen zu heftigen Debatten, weil man sich nicht auf die Fragen verständigen kann. Auch wer die Frage stellen darf, ist bisweilen Gegenstand längerer Debatten. Ein Sonderfall sind die Journalisten aus dem jeweiligen Besuchsland: Sie dürfen die ersten beiden Fragen stellen. Zumeist geht es hierbei direkt um den Besuch. Rund eine Stunde dauert die Konferenz in der Regel, gut ein Dutzend Fragen beantwortet der Papst in dieser Zeit, überwiegend auf Italienisch. Nur wenn er auf Spanisch gefragt wird, antwortet er auch in seiner Muttersprache.
Für 1.738,15 Euro von Rom nach Fatima
Die Aussicht auf unkonventionelle Einblicke in das päpstliche Denken lässt manchen Chef leichter verschmerzen, dass er für eine Reise mit der päpstlichen Maschine mitunter erheblich tiefer in die Tasche greifen muss, als für einen normalen Linienflug. So kostete der Flug nach Fatima in Portugal im Mai vergangenen Jahres 1.738,15 Euro. Daraufhin protestierten Vatikan-Korrespondenten beim Vatikan gegen die hohen Flugpreise. Vergeblich. Auf dem Hinflug fliegt der Papst bislang immer Alitalia, zumeist ein Airbus 330. Den Rückflug bestreitet in der Regel die Airline des Besuchslandes.
Lange vorbei sind die goldenen Zeiten, als jeder mitfliegende Medienvertreter noch eine Stange Zigaretten geschenkt bekam. Altgediente berichten heute noch mit leuchtenden Augen davon. Heute gibt es vom Vatikan für jeden einen Rosenkranz mit päpstlichem Wappen, den auch die Audienzgäste von Franziskus bekommen, und eine vatikanische Briefmarke zur Reise mit Sonderstempel.
Während auf dem Rückflug investigatives Gespür und Verhandlungsgeschick gefragt sind, braucht man für den Hinflug Small-Talker-Qualitäten. Denn dann kommt der Papst zu den Journalisten in den hinteren Teil des Flugzeugs, geht durch die Sitzreihen und schüttelt jedem von ihnen die Hand. Sein Pressesprecher Burke stellt ihm die Pressevertreter namentlich vor und nennt das Medium, für das sie arbeiten.
Was sagt man, wenn der Heilige Vater einen begrüßt? Etliche Kollegen nutzen die Gelegenheit, um dem Papst etwas zu schenken oder um ihm einfach ihre tiefe persönliche Verehrung zum Ausdruck zu bringen. Besonders ausgeprägt ist dieses Verhalten bei Medienvertretern aus Lateinamerika. Die englischsprachigen Journalisten geben sich in der Regel dem Klischee entsprechend etwas kühler. Und immer wieder versucht ein gewiefter Vollblut-Journalist die Gunst der Stunde zu nutzen, um noch eine kurze Frage an den Papst zustellen. Besonders beliebt: 'Wann besuchen sie denn' und dann folgt das jeweilige Heimatland des Fragestellers. Auch wenn sein Pressesprecher vorher darauf hingewiesen hat, dass Fragen nicht erlaubt sind. Wenn man Glück hat, gibt der Papst trotzdem eine Antwort.
Angefangen hat alles am 22. Juli 2013 irgendwo über der algerischen Wüste. Damals kam Franziskus während des Flugs von Rom zum Weltjugendtag nach Rio de Janeiro erstmals zu den mitreisenden Journalisten. Auch der Verfasser dieses Textes war damals an Bord. Zuerst begrüßte eine Kollegin den Papst im Namen aller Medienvertreter in der "Höhle des Löwens". Denn alles, was man damals lesen konnte, war, dass Franziskus gegenüber Journalisten sehr scheu sei und nur ungern Interviews gebe. Als es dann hieß, der Papst wolle jeden einzeln begrüßen, überlegte ich krampfhaft, was ich bloß dem Heiligen Vater sagen sollte: Etwas Frommes, etwas Lustiges oder etwas, das zur Reise passte? Schließlich stellte ich mich vor und fügte hinzu, ich sei zwar dem Weltjugendtagalter entwachsen, aber immerhin der jüngste Journalist an Bord. Da fragte der Papst: "Wie alt bist Du denn?" Als er erfuhr dass ich damals 37 Jahre alt war, verlängerte er meine Jugend kurzerhand um weitere 13 Jahre: "Jung ist man doch bis 50". Auf dem Rückflug von Rio gab er dann seine erste legendäre Pressekonferenz mit dem "Wer-bin-ich"-Satz.
Der Vatikan hat das große Medieninteresse an den Pressekonferenzen auch schon genutzt, um gezielt eine Botschaft zu lancieren. Auf dem Rückflug von der USA-Reise 2015 kam der damalige Pressesprecher Federico Lombardi auf eine deutsche Kollegin zu und fragte sie, ob sie nicht statt ihrer ursprünglich eingereichten Frage etwas zu China fragen könnte. Das würde viele an Bord interessieren. Die Kollegin und alle, die von der Bitte erfuhren waren, erstaunt: Kein Medienvertreter interessierte sich in diesem Augenblick für China. Doch die Kollegin tat ihm den Gefallen und fragte etwas zu China. Die Antwort des Papstes machte dann deutlich, worum es eigentlich ging: Franziskus sollte offenbar die Gelegenheit erhalten, ein paar freundliche Worte in Richtung Peking zu sagen, um, so interpretierten es manche Kollegen, nochmals zu signalisieren, dass er gerne nach China eingeladen werden würde.
Reue über "zwei, drei" Äußerungen
Franziskus gestand im vergangenen Jahr, dass er im Nachhinein "zwei, drei" Äußerungen in diesen Pressekonferenzen bereut habe. Welche, das sagte er leider nicht. Aber er verriet zumindest, dass er während der Pressekonferenzen im Flugzeug zum Heiligen Geist bete, bevor er sich die Fragen anhöre und antworte. Er möge es, in die Augen der fragenden Person zu sehen und ehrlich zu antworten. Journalisten, besonders jene von "kleinen Zeitungen", stellten häufig Fragen, aus denen er die Sorgen der gewöhnlichen Leute hören könne, so der Papst.
Sobald die letzte Antwort des Papstes verklungen ist, hören die Medienvertreter noch an Bord gewissenhaft ihre Mitschnitte ab und verschriftlichen die Pressekonferenz. Erstaunlicherweise stimmen hierbei nie auch nur zwei Versionen hundertprozentig im Wortlaut überein.
Nach getaner Arbeit machen sich manche Kollegen dann auf Souvenirjagd. Ein besonders beliebtes Mitbringsel sind die mit dem päpstlichen Wappen bestickten Bezüge der Kopfstützen. Wenn die Stewardessen außer Sichtweite sind, verschwinden regelmäßig Kopfbezüge. Für manche ist das im stattlichen Flugpreis inbegriffen.